Das von Monsanto 1974 unter dem Markennamen “Roundup” eingeführte Glyphosat ist das weltweit am meisten eingesetzte Unkrautvernichtungsmittel. 8,6 Milliarden Kilogramm dieses Organophosphat-Pestizids wurden seit seiner Einführung auf den Feldern versprüht. Auf jedem Hektar Ackerland landen heute umgerechnet ein halbes Kilogramm Glyphosat, wie Forscher jüngst ermittelten. Auch in Deutschland bringen Landwirte jährlich fast 4000 Tonnen dieses Spritzmittels aus. Eingesetzt wird Glyphosat vor allem nach der Aussaat und beim Anbau gentechnisch entsprechend angepasster Nutzpflanzen, aber auch im Weinbau und in Obstanlagen. Als Folge finden sich Rückstände dieses Spritzmittels längst auch in der Nahrungskette, in Bier und sogar in unserem Urin. Die Werte lagen bisher zwar immer deutlich unter den Grenzwerten für Lebensmittel, aber ob das Pestizid auch in geringen Dosen langfristige Folgen verursacht, ist bisher unklar.
Krebserregend oder unbedenklich?
Während Hersteller und Anwender das Mittel als weitgehend ungefährlich ansehen, sind viele Forscher inzwischen anderer Ansicht. Im Jahr 2015 stufte die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Glyphosat deshalb offiziell als “wahrscheinlich krebserregend beim Menschen” ein. Grundlage dafür waren unter anderem Studien, in denen der Wirkstoff Zell- und Chromosomenschäden in menschlichen und tierischen Zellen auslöste und Krebstumore bei Ratten und Mäusen förderte. Außerdem soll bei Feldarbeitern in den USA, Kanada und Schweden vermehrt das Non-Hodgkin-Lymphom aufgetreten sein, wenn diese häufig Glyphosat eingesetzt hatten.
Demgegenüber sind sowohl die EU-Chemikalienbehörde ECHA als auch die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu anderen Schlüssen gekommen. Sie stuften Glyphosat als nicht krebserregend oder organschädigend ein – und widersprechen damit der Einschätzung der Krebsforschungsagentur der WHO. Auch das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat wiederholt Gutachten erstellt und bei der EU eingereicht, die Glyphosat bei korrektem Einsatz für unbedenklich erklären. Diese Gutachten sind allerdings in die Kritik geraten, weil das Institut ganze Passagen wörtlich aus Unterlagen des Herstellers Monsanto übernommen hatte. Kritiker werden dem BfR daher zu große Industrienähe vor und bezweifeln, dass wirklich eine unabhängige Bewertung stattgefunden hat.
Jetzt geht dieser Streit in die entscheidende Runde. Denn die Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten sollen am morgigen Mittwoch, 25. Oktober, entscheiden, ob Glyphosat in der EU für weitere zehn Jahre zugelassen wird oder nicht. Bereits im Vorfeld wurde auch im EU-Parlament über die Neuzulassung debattiert. Während zumindest in Deutschland Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung für ein Zulassungsende von Glyphosat ist, deuten die bisher veröffentlichten Einschätzungen der EU-Fachbehörden eher auf eine Zulassungsverlängerung hin.
Glyphosat in 70 Prozent der Proben
Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung haben nun US-Forscher neue Daten zur Glyphosat-Belastung der Bevölkerung veröffentlicht, Für ihre Studie hatten sie Urinproben von 100 älteren Bewohnern Kaliforniens untersucht, die zwischen 1993 und 2026 regelmäßig diese Proben für Untersuchungen abgegeben hatten. “Unsere Daten vergleichen die Ausscheidungsmengen von Glyphosat und seinem Abbauprodukt Aminomethylphosphonsäure über einen Zeitraum von 23 Jahren”, berichtet Paul Mills von der University of San Diego. Die Studie begann damit in einer Zeit, kurz bevor die ersten gentechnisch
veränderten Nutzpflanzen in den USA eingeführt und unter Glyphosatnutzung angebaut wurden.
Die Analysen ergaben: Anfang der 1990er Jahre waren Glyphosat-Rückstände nur bei sehr wenigen Probanden nachweisbar. “2016 jedoch fanden wir bei 70 Prozent der Studienteilnehmer messbare Werte”, berichtet Mills. Die mittlere Konzentration von Glyphosat stieg dabei von 0,203 Mikrogramm pro Liter auf 0,449 Mikrogramm pro Liter an. Die Konzentrationen des Pestizid-Abbauprodukts Aminomethylphosphonsäure verdreifachten sich sogar. “Unsere Daten zeigen, dass sich unsere Belastung mit diesen Chemikalien in den letzten Jahren signifikant erhöht hat”, sagt Mills. “Aber die wenigsten Menschen sind sich dessen bewusst, dass sie diese Substanzen mit ihrer Nahrung aufnehmen.” Zwar sind die jetzt gemessenen Werte vergleichsweise niedrig, dafür aber sprechen sie für eine chronische Belastung, wie die Forscher betonen. Und welche Folgen diese habe, sei bisher kaum untersucht.