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Bewegung macht das Gehirn flexibler

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Bewegung macht das Gehirn flexibler
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Schon kurze Zeiten der Bewegung erhöhen die Plastizität des Gehirns (Grafik: Cell Press)
Schon länger ist bekannt, dass Bewegung gesund ist und die geistige Fitness fördert. Jetzt belegt ein Experiment, dass sogar schon eine kurze Zeit der körperlichen Aktivität ausreicht, um die Plastizität des Gehirns zu erhöhen – die Fähigkeit unseres Denkorgans, sich flexibel an veränderte Bedingungen und neue Reize anzupassen. Im Versuch stellte sich das Sehzentrum schon nach zwei Stunden gemäßigtem Radelns besser auf ein nur noch einäugiges Sehen ein. Diese Erkenntnis könnte die Therapie von Augenschwächen und Schlaganfallfolgen verbessern, hoffen die Forscher.

Lernen, Gedächtnis und die Erhaltung unserer geistigen Fitness hängen von der Fähigkeit unseres Gehirns ab, seine Funktionen an neue Umstände anzupassen. In der Kindheit ist diese Plastizität noch stark ausgeprägt, weshalb Kinder besonders schnell Neues lernen, aber auch Ausfälle bestimmter Gliedermaßen oder Hirnteile noch besser kompensieren können als Erwachsene. “In den letzten Jahren haben Studien jedoch auch bei Erwachsenen ein signifikantes Restpotenzial dieser Anpassungsfähigkeit beim visuellen Cortex enthüllt”, erklären Claudia Lunghi und Alessandro Sale von der Universität Pisa. Sie hatten in Versuchen mit Tieren bereits festgestellt, dass körperliche Bewegung diese Plastizität sogar noch zu erhöhen scheint. Ob aber dieser Effekt auch beim Menschen auftritt, war bisher unbekannt.

Filmschauen mit Augenklappe

Für das Experiment erhielten 20 Probanden zunächst eine Augenklappe, mit der sie ihr normalerweise dominantes Auge zudecken sollten. 120 Minuten waren die Teilnehmer damit sozusagen einäugig. Das Gehirn versucht sich an diesen plötzlichen Verlust von Information anzupassen, indem es beim abgedeckten Auge seine Sensibilität für optischen Signale hochfährt – sozusagen um den kleinsten Lichtschein doch noch zu erhaschen. Um diesen Effekt zu verstärken, schauten sich alle Probanden in dieser einäugigen Zeit einen Spielfilm an. Eine Hälfte tat dies jedoch gemütlich auf dem Sofa sitzend, während die anderen alle zehn Minuten für zehn Minuten auf einem Trimmrad strampeln mussten. Nach Ablauf der Zeit folgte der entscheidende Test: Die Forscher setzte den Probanden eine Videobrille auf, die beiden Augen jeweils andere Bilder zeigte. Normalerweise löst das Gehirn diesen Konflikt, indem es jeweils nur eines der Bilder zeigt, aber regelmäßig zwischen den beiden umspringt. Wurde jedoch ein Auge länger abgedeckt, macht sich der Kompensations-Effekt bemerkbar: Das Bild des abgedeckten Auges erscheint jeweils etwas länger als das des offenen.

Die entscheidende Frage war nun, ob dieser Effekt bei beiden Probandengruppen gleich stark ausfiel oder ob die Bewegung für Unterschiede sorgte. Und tatsächlich: “Bei der Bewegungsgruppe war der Effekt nach Entfernung der Augenklappe stärker als in der Kontrollgruppe ohne Bewegung”, berichten die Forscher. Die radelnden Probanden sahen das Bild des zuvor abgedeckten Auges deutlich länger als das des offen gebliebenen – und das noch zwei Stunden nach Entfernung der Augenklappe. “Das liefert den ersten Beleg, dass schon mäßige Bewegung die Plastizität im visuellen Cortex von erwachsenen Menschen erhöht”, sagt Lunghi. Wie genau die Bewegung dies bewirkt, ist noch unklar. Die Forscher vermuten aber, dass der Neurotransmitter GABA eine Rolle dafür spielt. Tierversuche zeigten, dass körperliche Bewegung die Menge dieses hemmenden Botenstoffs im Gehirn reduziert. Das erhöht die Sensibilität des Gehirns und auch die Anpassungsfähigkeit.

Nach Ansicht der Wissenschaftler sind diese Ergebnisse eine vielversprechende Nachricht für Menschen, die an Hirnschäden beispielsweise durch Schlaganfall oder an der sogenannten Amblyopie leiden. Bei dieser handelt es sich um eine meist durch starkes Schielen in der Kindheit entstehende Schwachsichtigkeit auf einem Auge. Wird nicht schon im frühen Kindesalter gegengesteuert, ist die Amblyopie bisher unbehandelbar. “Unsere Ergebnisse ebnen nun den Weg hin zur Entwicklung von nichtinvasivem Therapien, die die natürliche Plastizität des Gehirns auch bei Erwachsenen ausnutzen”, sagt Lunghi. Sie und ihr Kollege wollen als nächstes untersuchen, ob ein durch Bewegung unterstütztes Augentraining bei erwachsenen Amblyopie-Patienten möglicherweise doch eine Besserung bringen kann.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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