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Europa: Nitratproblem größer als gedacht

Erde|Umwelt

Europa: Nitratproblem größer als gedacht
Düngung
Stickstoffhaltige Düngung führt vielerorts zu einem Nitratüberschuss im Boden. (Bild: AdobeStock/ Countrypixel)

In Europa gelangt offenbar deutlich mehr Nitrat aus überdüngten Böden ins Grundwasser und Gewässer als bislang gedacht. Einer neuen Modellrechnung zufolge wird in rund drei Viertel der europäischen Nutzflächen während der Wintermonate Stickstoff aus der Wurzelzone der Böden ausgewaschen. Damit ist der Anteil der durch Nitratauswaschung gefährdeten Gebiete fast doppelt so groß wie bislang geschätzt.

Vom Feld in die Wurzelzone: In der Landwirtschaft wird der für Nutzpflanzen notwendige Stickstoff als Dünger oft in so großen Mengen ausgebracht, dass die Pflanzen den Stickstoff nicht vollständig aufnehmen können. Als Folge werden die überschüssigen Nährstoffe mit dem Sickerwasser vom Feld ausgewaschen und gelangen als Nitrat in die Wurzelzone. Wird es dort nicht von Bakterien wieder zu Stickstoff denitrifiziert, dringt das Nitrat schließlich ins Grundwasser und in die Oberflächengewässer. Diese Nitratauswaschung wird in Europa vielerorts gerade im Winter zum Problem, da die Pflanzen dann nicht wachsen und daher weniger Stickstoff aufnehmen.

Wovon hängt die Nitratauswaschung ab?

Wie viel von dem über die Düngung ausgebrachten Stickstoff als Nitrat in Grundwasser und Oberflächengewässer gelangt, hängt unter anderem von komplexen Vorgängen im Boden ab. Welche davon über den Weg des Stickstoffs entscheiden, haben nun Forscher um Rohini Kumar vom Helmholtz- Zentrum für Umweltforschung genauer analysiert. Sie untersuchten dafür vor allem die Prozesse in der Wurzelzone, die von der Oberfläche des Bodens bis in ein Meter Tiefe reicht. „Die Wurzelzone ist der dynamischste und aktivste Teil des Untergrunds, in dem Niederschläge, Trockenphasen und Verdunstung wirken“, erklärt Kumar. Sie agiere sowohl als hydroklimatischer als auch als biogeochemischer Filter zwischen der Erdoberfläche und den tieferen Bodenschichten.

Wie stark die Auswaschung von Nitrat aus dieser Zone ist, wurde bislang nur statisch beschrieben: Zwar wurden Informationen zur Landnutzung, zu den Böden und zur Topographie der Landschaft mit mittleren Niederschlägen und Grundwasserständen kombiniert. Deren zeitliche Variabilität blieb jedoch unberücksichtigt. „Niederschlagsmengen und Temperaturen ändern sich aber täglich, beeinflussen die Verdunstung, das Bodenwasser und damit letztendlich die Aufenthaltszeit und den Wassertransport in tiefere Schichten“, erklärt Kumar. „Deshalb sind Mittelwerte, wie sie für die Beschreibung des statischen Zustands genutzt werden, aus heutiger Sicht weniger zielführend.“

Für ihre Studie wählten die Wissenschaftler daher einen anderen Ansatz: Sie nutzten ein speziell entwickeltes Modell, um die Abflussdynamik der Wurzelzone zu simulieren. Dabei kombinierten sie Beobachtungsdaten zum Wetter und den Umweltbedingungen mit Berechnungen der täglichen Änderung von Wasseraufenthalt und Nitrat in der Wurzelzone sowie der Denitrifikation. Dadurch konnten sie tagesgenau ermitteln, wie lange das im Wasser gelöste Nitrat in verschiedenen Regionen Europas in der Wurzelzone bleibt, ehe es in die Tiefe wandert – und auch, wie sich diese Auswaschung in den letzten 65 Jahren verändert hat.

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75 Prozent der Nutzflächen anfällig

Die Analysen ergaben, dass die Nutzflächen in Europa deutlich anfälliger für die Nitratauswaschung in Grundwasser, Flüsse und Co. sind als bisher angenommen. Laut der Wissenschaftler sind fast 75 Prozent der europäischen Nutzflächen für einen Zeitraum von mindestens vier Monaten pro Jahr gefährdet – insbesondere im Winter. Im Vergleich zu den bislang angenommenen statischen Berechnungen ist dieser Flächenanteil um mehr als 30 Prozent größer. Besonders gefährdet sind unter anderem Gebiete im Osten und Nordosten Deutschlands, auf der iberischen Halbinsel sowie in einigen osteuropäischen Staaten. „Da die zeitlich-räumliche Dynamik des Wassertransports bei der Risikobewertung nitratgefährdeter Gebiete in Europa bislang nicht berücksichtigt wurde, wird die räumliche Ausdehnung des Nitrateintrags unterschätzt“, erklärt Kumars Kollege Andreas Musolff.

Die neuen Erkenntnisse sollen nun dazu beitragen, die Düngung in der Landwirtschaft entsprechend anzupassen: „Landwirte könnten mit den präziseren Informationen ihr Düngeregime genauer darauf ausrichten, dass in den besonders kritischen Monaten möglichst wenig Nitrat im Boden ist“, sagt Musolff. In weiteren Studien müssten zukünftig zudem noch der Transport und die Denitrifizierung im Untergrund und im Gewässernetz betrachtet werden.

Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, Fachartikel: Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-020-19955-8

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