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DAS SCHÖNE GESCHLECHT – WARUM DIE FRAU?

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DAS SCHÖNE GESCHLECHT – WARUM DIE FRAU?
Im Tierreich machen sich die Männchen für die Weibchen hübsch. Seltsamerweise ist das beim Menschen anders.

Neulich in der S-Bahn. Ein Pärchen Anfang Zwanzig. Er: „Was machen wir heute Abend?“ Sie: „Fernsehen. Heute läuft doch ‚ Germany’s Next Topmodel‘.“ Er: „Ach, ist schon wieder Donnerstag? Für mich ist das ja nix.“ Was geht da ab? Sie, dem Anschein nach eine junge Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht, verfolgt Woche für Woche eine Show, in der es darum geht, die Kandidatin zu küren, die am attraktivsten über einen Laufsteg stöckeln kann. Etwas, für das er sich anscheinend gar nicht interessiert. Sind Frauen vom Schönheitswahn besessen?

Fast will es so scheinen. Abgesehen von ein paar versprengten Naturvölkern, bei denen sich die Männer schmücken, während die Frauen schuften, ist körperliche Schönheit weltweit eine Domäne der Frauen – und Model ein Traumberuf vieler Mädchen. Das hat Folgen: Jedes zweite Mädchen zwischen 14 und 17 in Deutschland fühlt sich zu dick, stellte kürzlich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fest. Und jedes dritte zeigt ein gestörtes Essverhalten, ermittelte das Robert-Koch-Institut. „Der weibliche Schlankheitswahn ist die größte Massenpsychose der Welt“ , empört sich die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer. Dabei ist der Kampf um die Figur nur eine Facette des Mühens um Schönheit. Mode, Frisur, Kosmetik, Schmuck und die dazugehörigen Zeitschriften sind dem weiblichen Geschlecht ebenfalls viel Zeit und Geld wert.

Allein 1,6 Milliarden Euro verdienen Deutschlands Schönheits-Chirurgen im Jahr – vorwiegend an der Frau. „Ist das angeboren?“, fragt sich da jeder biologisch Interessierte. Steckt ein Naturgesetz dahinter, dass Frauen das schöne Geschlecht sind – und bleiben wollen? Die verblüffende Antwort ist: Man weiß es nicht. Denn in der Tierwelt, der wir ja schließlich entstammen, ist es fast durchweg umgekehrt: Das Männchen schmückt sich und konkurriert mit anderen Männchen darum, der Schönste zu sein. Das Weibchen trifft die Wahl.

HAUTLAPPEN UND TARNKLEID

„Wenn die beiden Geschlechter voneinander in der äußeren Erscheinung abweichen“, formulierte es Charles Darwin, „so ist es durch das ganze Tierreich hindurch das Männchen, welches, mit seltenen Ausnahmen, hauptsächlich modifiziert worden ist.“ Es trägt Farben, Muster, Kamm, Hautlappen, Bart oder Geweih. Das Weibchen trägt dagegen Tarnkleid. Darwin bringt diesen Unterschied mit den „stärkeren Leidenschaften“ der männlichen Tiere in Verbindung, die zumeist den Weibchen nachstellen und nicht umgekehrt. „Aber viele männliche Vögel verfolgen nicht nur die Weibchen, sie entfalten auch ihr Gefieder, führen fremdartige Gesten auf und lassen ihren Gesang in Gegenwart der Weibchen erschallen.“

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Vergleichbare Verhaltensweisen findet der Altmeister der Evolutionslehre bei Krebsen, Fischen, Kriechtieren und bei Säugern, etwa Hirschen und Affen. Aber am häufigsten eben beim Federvieh: „Wenn man sieht, wie männliche Vögel mit Vorbedacht ihr Gefieder und dessen prächtige Farben vor den Weibchen entfalten, während andere, nicht in derselben Weise geschmückte Vögel sich nicht so aufführen, kann man unmöglich zweifeln, dass die Weibchen die Schönheit ihrer männlichen Genossen bewundern.“

