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brasilien kämpft um seinen Kautschuk

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brasilien kämpft um seinen Kautschuk
Ein winziger Pilz schädigt Kautschukplantagen in Brasilien. Forscher fahnden nach Abhilfe, denn die weltweite Gummiproduktion ist in Gefahr.

Unterwegs mit Carlos Mattos: 150 Kilometer südlich von Salvador im Küstengebiet des brasilianischen Bundesstaats Bahia zwischen den Städtchen Camamu und Ituberá. Der Wagen ruckelt vorbei an Kautschukplantagen, ab und an taucht ein winziges Häuschen auf, ein Huhn, eine Bananenstaude im Hinterhof. Der Agronom hält an einer Plantage und bittet zur Besichtigung. Siebeneinhalb Jahre alt sind alle Kautschukbäume auf seinem Versuchsfeld. Doch der Größenunterschied ist frappierend. Etliche Baumreihen kümmern vor sich hin, drei Meter hoch, fast ohne Blätter. „Das“, sagt Mattos, „war noch vor Jahren eine der wichtigsten Sorten hier in der Gegend, doch der Pilz hat sie überrannt.“ Der Pilz heißt Microcyclus ulei. Er ist zwar nur ein mikroskopisch kleiner Schlauchpilz, doch der gefährlichste Kautschukschädling schlechthin. Andere Reihen im Feld glänzen mit acht Meter hohen Bäumen nebst reichlich Laubwerk. „Unsere neuen resistenten Vertreter“, sagt Mattos, Manager für Forschung und Entwicklung der Michelin-Plantage in Bahia, und klopft nicht ohne Genugtuung auf einen dicken Stamm. „Damit wollen wir die Produktion wieder hochfahren.“

Naturkautschuk ist Big Business. Die Weltproduktion lag 2006 bei 9,65 Millionen Tonnen, Tendenz steigend. Die Automobilindustrie hat gewaltigen Appetit auf das Naturprodukt: Zwei Drittel der Erträge gehen in die Reifenherstellung. Jeder Lkw-Reifen braucht 30 bis 40 Prozent Naturkautschuk, jeder Pkw-Reifen 15 bis 30 Prozent davon. Synthetisches Gummi bietet keinen Ersatz, seine Qualität ist nicht hoch genug. Bis 1910 beherrschte Brasilien den Weltmarkt. Heute ist davon nichts geblieben. Kümmerliche 107 000 Tonnen Naturkautschuk schaffte das Land 2006, 200 000 Tonnen müssen jährlich importiert werden. Der Weg in den Niedergang hat mehrere Gründe. Hevea brasiliensis, der Kautschukbaum, wächst wild in den Regenwäldern Amazoniens. Im Alter von sieben Jahren gibt der Baum erstmals weißen Latexsaft ab, den ein Sammler jahrzehntelang ernten kann, wenn er die Rinde fachmännisch ritzt. Der Saft ist der Ausgangsstoff für Naturgummi. Doch schon 1876 verfrachtete der Brite Henry Wickham an die 70 000 Samen des Baums zu den Royal Botanical Gardens in Kew in der Nähe von London, von wo aus Setzlinge bald ihren Weg zu Plantagen in Asien und Afrika antraten. Das brasilianische Monopol war gebrochen.

