Autismus bei Kindern nimmt in den letzten Jahrzehnten zu – zumindest in den westlichen Industrieländern. Woran dies liegt, ist bisher unklar. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass Autismus heute schlicht häufiger erkannt und diagnostiziert wird und dass es deshalb mehr Fälle gibt. Meist erfolgt die Diagnose dabei bei zwei- und dreijährigen Kindern, was zum einen daran liegt, dass bei bestimmten Autismusformen wie dem Aspergersyndrom die Symptome oft erst in diesem Alter verstärkt auftreten. Doch gerade der „klassische“ frühkindliche Autismus manifestiert sich schon sehr viel früher. Er ist schon bei Säuglingen diagnostizierbar, unter anderem an den Hirnströmen, an der Kopfgröße und auch am Verhalten, wie jüngst mehrere Studien zeigten. In ausgeprägten Fällen lassen sich die Kinder schon in sehr jungem Alter nicht gerne festhalten oder streicheln, meiden den Blickkontakt und hinken in der geistigen Entwicklung hinterher.
Ob bei solchen frühen Fälle eine frühe, speziell auf Säuglinge abgestimmte Therapie die Autismus-Symptome lindern kann, haben Sally Rogers von der University of California in Davis und ihre Kollegen nun in einer kleinen Pilotstudie untersucht. Daran nahmen sieben Kinder im Alter von sechs bis 15 Monaten teil, die bereits starke autistische Symptome zeigten. Diese Kinder erhielten zuhause eine spezielle Verhaltenstherapie, die Rogers und ihre Kollegen entwickelt haben. Therapeuten besuchten dafür Eltern und Kinder dabei regelmäßig zuhause und führten mit ihnen Übungen durch, die die Aufmerksamkeit der Kinder gezielt auf die Gesichter und Stimmen der Eltern lenkten und generell die Interaktion von Eltern und Kindern intensivierten. Die Eltern übten dies über sechs Wochen hinweg täglich dieses Early Start Denver Model (ESDM) mit den Kindern. Im Alter von zwei und drei Jahren testeten die Forscher die geistige Entwicklung der Kinder und auch, wie stark die Autismus-Symptome noch ausgeprägt waren.
Entwicklungsrückstrände aufgeholt
Das Ergebnis war überraschend deutlich: „Sechs von den sieben Kindern hatten mit zwei oder drei Jahren in Sprache und Lernfähigkeit fast komplett aufgeholt“, berichtet Rogers. Die im Säuglingsalter festgestellten Entwicklungsrückstände seien kaum mehr vorhanden gewesen. Die mit der Therapie behandelten Kinder schnitten in Autismustests deutlich besser ab als Altersgenossen, die als Säuglinge die gleiche Diagnose erhalten hatten, aber nicht speziell behandelt wurden, wie die Forscher berichten. Den entscheidenden Beitrag zum Erfolg habe dabei das Engagement der Eltern gebracht: „Es sind die kleinen Momente bei Windeln wechseln, Füttern, Spielen oder Spazierengehen, in denen Kinder sehr viel lernen“, erklärt Rogers. „Auf diesen Momenten können Eltern daher gezielt im Rahmen der Therapie aufbauen.“
Nach Ansicht der Forscher unterstreicht das Ergebnis ihrer Studie, wie wichtig eine frühe Diagnose und Therapie bei frühkindlichem Autismus ist. Denn die ersten Lebensjahre sind die Zeit, in denen die Kinder lernen zu kommunizieren und mit anderen eine soziale Beziehung einzugehen. Deshalb ist es so wichtig, so früh wie möglich mit einer gezielten Förderung der autismustypischen Defizite zu beginnen, so Rogers und ihre Kollegen. Noch müssen umfangreichere Studien den Erfolg des Therapieprogramms bestätigen. Doch die Forscher hoffen, damit vielen autistischen Kindern bessere Chancen für ein normales Leben bieten zu können. „Mein Ziel ist es, dass Kinder und Erwachsene mit Autismus am alltäglichen Leben und an allen Aspekten der Gesellschaft teilnehmen könne, wenn sie dies wollen“, erklärt Rogers.
Rain Man -Mäuse im Dienste der Wissenschaft
Quelle:
- Sally Rogers (University of California, Davis) et al., Journal of Autism and Developmental Disorders