Dass sie es tatsächlich tun, konnten Darwins Nachfolger experimentell beweisen. Malte Andersson von der Universität Göteborg reiste im November 1981 nach Kenia, um fünf Monate lang den langschwänzigen Witwenvogel zu beobachten, bei dem das Männchen eine riesige Schwanzschleppe aus schwarzen Federn mit sich herumträgt. Andersson fing 36 Männchen ein und rückte ihnen mit Schere und Sekundenkleber zu Leibe. „Den einen kürzt er den Schwanz um die Hälfte, den anderen verhilft er mit dem so gewonnenen Material zu superlangen Schleppen“, beschreibt Ulrich Renz in seinem Buch „Schönheit – eine Wissenschaft für sich“ den entscheidenden Versuch. Später durchkämmte der Forscher das Gelände nach Nestern und Eiern – und stellte fest: „Die Vögel mit den verlängerten Schwänzen hatten deutlich mehr, die mit den verkürzten dagegen deutlich weniger Gelege in ihren Territorien als die naturbelassenen.“ Die Weibchen hatten mit ihrer Wahl Darwins Idee der „geschlechtlichen Zuchtwahl“, der sexuellen Selektion, eindrucksvoll bestätigt.

Das Weibchen sei das wählerische Geschlecht, postulierte auch William Bateman 1948, weil es in seine Eier mehr Energie investiere als das Männchen in die Spermien. Dem Weibchen müsse daran gelegen sein, für sein kostbares Ei den besten Befruchter zu finden – und da müssten sich die Männchen eben anstrengen. Doch warum Ornamente? Warum Augen im Schwanzgefieder wie beim Pfau oder ein roter Bauch wie beim Stichling?

Evolutionsbiologen haben auch dafür eine Reihe von Erklärungen parat – mit klangvollen Namen wie Runaway-Hypothese, Gute-Gene-Hypothese, Parasiten-Hypothese und Handicap-Prinzip (bild der wissenschaft 1/2008, „Amotz Zahavi – der Vogelversteher). Sie versuchen zu begründen, warum im Tierreich die Männchen das schöne Geschlecht sind. Doch das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen. Und nun gar der umgekehrte Fall, der zwar selten ist, wie schon Darwin bemerkte, aber vorkommt: „Bei Vögeln findet sich zuweilen eine vollständige Transposition der jedem Geschlecht gewöhnlich eigenen Charaktere“, schreibt der Brite. „Die Weibchen sind in ihren Bewerbungen viel gieriger geworden, die Männchen bleiben vergleichsweise passiv, wählen sich aber doch die anziehendsten Weibchen aus.“

ZUM KUCKUCK MIT DER Vielmännerei

Das Vogelweibchen hat sich zum Macho gemausert. Einen solch seltenen Fall hat vor Kurzem der Vogelkundler Wolfgang Goymann vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Andechs untersucht: den afrikanischen Grillkuckuck, einen Verwandten des europäischen Kuckucks, der im Grasland lebt. Bei diesem sonderbaren Vogel sind die Weibchen nicht nur um 40 Prozent größer und um 70 Prozent schwerer als die Männchen, nein sie schmücken sich auch mit einem prachtvollen rostroten Brutgefieder. Außerdem sichern sie sich große Territorien, deren Besitz sie durch anhaltenden Gesang verkünden. Jedes andere Weibchen jagen sie davon, Männchen sind dagegen willkommen – bis zu drei Gatten, denn beim Grillkuckuck herrscht Polyandrie.

Die Männchen bauen ihre Nester im Revier des Weibchens, das bis zu sieben Eier in jedes davon legt. Dann sind wieder die Männchen dran: „Nur der Vater brütet die Eier aus und versorgt die hilflosen Jungen während ihrer zwei Wochen dauernden Nestlingszeit, aber auch noch wenige Wochen danach, mit Nahrung“, berichtet Goymann. Zusammen mit seiner Kollegin Cornelia Voigt hat er herausgefunden, mit welchem biochemischen Trick das Weibchen sein Verhalten derart programmiert: In einem Hirnbereich, der Revierverhalten und Aggression steuert, entstehen mehr Rezeptoren für Testosteron als bei seinem männlichen Gegenstück. So wird es für das „männliche“ Hormon an dieser Stelle empfindlicher, ohne dass sein ansonsten weiblicher Hormonhaushalt durcheinander gerät. Eine tolle Erfindung!

