In Ozeanen, Seen und Tümpel bis hin zum heimischen Aquarium: Cyanobakterien bevölkern die Erde schon seit mehr als 2,5 Milliarden Jahren und kommen überall dort vor, wo es Licht und Feuchtigkeit gibt. Wie bei den höheren Pflanzen ist ihre Energiequelle das Licht – sie betreiben Fotosynthese. Obwohl sie nur aus einer einzigen Zelle bestehen, sind sie dabei in der Lage, direkt und präzise auf eine Lichtquelle zuzuströmen. Doch wie genau funktioniert diese Lichtwahrnehmung? Das fragen sich Biologen bereits 300 Jahren.
Ein Mittagessen führt zum cleveren Nachweisverfahren
Ein internationales Forscherteam ist dem Sehvermögen der grünen Mikroben jetzt erneut auf den Grund gegangen und hat offenbar nun das Prinzip tatsächlich aufgeklärt: Wie bei einem Augapfel trifft das Licht demnach auf die Oberfläche der runden Einzeller, wo es wie durch eine mikroskopisch kleine Linse gebrochen wird. Dadurch entsteht ein Brennpunkt auf der gegenüberliegenden Seite der Zelle. Dies aktiviert im Bereich des Lichtpunkts winzige Fortsätze an der Zelloberfläche, deren Bewegungen das Bakterium in Lichtrichtung vorwärtstreiben.
Diesem Prinzip der Lichtwahrnehmung kamen die Forscher durch ein raffiniertes Nachweisverfahren auf die Spur. Wie erstaunlich häufig in der Wissenschaft gab dabei offenbar ein Gespräch beim Mittagessen den Anstoß, wie Jan Gerrit Korvink vom Karlsruher Institut für Technologie berichtet: „Conrad Mullinieux von der Queen Mary University London besuchte uns gerade und fragte mich, ob ich einen Weg wüsste, den Brechungsindex eines winzigen Bakteriums zu messen. Der Brechungsindex beschreibt eine wesentliche optische Eigenschaft von Linsen, die das Licht brechen. Zunächst musste ich ihn enttäuschen: Bakterien mit einem Durchmesser von drei Mikrometern sind so klein, dass schlicht geeignete Geräte fehlen, um so eine Messung vorzunehmen. Doch die Frage ließ mir keine Ruhe. Und schließlich kam mir eine Idee“, berichtet Korvink.
Wie winzige Augäpfel
Er und sein Team beschichteten eine flache etwa zehn Zentimeter große Scheibe aus Silizium mit einer extrem dünnen Schicht eines sogenannten Photo-Polymers. Dieses Material härtet aus, wenn es ultraviolettem Licht ausgesetzt wird. Anschließend setzten sie einige Cyanobakterien auf das Polymer und ließen UV-Licht auf die Platte fallen. Ergebnis: „Überall, wo keine Bakterien platziert waren, fiel das Licht gleichmäßig auf die Scheibe und auch das Polymer härtete gleichmäßig aus. Aber in Bereichen mit Bakterien wurde das Licht gebündelt. Es formte einen konzentrierten Nanojet aus Photonen, so dass das Polymer unterhalb der Bakterien in einem bestimmten Muster aushärtete“, erklärt Korvink. Letztlich konnte das internationale Forscherteam dann mithilfe einer Simulation die genauen Lichtbündelungseigenschaften der Cyanobakterien bestimmen. Weitere Untersuchungen bestätigen zusätzlich, dass ein einzelnes Cyanobakterium tatsächlich wie ein winziger Augapfel das Licht bündelt.
„Cyanobakterien sind die ersten bekannten Organismen, die wir aus fossilen Funden kennen“, sagt Korvink. „In einer – zugegeben – sehr primitiven Form funktionieren die Bakterienzellen wie winzige Augäpfel. Möglicherweise war es also das erste Mal in der Evolutionsgeschichte, dass sich mit der Entstehung der frühen Cyanobakterien ein mit dem Linsenauge vergleichbarer Mechanismus zur Lichtwahrnehmung entwickelt hat. Ein spannender Gedanke“, so der Wissenschaftler.