Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

BEDROHTE VÖLKER

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

BEDROHTE VÖLKER
Die Honigbienen sind bedroht – weltweit. Sie sterben völkerweise. Forscher sind den Ursachen auf der Spur.

Ein Blick in die nahe Zukunft: Die Bienen sind ausgestorben. Immer wieder kommt es deshalb zu schweren Missernten und Hunger weltweit. Auf den Feldern Monokulturen, genmanipulierter Mais. Äpfel, Birnen oder gar Honig aus Altbeständen gibt es, wenn überhaupt, nur zu horrenden Preisen auf dem Schwarzmarkt. In den Supermarktregalen stehen synthetische Nahrungsmittel und künstliche Säfte. Der Duft von frischem Apfelkuchen ist nichts als eine nostalgische Erinnerung.

Dieses Horrorszenario hat der kanadische Schriftsteller Douglas Coupland 2009 in seinem Roman „Generation A“ entworfen. Was dort als Science-Fiction-Plot daherkommt, geistert seit Jahren durch die Medien: das Gespenst „Bienensterben“. Vor 30 Jahren verbreitete es erstmals in China seinen Schrecken: In der Provinz Sichuan verschwanden in den 1980-er Jahren so gut wie alle Bienen, vermutlich durch den unkontrollierten Einsatz von Pestiziden. Heute sind anstelle der Arbeitsbienen Kolonnen menschlicher Arbeiter im Einsatz: Sie bestäuben die Obstbäume von Hand.

Von Herbst 2006 an griff dann ein mysteriöses Bienensterben – genannt „Colony Collapse Disorder“ (CCD, „Völkerkollaps“) – in den USA um sich: Ausgewachsene Bienen verschwanden spurlos und ließen den Bienenstock samt der Königin, den jungen Bienen und der Brut zurück. Und in Deutschland machen den Bienenzüchtern immer wieder hohe Winterverluste zu schaffen. Allein im Winter 2009/2010 betrugen die Verlustquoten zwischen 14 und 19 Prozent. „ Bei etwa 800 000 Bienenvölkern in Deutschland sind das etwa 150 000 verlorene Völker“, erklärt Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim.

Doch was ist die Ursache? „Es gibt hierzu noch keine eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse“, bedauert Rosenkranz. „Möglicherweise spielen mehrere Faktoren eine Rolle.“ So gilt die Varroa-Milbe als wesentliche Ursache für die Überwinterungsverluste bei Bienenvölkern. Der Parasit treibt seit 30 Jahren in Mitteleuropa sein Unwesen, ernährt sich vom Blut der Bienen und ihrer Larven. Schlüpfende Bienen sind oft so stark geschädigt, dass sie fluguntaug-lich sind und den Winter nicht überleben. Zudem begünstigt Varroa-Befall den Ausbruch verschiedener Viruserkrankungen.

Anzeige

BIENEN-GAU AM OBERRHEIN

Für die Flugbienenverluste während der Frühjahrs- und Sommermonate machen manche Imker vor allem einen Faktor verantwortlich: die immer intensivere Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und dem massiven Einsatz von Ackerchemikalien. Zu einer Katastrophe kam es im Mai 2008 am Oberrhein: Innerhalb weniger Wochen starben mindestens 12 500 Bienenvölker mit rund 330 Millionen Tieren, die meisten nördlich von Freiburg im Ortenaukreis. Schuld daran war erwiesenermaßen Maissaatgut, das man mit dem Insektizid-Wirkstoff Clothianidin gebeizt hatte. Mit dem Pestizid wollte man den Mais vor dem Käfer „Westlicher Maiswurzelbohrer“ schützen. Theoretisch sollte das gebeizte Saatgut im Boden verschwinden, ohne dass Insekten mit ihm in Kontakt kämen. In der Praxis führte es zum Bienen-GAU. Doch für die Wissenschaftler sind die Gifte nur ein Faktor von vielen. „ Bislang weiß niemand, was hinter dem großen Sterben steht“, bedauert Jürgen Tautz, international renommierter Bienenforscher an der Universität Würzburg. „In der Fachliteratur wird fast wöchentlich eine neue Erklärung für das Bienensterben angeboten.“

Die Forscher stehen unter Druck. Denn die Honigbiene ist nach Rind und Schwein das drittwichtigste Nutztier des Menschen. Sie liefert Wachs und Honig. Noch bedeutender ist: Rund 80 Prozent der Nutz- und Wildpflanzen in Deutschland sind auf die Bestäubung durch Bienen angewiesen. Mindestens 30 Prozent der menschlichen Nahrung, also etwa jeder dritte Bissen, hängt von der Arbeit der fleißigen Insekten ab. Durch die Bestäubung von Obstbäumen, Beerensträuchern und Feldkulturen erbringen sie einen volkswirtschaftlichen Nutzen von jährlich weltweit mehr als 150 Milliarden Euro.