Und nicht nur das: Das in Brasilien bis 1920 ausschließlich praktizierte Sammeln von Latexsaft aus wild wachsenden Bäumen erwies sich gegenüber der Plantagenwirtschaft als kaum konkurrenzfähig. Nur zwei bis drei Kautschukbäume finden sich auf einem Hektar Regenwald. Plantagen aber leiden in Südamerika seit jeher an einem Übel, mit dem Carlos Mattos heute noch ringt: Microcyclus ulei. Der kleine Schlauchpilz kann die Blätter des Kautschukbaums während jener etwa zwei Wochen langen Phase infizieren, in der sie neu sprießen. Im feuchten äquatorialen Klima hat er dazu das ganze Jahr Gelegenheit. Hevea brasiliensis wirft dort laufend Blätter ab und bildet neue. Im Urwald hält der weite Abstand der Bäume Pilz und Pflanze in einem ökologischen Gleichgewicht. Auf Plantagen dagegen wird der Infektionsdruck schnell so hoch, dass die Erträge in den Keller gehen. Berühmt-berüchtigt war das Fiasko von Henry Ford, der in den Zwanzigerjahren auf zwei riesigen Kautschukplantagen – Fordlândia und Belterra – in der Nähe der Stadt Santarém den Bedarf für seine Automobilwerke decken wollte. 1945 verkaufte Ford sein Land an die brasilianische Regierung. Missmanagement und vor allem Microcyclus hatten gesiegt.

Auch Reifen-Multi Michelin, der 1984 vom Konkurrenten Firestone im Süden Bahias 9000 Hektar Kautschukplantage übernahm, verkaufte 2004 mangels Rentabilität 5000 Hektar an ehemalige Angestellte. Auf dem Rest betreibt der Konzern heute ein ökosoziales Demonstrationsprojekt. „Ouro Verde Bahia“ (Grünes Gold Bahia) schützt Reste des Regenwalds und finanziert zusammen mit der französischen Forschungsorganisation CIRAD die Züchtung resistenter Kautschukbäume. CIRAD steht für Zentrum der internationalen Zusammenarbeit in der Agrarforschung für Entwicklungsländer.

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Robust, aber wenig Gummi

Im Visier ist mehr als ein lokales Problem: Die Kontinente Afrika und Asien hat Microcyclus ulei bis heute verschont. „ Warum, ist uns ein Rätsel“, kommentiert CIRAD-Forscher Dominique Garcia. Doch sollte er den Weg dahin finden, hätte die Automobilindustrie ein Problem. Experten gehen von einer Halbierung der Kautschukerträge weltweit aus. Garcia: „Die Baumvarianten in Asien und Afrika sind heute besonders empfindlich gegen den Pilz.“

Forschung in Brasilien soll die Lösung bringen. In Südamerika begleitet die Suche nach pilzresistenten Bäumen den Plantagenanbau seit den Tagen Henry Fords. Doch die Züchter stehen vor einem Zielkonflikt: Es gibt bei Hevea Varianten, die hohe Resistenz zeigen. Doch meist sind ihre Erträge schlecht. Wieder und wieder müssen Forscher daher resistente Sorten mit besonders ertragreichen kreuzen – in der Hoffnung, dass sich beide Eigenschaften in einigen Nachkommen kombinieren. Aus über 900 Pflanzenklonen, die Michelin 1984 von Firestone übernahm, hat die Gruppe um Carlos Mattos und Dominique Garcia seit 1992 ein gutes Dutzend neue Varianten gezogen, die hohe Erträge mit Resistenz verbinden. Es dauert 25 Jahre, bis solch eine neue Variante reif für den Anbau ist.

Am Anfang steht die kontrollierte Bestäubung zwischen zwei Baumlinien: eine mit hohen Erträgen, eine andere mit hoher Widerstandskraft. Aus den Samen werden im Gewächshaus Pflanzen gezogen, getestet, die meistversprechenden dann durch Pfropfen vermehrt, wieder getestet und wieder vermehrt. Die Besten der dritten Auswahlrunde werden in einem großen Feldversuch 15 Jahre lang auf Latex-Ertrag und Pilzresistenz untersucht. Dieser Versuch hat gerade Halbzeit, sieben Jahre sind vorbei: Es sind jene Bäume, die Carlos Mattos heute zeigt. Die Langzeitdaten eines guten Dutzends von Auswahlkandidaten bleiben abzuwarten. Mangels Alternativen werden Setzlinge von einigen trotzdem schon landesweit verteilt.

