Die Grundlage der Studie der Forscher um Eric Delwart von der University of California in San Francisco bildeten Bohrkerne aus einem Eisfeld in den kanadischen Selwyn Mountains. Die Forscher interessierten sich für die Schichten von Karibu-Kot, welche die Tiere hier im Verlauf vieler Jahrhunderte hinterlassen haben. Im Sommer suchen die Tiere diese Eisflächen nämlich manchmal gezielt auf, um sich Kühlung zu verschaffen oder um den lästigen Stechmücken zu entgehen. Bei ihren Aufenthalten hinterlassen sie natürlich auch ihre Geschäftchen – die Überreste ihrer Pflanzenmahlzeiten.
Zurück im Labor unterzogen die Forscher den gefrorenen Kot speziellen Verfahren, die es ermöglichten, genetisches Material zu extrahieren. Mit genetischen Methoden gelang es ihnen anschließend auch, gezielt Erbgut von Viren in den Proben aufzuspüren: Die Forscher entlockten einer Kotschicht, die vor 700 Jahren entstanden war, genetisches Material von zwei Viren.
„Lazarus-Virus“ befällt Pflanzen nach 700 Jahren
Vergleiche mit genetischen Datenbanken legten für das eine nahe, dass es sich um ein Insekten-typisches Virus handelt. Möglicherweise gelangte es durch Fliegen auf den Kot. Bei dem zweiten Virus ergaben die Datenbank-Recherchen hingegen eine Verwandtschaft mit Erregern, die Pflanzen beziehungsweise Pilze befallen. Dies legte nahe, dass es sich um ein Virus gehandelt hat, das die Tiere einst mit ihrer Nahrung aufgenommen hatten. So entschlossen sich die Forscher zu einer praktischen Überprüfung dieser Vermutung.
Sie versetzten das Virus dazu wieder in einen infektiösen Zustand und verpassten es unter Laborbedingungen Tabakpflanzen. Ergebnis: Die Versuchspflanzen entwickelten tatsächlich Symptome an ihren Blättern. Den Forschern war es also gelungen, aus dem 700 Jahre alten genetischen Material wieder ein funktionstüchtiges Virus auferstehen zu lassen. Den Wissenschaftlern zufolge belegt dies, dass virales Erbgut unter bestimmten Bedingungen durchaus lange Zeiträume ohne große Schäden überdauern kann. Somit sind im entsprechenden Glücksfall sogar Untersuchungen von Symptomen historischer Virenstämme möglich.