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ER WEISS, WAS ER SAGT

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ER WEISS, WAS ER SAGT
Der Graupapagei imitiert nur? Von wegen! Er kann nicht nur reden, sondern auch denken.

Er kommt recht unscheinbar daher, ist nicht besonders groß, und nur sein roter Schwanz lässt den Betrachter ahnen, dass in diesem schlichten Vogel mehr stecken könnte. Der Graupapagei zählt weltweit zu den beliebtesten „Haus”-Papageien. Schon zu Aristoteles’ Zeiten war er für seine Sprechbegabung bekannt, und sein Charme schlägt zahllose Papageien-Liebhaber in den Bann. Was macht diesen Papagei so unwiderstehlich?

Dass Papageien (Psittacidae) neben der Familie der Rabenvögel (Corvidae) zu den intelligentesten Vögeln gehören, ist wissenschaftlich erwiesen. Im Gegensatz zu den meisten Singvögeln lernen Papageien ein Leben lang. Graupapageien stechen innerhalb ihrer Familie besonders durch die Fähigkeit hervor, Geräusche, Töne und Stimmen zu imitieren. Dies praktizieren sie nicht nur in der häuslichen Voliere, sondern auch im Freiland. Forscher berichten, dass Graupapageien in ihrem natürlichen Lebensraum im Kongo mindestens neun heimische Vogelarten und eine Fledermausart nachahmen.

Jahrzehntelang fristete der Graupapagei in zahllosen Haushalten ein tristes Leben, denn er wurde völlig unterschätzt. Bestenfalls galt er als guter Nachahmungskünstler, der sich angeblich der Bedeutung dessen, was er sagte, nicht bewusst war. Das änderte sich erst, als Graupapagei „Alex” unter der Obhut der Verhaltensforscherin Irene Pepperberg zunächst an der University of Arizona und zuletzt an der Brandeis University in Massachusetts den Menschen die Augen öffnete über die intellektuellen Fähigkeiten dieser sensiblen Vögel.

Pepperberg erforscht seit 1977 die kognitiven Fähigkeiten von Vögeln. Insbesondere interessiert sie sich dafür, wie solch ein Vogel arteigene Laute oder auch eine artfremde Sprache entwickelt oder lernt. Das Erlernen von stimmlichen Lauten (vokales Lernen) ist im Tierreich selten, denn die meisten Tiere besitzen keinen ausreichend ausgebildeten Stimmapparat, um eine strukturierte Sprache entwickeln zu können. Neben dem Menschen sind Wale und Elefanten dazu in der Lage und unter den Vögeln einige Singvögel und Papageien. Auffallend bei Graupapagei Alex war, dass er Wörter ähnlich zu lernen schien wie ein kleines Kind. Bevor Alex eine neue Bezeichnung korrekt wiederholte, musste er das Wort zunächst üben. Diese Phase des vokalen Lernens wird bei Kindern als „Babbling” bezeichnet, bei Vögeln als „Subsong”. Neue Wörter übte Alex häufig, wenn er allein war („monologue speech”) – ein Verhalten, das auch Kinder (und Wale) zeigen.

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Wiederholte er neu geübte Bezeichnungen und Wörter, so beobachtete er die Reaktion seiner Umgebung genau. Alex machte nur wenige Fehler. So zog er zum Beispiel Wörter zusammen. Oder er wählte zwar die richtige Kategorie (Farbe), nannte etwas aber „ grün” statt „blau”. Interessant war, dass er niemals Silben verwechselte, also zum Beispiel nie aus „copper” „percop” machte. Während seiner privaten Übungssitzungen reimte Alex gerne, und er schien mit Sprache regelrecht zu spielen. Mit einer von dem deutschen Verhaltensforscher Dietmar Todt entwickelten und von Irene Pepperberg optimierten Technik lernte Alex sieben verschiedene Farben korrekt zu benennen. Als er 2007 mit 31 Jahren starb, konnte er unter anderem fünf Formen unterscheiden und beherrschte den Zahlenraum von 1 bis 6. Alex reichte seinen Trainern gefragte Gegenstände, befolgte Anweisungen („Nenne die Farbe”), und er verstand das Konzept der Ziffer Null. Wurde er beispielsweise gefragt „Wie viele Nüsse?”, ohne dass welche zu sehen waren, antwortete er „None” (Keine).

FALSCH ODER RICHTIG?