Wie die Grillkuckuckdamen ihr Aussehen manipulieren, hat Goymann nicht untersucht, aber er weiß: „Bei Männchen sind auffällige Färbungen immer testosteroninduziert.“ Aber: Lässt sich der Befund auf den Menschen übertragen? Sind Supermodels etwa testosterongesteuert? Goymann: „Ich tippe eher darauf, dass hier Östrogen eine Rolle spielt.“ Ein Indiz: Psychologinnen haben herausgefunden, dass Frauen während ihres Eisprungs mehr Haut zeigen als zu Zeiten, die für eine Empfängnis nicht so günstig sind. „Sie tragen dann häufiger Röcke und kleiden sich modischer“ , sagt Martie Haselton von der University of California in Los Angeles, die eine Fotostudie dazu gemacht hat. Dabei fanden selbst neutrale Gutachter, die nur die Fotos der Frauen zu sehen bekamen, die Outfits während der Zeit des Eisprungs attraktiver als die Kleidung sonst. Die Macht der Hormone!

VON WEGEN KNECHTSCHAFT

Charles Darwin hat wohl falsch gelegen, als er den Schönheitskult der Frauen auf die Unterdrückung durch die Männer zurückführte: „Der Mann ist an Körper und Geist kraftvoller als die Frau, und im wilden Zustande hält er dieselbe in einem viel unterwürfigeren Stand der Knechtschaft, als es das Männchen irgendeines anderen Tieres tut: Es ist daher nicht überraschend, dass er das Vermögen der Wahl erlangt hat.“ Heutige Evolutionspsychologen gehen meist davon aus, dass beim Menschen beide Geschlechter die Wahl haben, weil neben der Mutter auch der Vater kräftig in den Nachwuchs investiert. Dabei legen Männer in fast allen menschlichen Kulturen mehr Wert auf das Aussehen des Gegenübers als Frauen. Das hat eine Untersuchung von David Buss im Jahr 1990 gezeigt: Der Psychologe aus Texas fand in 34 von 37 untersuchten Ländern ein stärkeres Interesse der Männer an körperlicher Attraktivität und gutem Aussehen der Frauen als umgekehrt. Eine mögliche Erklärung aus evolutionsbiologischer Sicht lautet: Der Mann achtet vor allem auf Zeichen der Gesundheit und des „richtigen Alters“ zum Kinderkriegen – Zeichen, die bei der Frau leicht am Körperbau abzulesen sind.

Es ist also durchaus sinnvoll für die Menschenfrauen, mithilfe ihrer Schönheit zu konkurrieren. Doch worum konkurrieren sie genau? Das ist auch bei Tieren häufig nicht klar. In einer aktuellen Übersichtsarbeit über „Sexuelle Selektion bei Männchen und Weibchen“ schreibt der englische Zoologe Tim Clutton-Brock: „ Wegen ihres größeren energetischen Investments in Keimzellen und Elternschaft konkurrieren Weibchen häufiger miteinander um den Zugang zu Ressourcen, die für eine erfolgreiche Reproduktion nötig sind – etwa Brutplätze, Betreuung der Jungen und sozialen Rang –, als um den Zugang zu den Keimzellen des anderen Geschlechts.“

Auf die Frau übertragen, hieße das versuchsweise: Es geht ihr nicht so sehr darum, schwanger zu werden, sondern es geht ihr um das Haus, die Kindergartengebühren und den sozialen Aufstieg. Um einen, der das Nest baut und sich um den Nachwuchs kümmert. Doch da sie selbst ihren Teil zur Brutpflege beisteuert, besteht eigentlich kein Grund, es mit dem Schönheitskult zu übertreiben. Warum sie es dennoch tut, wird wohl ein Rätsel bleiben. ■

von Judith Rauch

KOMPAKT

· Mit eindrucksvollem Gefieder oder Fell konkurrieren fast alle männlichen Tiere um ihre Weibchen.

· Beim Menschen ist die Pflege der Schönheit meist Frauensache.

· Wissenschaftler vermuten, dass hier die sexuelle Selektion teilweise umgekehrt abläuft.

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