Gleichzeitig haben CIRAD-Forscher erstmals eine Karte der Chromosomen von Hevea brasiliensis aufgestellt und auf ihr die Lage von zehn Genen bestimmt, von denen sie wissen, dass ihre Aktivität einem Baum zu Pilzresistenz verhilft. Die genaue Sequenz der Gene ist allerdings noch unbekannt, CIRAD-Forscher wollen sie jetzt entschlüsseln. In einigen Jahren soll dies eine feinere und gezieltere Sortenzüchtung möglich machen (siehe Beitrag „Trotz Turbozucht geschmacklich eine Wucht“ in diesem Heft). Denn bislang gleicht die Suche nach Pilzresistenz einem Blindflug – die Forscher wissen nicht, welche Gene sie in Neuzüchtungen einbringen.

Je mehr Details der „extrem komplizierten Wechselwirkung zwischen Pflanze und Pilz“ (Garcia) die Forscher kennen, desto besser. Denn die Suche nach pilzresistenten Kautschukbäumen wird eine Daueraufgabe bleiben. „Der Pilz hat sich regelmäßig als noch anpassungsfähiger erwiesen und seit Jahrzehnten alle Resistenzen in Neuzüchtungen gebrochen“, bilanziert Paulo Gonçalves, Hevea-Spezialist am Instituto Agronômico (IAC) in Campinas im Bundesstaat São Paulo. Hier unten, im Süden des Landes, sieht man das Problem heute trotzdem recht gelassen.

pilzfrei nach blätterfall

Denn es gibt eine einfachere Lösung: „Der Pilz fasst hier auf vielen Flächen erst gar nicht Fuß“, berichtet Gonçalves. Dahinter steht eine Zufallsentdeckung: 1960 wichen die Kautschukanbauer auf der Flucht vor dem Pilz in das Landesinnere von São Paulo aus. Anders als in der ganzjährig feucht-warmen Äquatorialregion gibt es hier Jahreszeiten. Kühlere und trockenere Winter lassen den Baum seine Blätter auf einmal abwerfen, um bei wieder wärmeren Temperaturen alle auf einen Schlag neu zu bilden. Aufgrund größerer Trockenheit hat der Pilz dann kaum Chancen, den Baum zu befallen. Rund 60 Prozent der brasilianischen Kautschukproduktion kommen heute aus dem Staat São Paulo. 1500 Kilo Naturkautschuk pro Hektar liefern die Plantagen, das ist mehr als in vielen Zentren der Weltproduktion – Thailand (1100 Kilo), Indonesien (700 Kilo) oder Malaysia (1000 Kilo).

Schon peilen Fachgruppen beim brasilianischen Agrarministerium Selbstversorgung an, die Farmer sollen auf befallsfreien Flächen Kautschukbäume pflanzen. Gonçalvez: „Wir haben allein in São Paulo potenzielle Anbauflächen von 15 Millionen Hektar kartiert, frei von Microcyclus.“ Das Mutterland des Kautschukbaums liefert damit gleich zwei Rezepte für den möglichen weltweiten Ernstfall: die Suche nach genetischen Resistenzen und die Fahndung nach befallsfreien Flächen. ■

Bernhard Epping besuchte das Michelin-Projekt auf Einladung der Firma. Seine Eindrücke überprüfte und ergänzte er durch eigene Recherchen.

Bernhard Epping

Ohne Titel

· Der Schlauchpilz Microcyclus ulei könnte sich bis nach Afrika und Asien verbreiten.

· Pflanzenzüchter in Brasilien versuchen deshalb mit Hochdruck, Resistenz-Gene in neue Kautschuksorten einzukreuzen.

COMMUNITY Internet

Kautschukforschung international:

www.rubberstudy.com

Lesen

Die Geschichte des Kautschuks in Brasilien:

Warren Dean

Brazil and the Struggle for Rubber

A Study in Environmental History

Cambridge University Press, New York 1987 (vergriffen, noch antiquarisch erhältlich)

Ohne Titel

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