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Die Macht der Akustik

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Die Macht der Akustik
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Die Stimme ist nicht nur bei Sängern wichtig: Der Klang des Gesprochenen bestimmt in unserem Alltag stark, welche Eigenschaften wir dem Sprecher zuschreiben. Bild: eriwst, flickr.com, cc-by-Lizenz
„Ich liebe dich.“ Sagt er zu ihr, die Arme um ihre Schultern geschlungen, die Gesichter nur eine Handbreit voneinander entfernt. Aber irgendetwas passt nicht. Seine Worte klingen weniger voll als sonst. Ihnen fehlt die Wärme. Seine Stimme verrät, dass etwas nicht stimmt. Das Liebesbekenntnis ist eine Lüge. „Wir haben sehr sensible Antennen, wenn etwas Gesagtes unauthentisch klingt“, erklärt Michael Fuchs, Phoniater von der Universität Leipzig.

Die Stimme offenbart sowohl die Stimmung des Sprechers als auch seine Persönlichkeit. Sie lässt sich trainieren, aber nicht manipulieren. Zumindest bleibt sie dem Wesen ihres Urhebers treu. Bei Verunsicherung dünnt sie aus und wackelt. Sie wird fest und voll, wenn wir zutiefst von etwas überzeugt sind. Bei Panik schießen die Töne schrill hervor. „Wenn ich etwas Geheimnisvolles sage, dann werde ich etwas leiser sprechen“, verdeutlicht Fuchs flüsternd. Bei Aufregung wird man kurzatmiger, spricht leiser und mit zittriger Stimme. Der Zuhörer weiß sofort um die Nervosität des Redners.

Nur ein Fünftel einer Sekunde dauert es, bis der Sprecher anhand seiner Stimme eingeordnet ist. Nervös oder entspannt, Kind oder Greis, Mann oder Frau. Die Neuronen im Gefühlszentrum des Gehirns filtern diese Informationen rasend schnell. Die Stimme ist Studien zufolge fünfmal wichtiger als der Inhalt des Gesagten.

Wie Menschen sprechen und aufgrund dessen wahrgenommen werden, ist aber auch soziokulturell überformt. Hohe Stimmen stehen bis heute für Weiblichkeit, tiefe suggerieren Männlichkeit. Das mag einerseits rein biologische Ursachen haben. So sprechen Frauen fast überall auf der Welt im Schnitt höher als Männer. Doch andererseits beeinflusst auch das Rollenverständnis, welchen Ton Sie oder Er anschlagen.

So sind die Stimmen der Frauen in den vergangenen Jahren tiefer und voller geworden, eine Folge der Emanzipation, wie Sprachwissenschaftler schlüssig darlegen. Piepsende und flötende Mädchenstimmen aus Filmen des frühen 20. Jahrhunderts klingen heute nicht mehr zeitgemäß. Sprachwissenschaftlerin Edith Slembeck von der Universität Lausanne hörte sich amerikanische Managerinnen an und wies nach, dass sie heute durchweg mit tieferer Stimme sprechen. „Politikerinnen und Managerinnen senken im Laufe ihrer Karriere ihre Tonlage deutlich ab“, ergänzt Corinna Herr, Musikwissenschaftlerin und Genderforscherin an der Katholischen Akademie in Schwerte. Die Frauen wirken dadurch überzeugend und selbstbewusst. Ihr Wort hat Gewicht.

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Doch damit endet der stimmliche Aufbruch der Geschlechter auch schon. Eine Frau, die in ähnlich tiefer Tonlage wie ein Mann spricht, hat auch heute noch ein Problem, weiß Fuchs. „Die Frauen leiden oft darunter.“ Am Telefon werden sie mit „Guten Tag, Herr …“ begrüßt. Stellt die Adressatin das Missverständnis richtig, schweigt das Gegenüber oft peinlich berührt, weil mit der Verwechselung vermeintlich die Weiblichkeit in Frage gestellt wird. „Das ist ein Erbe des 19. Jahrhunderts, in dem sich die Geschlechterrollen derart versteift haben. Eine Frau mit einem etwas männlicheren Auftreten war damals widernatürlich, was in früheren Jahrhunderten übrigens nicht immer so war“, erläutert Herr.

Ausnahmen bestätigen die Regel. Nur wenige Frauen konnten ihre ausgesprochen tiefe, teils auch raue Aussprache zum Markenzeichen entwickeln. Schauspielerin Mechthild Großmann erreicht mit ihrer tiefen Stimme als Staatsanwältin Wilhelmine Klemm im Münsteraner „Tatort“ ein Millionen-Publikum. „Das ist ein glückliches Zusammentreffen“, sagt Fuchs.