Noch verblüffter waren die Forscher, dass Alex dieselben Voraussetzungen zum Erlernen neuer Bezeichnungen für einen Gegenstand oder eine Aktion benötigte wie ein kleines Kind. Eine bezugnehmende („referenzielle”) Sprache lernte er mit der „ Model/Rival-Technik”: Zwei Personen beschäftigten sich in Gegenwart des Vogels mit einem Gegenstand und benannten ihn. Sie redeten miteinander über das Objekt und banden den Vogel dann in diese Interaktion mit ein. Während der Übung wurden die Rollen von Fragesteller und Antwortgeber getauscht. Und: Dem Vogel wurden die Konsequenzen von falschen und richtigen Antworten gezeigt. War die Antwort richtig, wurde der Gegenstand dem Antwortgeber ausgehändigt, war sie falsch, wurde er entfernt. Der Inhalt der Übung wurde dem Lernniveau des Vogels angepasst. Wenn eines der Elemente der Model/Rival-Technik fehlte, lernte Alex den Begriff nicht in dem gewünschten Zusammenhang. Weder Bandaufzeichnungen noch Videos führten bei Alex und anderen Graupapageien zum gleichen Lernerfolg wie die bewährte Technik, denn bei den alternativen Lernmethoden fehlte die soziale Interaktion. Ganz ähnlich ist es bei Kindern: Wenn sie sich allein ein Lernvideo ansehen, lernen sie weniger als Kinder, die gemeinsam mit einem Trainer üben.

WAS KLINGELT DENN DA?

Graupapageien benutzen verschiedene Laute, um sich zu verständigen. Sie setzen auch gezielt erlernte Laute aus ihrer Umgebung ein, imitieren also zum Beispiel das Telefonklingeln, wenn sie Aufmerksamkeit suchen. Aber können sie auch andere Individuen anhand der Stimme erkennen? Französische Wissenschaftler stellten bei drei getesteten Graupapageien fest, dass diese Artgenossen anhand ihres Erscheinungsbildes und ihrer Stimme unterscheiden konnten.

Mit derselben Gruppe wurde geprüft, ob Graupapageien in der Lage sind, Gegenstände anhand ihrer äußeren Merkmale spontan in Kategorien einzuteilen. Den Vögeln wurden während des Trainings Gegenstände gezeigt, ohne dass sie deren richtige Namen erfuhren. Sie wählten daraufhin spontan Bezeichnungen für Dinge, die dieselben Eigenschaften hatten wie der gezeigte Gegenstand. Zeigte man den Vögeln beispielsweise ein Nahrungsmittel, so nannten sie andere ihnen bekannte Nahrungsmittel. Dabei waren sie durchaus in der Lage, zwischen Futter und nicht essbaren Objekten zu unterscheiden. Sie teilten die Gegenstände also in übergeordnete Kategorien ein – ähnlich wie Makaken, eine asiatische Primatengattung. Zwar sind die Ergebnisse dieser Studien aufgrund der geringen Datenmenge statistisch nicht signifikant, doch viele Papageien-Halter bestätigen die Erkenntnisse.

Die Tatsache, dass Menschen und Säugetiere im Gegensatz zu Vögeln einen Neocortex besitzen – die Region des Gehirns, die für komplexe kognitive Funktionen verantwortlich ist –, hat uns lange Zeit blind gemacht für die Vielfalt der Evolution und deren mannigfaltige Ausprägungen. Doch die Anatomen sehen das Vogelhirn heute mit neuen Augen: Harvey J. Karten beispielsweise, Professor an der Abteilung für Neurowissenschaften an der School of Medicine der University of California in San Diego, erstellte mit seiner Arbeitsgruppe eine Karte einer Region im Großhirn (Telencephalon) des Huhns – und stellte fest, dass sie der Hörregion im Neocortex von Säugetieren verblüffend ähnelt. In beiden Hörregionen entdeckten die Forscher dieselben Zelltypen und Verbindungen: ein erster Hinweis, dass auch Wirbeltiere, die nicht zur Klasse der Säugetiere zählen, höhere kognitive Fähigkeiten haben können, wie sie bei Säugetieren im Neocortex verankert sind. Inzwischen wurde das Vogelhirn völlig neu kartiert, und wir müssen uns die Frage stellen, ob wir nach 300 Millionen Jahren getrennter Entwicklungsgeschichte in manchem Vertreter der Vogelwelt ein ebenbürtiges intellektuelles Pendant vor uns haben.

NUR KEINE LANGEWEILE!

Jüngste Studien haben gezeigt, dass Papageien nicht nur komplexe kognitive Fähigkeiten besitzen, sondern auch emotional auf ihre Umwelt reagieren. Diese Fähigkeiten geben ihnen die Möglichkeit, sich an uns Menschen anzupassen. Wenn das Erlernen von Lauten und Bezeichnungen Teil der Kommunikation und der Überlebensstrategie eines Graupapageis ist, sind umgekehrt auch die Vogelhalter gefordert. Sie sollten den grau Gefiederten interessante Anregungen bieten und echte Gesprächspartner sein, damit die sich nicht zu Tode langweilen. ■

HILDEGARD NIEMANN ist Biologin und „Parrot Behaviour Consultant”: Sie berät Papageien-Halter beim Umgang mit ihrem Haustier.

von Hildegard Niemann

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Irene Pepperberg Alex und ich Die einzigartige Freundschaft zwischen einer Harvard-Forscherin und dem schlausten Vogel der Welt mvg, München 2009,€ 17,90

Irene Pepperberg The Alex Studies Cognitive and Communicative Abilities of Grey Parrots Harvard University Press Cambridge 2002, € 21,–

INTERNET

Info-Seite zum Vogelhirn: www.avianbrain.org

Info-Seite der Autorin: www.papageien-training.de

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