Meise ist nicht gleich Meise: Wie die Forscher um Jon Slate von der University of Sheffield berichten, unterscheiden sich die beliebten Gartenvögel auf dem Kontinent und in Großbritannien in einem Merkmal: Bei den britischen Vertretern von Parus major findet man häufig Tiere mit einem vergleichsweise langen Schnabel. Wie aus Daten zu dieser Vogelart aus den letzten 70 Jahren hervorgeht, war dies nicht immer so – die Schnäbel wurden im Laufe der Zeit länger, berichten die Wissenschaftler. “Vor allem zwischen den siebziger Jahren und heute hat die Schnabellänge zugenommen. Das ist eine sehr kurze Zeitspanne”, betont Slate.
Genetischen Unterschieden auf der Spur
Um dem Unterschied zwischen den britischen Meisen und den Vertretern vom Kontinent auf den Grund zu gehen, führten die Wissenschaftler umfangreiche genetische Untersuchungen durch: Sie verglichen das Erbgut von hunderten von Vögeln aus den Niederlanden mit dem von Meisen aus Großbritannien und führten genetische Analysen zu den Ergebnissen durch.
Es zeichnete sich ab: Die genetischen Auffälligkeiten, die sich bei den britischen Vögeln entwickeln haben, zeigen Parallelen zu Erbanlagen beim Menschen, die bekanntermaßen die Gesichtsform bestimmen. Es gab auch starke Übereinstimmungen mit Genen, die bei Darwinfinken die Schnabelform beeinflussen. Bei dieser Vogelgruppe handelt es sich um ein Paradebeispiel, wie sich Tiere durch die Veränderung von Körpermerkmalen an bestimmte Anforderungen anpassen. Etwas Ähnliches hat sich offenbar in den letzten Jahrzehnten auch bei den britischen Meisen abgespielt, sagen die Forscher. “Wir wissen jetzt, dass die Zunahme der Schnabellänge und der Unterschied in der Schnabellänge zwischen Vögeln in Großbritannien und auf dem europäischen Festland auf Gene zurückzuführen ist, die sich durch natürliche Selektion entwickelt haben”, resümiert Slate.
Selektion durch Meisenknödel und Co?
Er und seine Kollegen sind sich recht sicher, auch bereits den Selektionsfaktor identifiziert zu haben: die besonders in Großbritannien ausgeprägte Tradition des Vogelfütterns. “In Großbritannien wird etwa doppelt so viel Vogelfutter verbraucht wie auf dem europäischen Festland – und das machen wir schon lange so”, sagt Co-Autor Lewis Spurgin von der University of East Anglia in Norwich. Die Forscher haben ihre These auch schon durch Ergebnisse untermauert. Durch systematische Erfassung der gefiederten Besucher von experimentellen Futterstellen konnten sie zeigen: Besonders häufig erschienen dort Meisen, welche die genetische Veranlagung zu den langen Schnäbeln tragen.
Welche Vorteile der lange Schnabel genau besitzt, ist noch nicht geklärt. Vermutlich bringt er aber an Meisenknödel und Co Vorteile bei der Nahrungsaufnahme. “Wir können zwar bisher nicht definitiv beweisen, dass das Füttern verantwortlich ist, es erscheint aber plausibel, dass sich die längeren Schnäbel bei den britischen Kohlmeisen als Anpassung an diese Nahrungsquelle entwickelt haben”, sagt Spurgin.
Die Forscher wollen nun am Ball bleiben: Sie haben bereits damit begonnen, anhand von DNA-Proben von Kohlmeisenpopulationen den Zusammenhang in ganz Europa zu untersuchen. Die vorläufigen Daten legen nahe, dass die spezielle Veranlagung zu längeren Schnäbeln tatsächlich spezifisch für Großbritannien ist.