SPEZIALISIERTE BESTÄUBER

Es gibt etwa 20 000 verschiedene Bienen- arten. Am bekanntesten ist die von Imkern gezüchtete Westliche Honigbiene (Apis mellifera). Sie bildet dauerhafte Staaten, die sich aus einer Königin und etwa 50 000 Arbeiterinnen zusammensetzen. Dazu kommen zeitweise mehrere Hundert Männchen. Ihr wilder Vorfahr ist in Mitteleuropa ausgestorben. Doch allein in Deutschland gibt es neben den Honigbienen noch etwa 550 Wildbienenarten, zu denen auch die Hummeln gehören. Im Gegensatz zu den Honigbienen leben die meisten Wildbienen als Einzelgänger ohne Staatenbildung. „ Wildbienen bleiben in der Leistung weit hinter den Honigbienen zurück“, erklärt Jürgen Tautz. „Dennoch sind auch sie wichtige Bestäuber.“ Viele von ihnen sind hochspezialisiert. Sie sind genau dann unterwegs, wenn „ihre“ Blume blüht und auf Bestäubung angewiesen ist. „Wildbienen und Honigbienen ergänzen sich ideal im Bestäubungsgeschäft“, sagt Tautz. „Aber auch die Wildbienen sind immer stärker gefährdet.“

WENIGER IMKER, WENIGER ARTEN

Dazu kommt, dass es immer weniger Imker gibt. In Deutschland ist ihre Zahl seit 1998 um 10 Prozent auf rund 87 000 gesunken. „ Durch die erforderliche Schädlingsbekämpfung wird die Bienenzucht immer aufwendiger und kostspieliger für Hobbyimker“, erklärt Tautz. Der Rückgang hat drastische Auswirkungen auf die Artenvielfalt: Durch fehlende Bestäubung kann es zum Aussterben einzelner Pflanzenarten kommen. Für eine ausreichende Bestäubung sind drei bis vier Bienenvölker pro Quadratkilometer nötig.

Um die Ursachen der Winterverluste aufzuklären, wurde 2004 das deutsche Bienenmonitoring-Projekt DEBIMO gegründet. Beteiligt daran sind neben den deutschen Bieneninstituten auch der Deutsche Imkerbund, der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund, der Bauernverband und die Agrarindustrie. Bei etwa 120 Imkern werden Daten gesammelt: über Volksentwicklung, Honigertrag und Varroa-Befall von mehr als 1200 Bienenvölkern. Die Völker werden mehrmals jährlich auf Krankheitserreger und Belastungen durch Chemikalienrückstände untersucht. Peter Rosenkranz verspricht sich langfristig viel von dieser fundierten Datengrundlage, kann aber bisher noch kein Fazit ziehen.

VERKABELTER BIENENSTOCK

Die Forscher der „BEEgroup“ (von englisch „bee“ für Biene) um den Neurobiologen Jürgen Tautz am Biozentrum der Univer- sität Würzburg setzen weiter auf intensive Grundlagenforschung. Sie arbeiten daran, den komplexen „Superorganismus Bienenschwarm“ (siehe Kasten unten) und dessen Wechselwirkungen mit der Physiologie der Einzelbienen besser zu verstehen. Das Institut arbeitet eng mit Chemikern, Infektionsbiologen und Hirnforschern zusammen. Dabei verknüpfen die Spezialisten klassische Verhaltensforschung mit modernster Molekularbiologie und setzen Spitzentechnik ein: In einem weltweit einmaligen Experiment erstellen sie genaue Bewegungsprofile ihrer geflügelten Probanden. Dazu haben sie einen ganzen Versuchsbienenstock verkabelt: Mehrere Kameras überwachen Ein- und Ausfluglöcher. Messgeräte im Inneren überwachen die Temperatur. Tausende Bienen tragen jeweils einen winzigen Funkchip auf dem Rücken. So liefern die Tiere komplexe Daten über ihre Sammeltätigkeit. Erstmals lassen sich damit vollautomatisch Tausende Bienen-Einzelbiografien über die gesamte Lebensdauer erheben.

Erstaunlich sind die Erkenntnisse über die Robustheit der Bienenvölker. Auch wenn sie im Stock sehr eng zusammenleben, funktionieren Bienenvölker offenbar nicht wie anfällige „ Monokulturen“: So beobachteten die Forscher, dass Krankheitserreger und Parasiten bei den Honigbienen Verhaltensänderungen auslösen, die das Volk schützen, wenn auch nicht perfekt. Eine Infektion mit der Varroa-Milbe etwa verschlechtert die Lernfähigkeit und das Kurzzeitgedächtnis. Solche Bienen haben bei ihrer Rückkehr von Sammelflügen Orientierungsprobleme, finden oft nicht mehr ins Nest zurück – und können somit die Erreger nicht weiter verbreiten. Erkenntnisse wie diese sollen es ermöglichen, die Immunabwehr der Bienen künstlich zu stärken. Mit raschen Fortschritten rechnet Tautz dabei nicht: „Der langen Generationsdauer der Bienen steht eine kurze Generationsdauer der Parasiten und Krankheitserreger gegenüber, die sich sehr rasch anpassen können.“

500 STADTIMKER IN BERLIN

Tautz nennt fünf große Probleme, mit denen die Bienen zu kämpfen haben: Krankheitskeime und Parasiten, Agrarchemie, Klimawandel, schwindende Biodiversität sowie Zucht- und Haltungsprobleme. Experimentell zu untersuchen, wie die Bienen Abwehr- und Überlebensstrategien entwickeln, um all dem zu begegnen, ist wissenschaftliche Sisyphusarbeit. Sie ist aber dringend erforderlich, etwa um robuste und resistente Rassen züchten.