In seine Klinik kommen jedoch oft Frauen mit ungewöhnlichem Bass, die sich behandeln lassen wollen, um den Erwartungen entsprechend weiblicher zu klingen. In manchen Fällen sorgt eine Wassereinlagerung der Stimmlippen dafür, dass sie rauer und tiefer reden. „Das wird oft mit etwas Verruchtem und einem unsittlichen Lebenswandel assoziiert“, sagt Fuchs. „Wenn sie mit solch einer Stimme, in einem Beruf arbeiten müssen, in dem sie Babysachen verkaufen, dann haben sie unter Umständen schlechtere Karten als andere Frauen“, schildert er. Die Erkrankung, auch Reinke-Ödem genannt, lässt sich allerdings behandeln – bei milden Verläufen mit Stimmtraining, bei ausgeprägten Symptomen mit einem chirurgischen Eingriff, bei dem die Stimmbänder verschlankt werden.

Bei männlichen Stimmen werden noch weniger Abweichungen von der Norm toleriert. Einzig auf den Bühnen der Welt dürfen Countertenöre ihr Talent im Falsett zum Besten geben und Popstars wie „Prince“ die Geschlechterrollen in hoher, vermeintlich femininer Tonlage karikieren.

Doch ein Manager, der mit Fistelstimme die Jahresbilanz vorstellt, wird mindestens fragende Blicke ernten, wenn nicht Gespött auf sich ziehen. „Ich fürchte, da wird sich die nächsten 30 Jahren nicht so sehr viel ändern“, quittiert Corinna Herr.

Noch immer werden die Rollen mächtiger und weiser Männer in Filmen mit Schauspielern mit Bass- oder Baritonstimme besetzt. Und noch immer bevorzugen Frauen Ihn mit voll und tief klingendem Organ. Das signalisiere Männlichkeit, gute hormonelle und genetische Konstitution und Durchsetzungsvermögen, interpretiert Psychologin Sara Evans von der Northumbria University in Newcastle upon Tyne, die das in Studien untersucht hat.

Suchen Frauen stimmlich tatsächlich heute noch den ellbogigen Macho? War das nicht vorgestern? Die Emanzipation ist zwar im Bewusstsein vieler Menschen angekommen, aber vor dem Unbewusstsein hat sie offenbar kehrt gemacht, meint Corinna Herr. Und Stimmen beurteilen wir nun einmal fast immer unbewusst.

Eine Stimme, die nicht ins Raster passt, stürzt manche Träger sogar in eine Identitätskrise, berichtet Fuchs. An die Leipziger Klinik lassen sich Menschen operieren, weil sie anders sprechen wollen. Erst kürzlich suchte ihn ein Rentner auf, dessen Stimme behaucht und brüchig geworden war – eine normale Folge des Alterns. Die Elastizität der Stimmlippen lässt nach. Der ältere Herr wollte jedoch Stadtführungen anbieten und sich dafür laut und auch männlich artikulieren. Mit einem phonochirurgischen Eingriff wurde seine Stimme verjüngt. Bei diesem Antiaging werden die Stimmlippen entweder mit körpereigenem Fett aufgespritzt, damit sie wieder praller sind und elastischer schwingen. Zehn bis fünfzehn Milliliter Fett werden dazu aus der Bauchregion entnommen, erläutert Fuchs. Alternativ wird ein Stück des Kehlkopfknorpels entfernt und die Stimmlippen zusammengerückt, damit sie sich berühren, was für das Erzeugen eines vollen Klangs notwendig ist.

Fuchs kennt auch Jugendliche, die trotz Stimmbruch weiterhin wie Knaben reden. „Die werden natürlich gehänselt. Das ist extrem belastend“, sagt er. Dahinter steckt fast immer eine gestörte Mutter-Sohn-Beziehung, führt er aus, bei der beide sich nicht voneinander lösen können. Mit einer Psychotherapie und begleitendem Stimmtraining entwickeln die Heranwachsenden dann allmählich ihre Erwachsenenstimme. Sollte der junge Mann aber schlichtweg eine ungewöhnlich hohe, natürliche Tonlage haben, können die Mediziner das ebenfalls feststellen. „Es ist eine Gabe“, erkennt Fuchs an, „aber dieser Mann wird es nicht leicht haben.“

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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