Nachts sind alle Katzen grau, heißt es – bei schwachem Licht versagt bekanntlich unsere Farbwahrnehmung. Doch offenbar gilt das nicht für alle Wirbeltiere: Forscher haben bei Tiefseefischen ein visuelles System entdeckt, durch das die skurrilen Wesen selbst schwachem Licht noch Farbinformationen abgewinnen können. Vermutlich unterscheiden sie dadurch die verschiedenen Lichtsignale der biolumineszenten Organismen in ihrem dunklen Lebensraum, sagen die Forscher.
Sehen können wir zwar noch, aber von der Farbenpracht des Tages ist im Dämmerlicht nichts mehr übrig – bisher ging man davon aus, dass dies an einem grundlegenden Konzept des Sehsystems bei den Wirbeltieren liegt. Das Farbensehen basiert dabei auf dem Zusammenspiel von unterschiedlichen Sehpigmenten in den Zapfenzellen der Netzhaut, die auf bestimmte Wellenlängen des Lichts reagieren. Durch diese Zellen können Wirbeltiere unterschiedliche Farben wahrnehmen – aus den Mischungen ergeben sich dann die bunten Eindrücke beim Blick in die Umwelt. Doch diese Farbwahrnehmung funktioniert nur bis zu einer gewissen Lichtstärke.
Schwaches Licht liefert normalerweise ein Schwarz-Weiß-Bild
Bei Dunkelheit können Wirbeltiere das schwache Licht nur noch mittels einer zweiten Version der Sehzellen erfassen: durch die lichtempfindlicheren Stäbchenzellen. Bis jetzt war von diesen Einheiten allerdings nur eine einzige Form des Sehpigments mit der Bezeichnung Rhodopsin bekannt. Da die Stäbchenzellen somit keine Pigment-Palette bieten, galt bisher: Sie können keine verschiedenen Wellenlängen unterscheiden – so kann schwaches Licht nur ein Schwarz-Weiß-Bild liefern.
Doch wie sich nun herausgestellt hat, ist dies nicht allgemein gültig. Die neuen Informationen basieren dabei auf einer DNA-Analyse: Ein internationales Forscherteam hat 101 Genome von Fischen analysiert, darunter Arten, die in einer Wassertiefe von bis zu 1500 Metern leben. Bei 13 dieser Tiefseefische stießen die Wissenschaftler auf eine erstaunliche genetische Besonderheit: Statt nur einem besitzen sie mehrere Rhodopsin-Gene und somit offenbar auch verschiedene Versionen des Sehpigments. Einer dieser Fische – der Silberkopf (Diretmus argenteus) – besitzt sogar 38 Versionen des Rhodopsin-Gens, berichten die Forscher. „Damit ist der im Dunkeln lebende Silberkopf das Wirbeltier mit den am Abstand meisten Genen für Sehpigmente“, sagt Co-Autor Walter Salzburger von der Universität Basel.
Ein buntes Bild der Lichter der Tiefe
Dass die unterschiedlichen Rhodopsin-Gene der Tiefseefische tatsächlich die Grundlage für unterschiedlich farbempfindliche Sehzellen bilden, konnten die Forscher durch Computersimulationen und funktionelle Experimente an Rhodopsin-Proteinen belegen, die sie im Labor hergestellt haben. Somit zeichnet sich ab: Silberkopf und Co können in ihrem Lebensraum Farben unterscheiden. „Es scheint, als ob diese Tiefseefische mehrmals unabhängig voneinander diese auf vielen Rhodopsin-Kopien basierte Form des Sehens entwickelt haben“, sagt Salzburger.
Doch was sehen die Fische in einer Welt, in die kaum oder gar kein Licht von der Oberfläche mehr vordringt? Wie die Forscher erklären, decken die unterschiedlichen Pigmente genau diejenigen Wellenlängenbereiche ab, die biolumeneszente Lebewesen der Tiefsee erzeugen. Biolumineszenz bezeichnet die Fähigkeit, selbst oder mithilfe von anderen Organismen Licht zu erzeugen. So lockt etwa der berühmte Anglerfisch mit seinen Leuchtorganen Beutefische an, aber auch viele andere Organismen erzeugen eigenes Licht für verschiedene Zwecke.
„Biolumeneszenz erscheint in vielen unterschiedlichen Farbnuancen“, erklärt Co-Autor Fabio Cortesi von der University of Queensland in Brisbane. „Auch dort unten kann es für das Überleben vorteilhaft sein, einen potenziellen Räuber oder eine mögliche Beute zu erkennen“, so der Wissenschaftler. In diesem Zusammenhang könnte das Farbsehen in der Tiefsee also wichtige Informationen liefern. Bisher handelt es sich dabei allerdings um eine Annahme, denn Verhaltensforschung bei Tiefseefischen ist aus verständlichen Gründen problematisch. „In jedem Fall haben unsere Ergebnisse aber das gängige Paradigma in Bezug auf die Rolle von Stäbchen- und Zapfenzellen bei der Farbwahrnehmung verfeinert“, resümieren die Wissenschaftler.
Quelle: Universität Basel, University of Queensland, Science, doi: 10.1126/science.aav4632