Trotz aller Ungewissheiten besteht auch Grund zur Hoffnung: Ende 2010 prognostizierten Experten verschiedener Bieneninstitute geringere Verluste für den kommenden Winter als im Vorjahr – basierend auf der Bestandsentwicklung 2010 und aktuellen statistischen Erhebungen. „Auch für die Imkerei gibt es Lichtblicke“, sagt Peter Rosenkranz. „Die Imkerzahlen etwa steigen wieder leicht an.“ Ein neuer Trend zur Imkerei zeigt sich vor allem in den Großstädten: Dachterrassen, Parks und Brachflächen bieten ideale Möglichkeiten für die Bienenzucht. Allein in Berlin gibt es mittlerweile über 500 Stadtimker.

Jeder kann mitmachen beim Bienenschutz. „Um die Bienen zu unterstützen, sollten Landwirte das Ausbringen von Ackerchemikalien mit den Imkern abstimmen und Flächen für Wildblumen frei lassen“, rät Jürgen Tautz. „Gartenbesitzer können für Blütenvielfalt sorgen und Nistmöglichkeiten für Wildbienen schaffen. Und der Verbraucher kann einheimischen Honig beim Imker um die Ecke kaufen, der so einen Teil seiner Investitionen zurückerhält. Denn die Bestäubungsleistung der Bienen kommt schließlich allen zugute.“ Eine Welt ohne die summenden Sammler wäre eine traurige Welt. ■

GUNNAR HENZE, Wissenschaftsjournalist in München, hat als Kind den Imkern in seinem Heimatdorf gern bei der Arbeit zugeschaut.

Von Gunnar Henze

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Alison Benjamin, Brian McCallum WELT OHNE BIENEN Fackelträger, Köln 2009, € 19,95

Jürgen Tautz PHÄNOMEN HONIGBIENE Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2007, € 24,95

INTERNET

BEEgroup an der Universität Würzburg: www.beegroup.de

Infoseite des Biologen Paul Westrich über Wildbienen: www.wildbienen.info

KOMPAKT

· Ein Drittel der menschlichen Nahrung hängt von der Bestäubungsarbeit der Bienen ab.

· Bienenforschung ist sehr kompliziert, da beim „ Superorganismus Bienenschwarm“ neben den biologischen Eigenschaften der Einzelbiene auch die des ganzen Schwarms berücksichtigt werden müssen.

SUPERORGANISMUS BIENENSCHWARM

Die Honigbiene ist ein Erfolgsmodell der Evolution – und der Bienenstock ein Phänomen der Superlative. Das Bienenvolk ist ein sozial hochorganisierter Insektenstaat mit sehr ausgeprägter Arbeitsteilung – und damit ein Musterbeispiel für Schwarmintelligenz. Mit dem Zusammenschluss der Bienen zu einem Volk entsteht quasi ein neuer Organismus, der viel mehr Fähigkeiten aufweist als die einzelne Biene – ein sogenannter Superorganismus. Diesen Begriff hat 1911 der US-Insektenforscher William Morton Wheeler geprägt.

Rund 50 000 Bienen leben den Sommer über in einem Bienenvolk, im Winter sind es 20 000. Eine einzelne Biene kann täglich 3000 Blüten bestäuben. Für ein Kilo Honig sind 15 Millionen Blüten oder 300 000 Flugkilometer erforderlich. Die Königin lebt bis zu 5 Jahre. Als einzige Biene im Schwarm legt sie Eier – bis zu 200 000 pro Sommer. Von den Arbeiterinnen wird sie mit „Gelee royale“ gefüttert, das diese in speziellen Drüsen produzieren. Eine Arbeitsbiene durchläuft in ihrem „Berufsleben“ mehrere Stationen: Putz-, Bau-, Brutpflege-, Wächter- und schließlich Sammelbiene.

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

mo|no|phy|le|tisch  〈Adj.; Biol.〉 sich von einer einzigen Stammform, einem einzigen Ursprungsgebiet herleitend; Ggs polyphyletisch … mehr

Bio|sen|sor  〈m. 23〉 Instrument zur (elektron.) Messung von physikalischen u. chemischen Abläufen am u. im Körper

Arm|fü|ßer  〈m. 3; Zool.〉 Angehöriger einer Klasse festsitzender Meerestiere, deren Mundarme zum Atmen u. zur Nahrungsaufnahme dienen: Brachiopoden; oV Armfüßler … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige