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CO2 VERWENDEN, NICHT VERGRABEN

Erde|Umwelt

CO2 VERWENDEN, NICHT VERGRABEN
Die Bundesregierung will, dass das von deutschen Kohlekraftwerken ausgestoßene Kohlendioxid sofort unter die Erde kommt. Chemiker sondieren indes Wege, das Klimagas als neuen Rohstoff zu nutzen.

„KOHLEKRAFTWERKE haben nur eine Zukunft, wenn sie weniger schädlich fürs Klima werden“, kommentierte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel im April 2009 einen just im Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf: Mit dem sogenannten CCS-Gesetz wird das Tor zur unterirdischen Speicherung von Kohlendioxid aus Kraftwerkabgasen offiziell aufgestoßen. „Wir müssen jetzt untersuchen, ob die CCS-Technik in industriellem Maßstab funktioniert“, fordert Gabriel. Das Gesetz soll künftig für die Betreiber Rechtssicherheit bei der Abscheidung, beim Transport und beim Einpressen des Treibhausgases in den Untergrund schaffen. CCS ist das Kürzel für „Carbon Capture and Storage“ (Kohlenstoff auffangen und lagern).

Nach dem CCS-Konzept muss das Kohlendioxid als Erstes von den anderen Rauchgasbestandteilen abgetrennt und dann in einem zweiten Schritt verflüssigt werden. Der dritte Schritt ist der Transport in „Klimaschutz-Pipelines“, wie der potenzielle Betreiber RWE Dea AG in Hamburg sie nennt: Das verflüssigte Treibhausgas wird von den Orten seiner Entstehung quer durch die Republik zu Speicherplätzen gepumpt, vor allem in der norddeutschen Tiefebene. Dort will man es, im vierten Schritt, mit Kompressoren in geeignete geologische Formationen pressen.

Wenn die Erprobung zufriedenstellend verläuft, könnte es also künftig heißen: ab unter die Erde mit dem CO2 aus Kraftwerkschloten. Fragt man den Chemiker Florian Ausfelder, ob ihn das freut, reagiert er mit „Ja und nein“. „Ja“, weil der Wissenschaftliche Referent in der Forschungs- und Projektkoordination bei der Dechema selbstverständlich nichts gegen Klimaschutz einzuwenden hat. Aber auch „nein“, weil seine intensive Beschäftigung mit dem Thema CO2 ihn daran hindert, das Verbuddeln für eine brillante Idee zu halten.

Oberste Priorität: Energiesparen

Ausfelder ist zusammen mit seinem Kollegen Alexis Bazzanella der Koordinator und Autor einer Studie, die den Titel „ Diskussionspapier – Verwertung und Speicherung von CO2″ trägt. Es ist eine kompakte Dokumentation des aktuellen Wissens rund ums Kohlendioxid. Die Dechema in Frankfurt am Main, Fachgesellschaft für 5800 Chemiker und Ingenieure in Deutschland, hat das Papier im Oktober 2008 veröffentlicht. Im Januar 2009 folgte ein zusammenfassendes „Positionspapier“ unter der Flagge von Dechema und VCI (Verband der Chemischen Industrie). Zentrale Thesen:

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· Die oberste Priorität hat die Vermeidung von CO2-Emissionen durch Energiesparen. Das ist aus der Sicht der Dechema allen anderen Optionen vorzuziehen – ausdrücklich auch dem Vergraben per CCS.

· In der Prioritätenskala gleich dahinter: CO2 sollte überall dort, wo es sinnvoll ist, als Kohlenstoff-Baustein für chemische Synthesen genutzt werden – „wertschöpfend“, für die Gewinnung hochwertiger Produkte. Die Verwertung hat ebenfalls Vorrang vor der Speicherung im Boden.

Florian Ausfelder kann sich ein Stück weit in die Position des Bundesumweltministers versetzen und räumt ein: „Wenn man bei der Reduzierung der CO2-Emissionen schnell etwas Vorzeigbares erreichen will, ist CCS derzeit der einzig gangbare Weg. Aber“, warnt der Frankfurter, „wenn man ihn tatsächlich ab 2020 auf breiter Basis einschlagen will, wird dieser Weg einen hohen Preis fordern.“

Von den bis zu 59 Prozent Wirkungsgrad, die moderne, fossil befeuerte Kraftwerke heute bei der Stromerzeugung bringen, würden die Abtrennung, der Transport und die Einlagerung des ausgestoßenen Kohlendioxids insgesamt 8 bis 12 Prozentpunkte kosten. Damit wären die Effizienzfortschritte vieler Jahrzehnte mit einem Schlag dahin. „Um mit einem Kraftwerk die gleiche Menge Strom zu erzeugen wie vor der CCS-Einführung, müsste man je nach Kraftwerk zwischen 16 und 26 Prozent mehr Kohle, Erdgas oder Erdöl einsetzen“, moniert Ausfelder. „Das würde die Rohstoffknappheit verschärfen. Außerdem würde es den Strom für die Endverbraucher dementsprechend verteuern und weitere CO2- Emissionen bei Förderung und Transport der Primärenergieträger verursachen.“ Ein Szenario, das die Dechema-Experten um Ausfelder nicht für erstrebenswert halten. Sie haben stattdessen das Motto ausgegeben: „So viel CO2-Emission einsparen wie irgend möglich.“ Und sie brechen eine Lanze für die stoffliche Nutzung. Aus CO2 machen Chemiker schon seit vielen Jahrzehnten eine Reihe von Produkten, von Dünger bis Industriechemikalien – allerdings bislang nur in relativ bescheidenem Umfang (siehe Tabelle „Was man mit CO2 anfangen kann“). Hier geht mehr, sagen die Dechema-Experten.

PEANUTS FÜR DIE ATMOSPHÄRE

Auf den ersten Blick sind die Mengenverhältnisse frustrierend. Jedes Jahr werden rund 28 Milliarden Tonnen des Treibhausgases aus menschengemachten Quellen in die Atmosphäre emittiert, die bereits rund 2,8 Billionen Tonnen davon enthält. Würde künftig weltweit in der Chemiebranche das gesamte Potenzial für Kohlendioxid in seiner neuen Rolle als kohlenstoffhaltiger Rohstoff ausgeschöpft, könnte man dadurch maximal 178 Millionen Tonnen CO2 irdisch binden und die Atmosphäre um diesen Betrag entlasten. Das ist wenig im Vergleich zur jährlichen Emission – nicht einmal ein Prozent. Doch das Dechema-Argument lautet: Wenn man dabei auf Wertschöpfung abzielt, kann man wenigstens einen Teil der kommenden Klimaschutzmaßnahmen volkswirtschaftlich querfinanzieren – durch die Herstellung stark werthaltiger Produkte aus Kohlendioxid, beispielsweise Polymere oder Pharmawirkstoffe.

CO2-PRODUKT GEGEN BRUMMSCHÄDEL

Dass das geht, beweist ein Klassiker unter den Medikamenten: die Acetylsalicylsäure (ASS), besser bekannt unter dem Präparatnamen Aspirin. „Die wenigsten Leute wissen, dass sie auch CO2 schlucken, wenn sie eine ASS-Kopfwehtablette einnehmen“, sagt Bernhard Rieger. „Aber Salicylsäure stellt man tatsächlich aus Phenol plus CO2 her.“ Der Chemie-Professor an der Technischen Universität München in Garching, Philip-Morris-Preisträger des Jahres 2006, unterstreicht: „Es sollte etwas Wertvolles herauskommen, wenn man schon Energie hineinstecken muss.“

Energie hineinstecken – das ist die große Crux, die bisher verhindert hat, Kohlendioxid umfassender einzusetzen: CO2 ist energiearm und, mit wenigen Ausnahmen, schwer zur Reaktion zu bewegen (siehe Interview im Anschluss an diesen Beitrag). Es lässt sich nur mit Partnern hohen Energieinhalts ein. Doch Rieger, Spezialist für Makromolekulare Chemie, sieht das nicht als unüberwindliches Hindernis. „Bisher ist die Natur die Einzige, die mit dem Chlorophyll in grünen Blättern durch Photosynthese aus CO2 etwas zu essen machen kann, nämlich Kohlenhydrate“, sagt er. „Und auch die Natur muss dazu Energie hineinstecken, in Form von Sonnenenergie. Davon können wir etwas lernen.“ Zum Beispiel, indem die Chemiker versuchen, sogenannte Photokatalysatoren zu entwickeln, in deren Gegenwart etwa in Wasser gelöstes CO2 unter Einstrahlung von Sonnenlicht zu Kohlenmonoxid und Wasserstoff reagiert. Aus diesen Reaktionsprodukten könnte man Methanol machen. „Die Photokatalyse ist allerdings noch reine Grundlagenforschung“, betont Rieger.

Sehr viel näher an der Anwendung ist das Hauptthema, das der Garchinger Chemie-Professor mit seinen Mitarbeitern verfolgt: aus Kohlendioxid Polymere machen – Werkstoffe für den Alltagsgebrauch. Die von Rieger ersonnenen Verfahren, für die er an Patenten beteiligt ist, laufen unter milden Bedingungen ab. Er erklärt: „Wir entwickeln neue Katalysatoren, mit denen wir zum Beispiel energiereiches Propylenoxid mit CO2 zu transparenten, sehr widerstandsfähigen Varianten des Polymers Polypropylencarbonat umsetzen. Das kann ein echtes Massenprodukt werden. Vielleicht konkurriert es einmal mit dem Erdölprodukt PET, aus dem heute viele Getränkeverpackungen bestehen.“

DER JAPANISCHE WEG: METHANOL

Dass so etwas ohne energiereiche und – wenn klimaunschädlich erzeugt – teure Reaktionspartner vorläufig nicht geht, stört Rieger kein bisschen: „Falls es in den kommenden Jahren aus Klimaschutzgründen eminent wichtig wird, möglichst viel CO2 zu binden, wird die Kostenfrage viel weniger relevant als heute.“ Andere sähen das offensichtlich ebenso, erklärt der Garchinger: „ Der japanische Chemiekonzern Mitsui baut gerade eine Anlage auf dem Werksgelände in Osaka, in der ab 2010 aus CO2 und photovoltaisch erzeugtem Wasserstoff jährlich 100 Tonnen Methanol hergestellt werden sollen.“

„Natürlich ist das teurer als die eingeführten Verfahren“, sagt Rieger. „Aber Mitsui macht so etwas doch nicht ohne Grund, das sind keine Träumer.“ Für ihn kehre sich die Logik der Dinge um: CO2 stofflich zu nutzen, könne das Weltklima nicht retten. Aber weil im Zuge der Klimaschutzmaßnahmen demnächst vielerorts auf der Welt große Mengen reinen Kohlendioxids gesammelt würden, „ bekommen wir Zugang zu einem neuen Rohstoff, den wir nicht einmal mehr ausgraben müssen“. ■

von Thorwald Ewe

KOMPAKT

· Kohlendioxid ist generell nur mit sehr energiereichen Partnern zu einer chemischen Reaktion zu bewegen.

· Trotz dieses Handicaps prüfen Chemiker, wie man es stärker nutzen könnte.

· Denn künftig wird viel aus Klimaschutzgründen gesammeltes CO2 verfügbar sein.

WAS MAN MIT CO2 aNFANGEN KANN

Synthese von Chemikalien

Synthese von Polymeren

Umwandlung in Biomasse: Zucht von Mikroalgen sowie Aufforstung

Synthese von Kraftstoffen

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Detailreiches, exzellentes Diskussionspapier der Dechema vom Oktober 2008: Florian Ausfelder, Alexis Bazzanella VERWERTUNG UND SPEICHERUNG VON CO2 Aus dem Internet herunterladbar unter: www.dechema.de/ Publikationen+und+Datenbanken/ Studien+und+Positionspapiere.html

Kurzfassung als Positionspapier von Dechema und VCI, Januar 2009: Derselbe Titel wie oben, dieselbe Quelle auf der Dechema-Webseite.

RAN ANS CO2-PROBLEM bdw-plus, Beilage in bild der wissenschaft 6/2007

Erfrischende Zusammenstellung von naturwissenschaftlichen Fakten und Geschichten zum Thema CO2, originell ergänzt durch Anleitungen zu Experimenten: Jens Soentgen, Armin Reller CO2 – LEBENSELIXIER UND KLIMAKILLER Stoffgeschichten, Band 5 oekom bei Hanser, München September 2009, € 24,90

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