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Gen-Therapie: Schwieriger Neustart

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Gen-Therapie: Schwieriger Neustart
Die ersten Gen-Therapien an Menschen endeten mit einer Katastrophe. Jetzt soll eine Kombination aus Gen- und Stammzell-Therapie zum Erfolg führen.

1999 war ein schwarzes Jahr für die Gen-Therapie: Der junge US-Amerikaner Jesse Gelsinger starb nach einer Gen-Behandlung. Seine Ärzte hatten bei Planung und Ausführung geschlampt und so einen ganzen Forschungszweig in Verruf gebracht. Die meisten Studien an Menschen wurden daraufhin eingestellt, und die Forscher gingen zurück ins Labor, um zu untersuchen, wie sich die Gefahren der Therapie beseitigen lassen. Jetzt testen sie ihre neuen Konzepte in der Praxis.

Frische Ideen brauchten die Gen-Therapeuten auch ohne den tödlichen Unfall, denn die meisten Therapiekonzepte hatten sich als Flop herausgestellt. Bei einer Gen-Therapie sollen intakte Gene in Körperzellen transplantiert werden, um defekte Gene zu ersetzen und ausgefallene Zellfunktionen wieder zu aktivieren. Was so simpel klingt, ist in der Praxis sehr kompliziert. Das Kernproblem ist die Effizienz des Gen-Transfers: Damit die neuen intakten Gene wirken können, müssen sie in ausreichender Menge in die Zellen des Patienten eingeschleust werden und dort auf Dauer bleiben und arbeiten.

Als Gen-Überträger nehmen die Ärzte meist Viren, die von Natur aus Spezialisten für Gen-Transfer sind. Bei jeder Virus-Infektion injizieren sie ihre Erbinformation in die Zellen ihres Opfers. Doch als künstliche „Gen-Taxis“ sind Viren oft nicht effizient genug – aus zweierlei Gründen:

• Das Immunsystem betrachtet die hilfreichen Viren als Feinde und vernichtet einen Großteil von ihnen.

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• Die überlebenden Viren schaffen es nicht, ihre Gen-Fracht dauerhaft und in ausreichender Menge in die kranken Zellen einzubauen.

Schon kurz nach dem tragischen Tod von Gelsinger fand ein französisches Team einen Ausweg aus dem Dilemma. In Paris heilten Ärzte unter Leitung von Alain Fischer Kinder mit Gen-Therapie von der tödlichen erblichen Immunschwäche SCID. Inzwischen wurden weltweit über 20 SCID-Kinder mit Genen therapiert. Fast alle von ihnen sind heute, viele Jahre nach der Therapie, gesund. Ein Kind starb allerdings an Nebenwirkungen. Der Trick der Franzosen: Sie injizierten die Gen-Taxis nicht in den Körper der Patienten, sondern entnahmen den Kranken Stammzellen und therapierten diese Zellen im Labor. Fischer und sein Team führten ihre Behandlung an Knochenmark-Stammzellen durch, denn bei Kindern mit SCID sind Gene des Immunsystems defekt. Ihnen fehlen bestimmte Abwehrzellen, die aus Zellen des Knochenmarks gebildet werden.

Diese Therapie hat zwei entscheidende Vorteile:

• Stammzellen können ein Menschenleben lang Zellen mit den heilenden Genen produzieren.

• Im Labor lässt sich vor der Zell-Transplantation überprüfen, ob der Gen-Transfer gelungen ist.

Auch die adulten Stammzellen der Haut und der Muskeln haben sich inzwischen als willige Gen-Empfänger entpuppt. Favorit bleibt jedoch das Knochenmark, die Zellquelle der Immunabwehr sowie der roten Blutkörperchen. Deshalb sehen Gen-Therapeuten wie Christopher Baum, experimenteller Hämatologe an der Medizinischen Hochschule in Hannover, „die größten Chancen für klinische Erfolge bei der Behandlung von erblichen Immunschwächen und Blutgerinnungsstörungen, bestimmten Krebsarten – und vielleicht auch bei Aids, denn HIV infiziert ja Immunzellen, die sich aus Blutstammzellen ableiten“.

Inzwischen haben mehrere Forschungsgruppen, vor allem aus Europa, Gen-Therapieversuche an Stammzellen von Menschen unternommen. Es sind Heilungsversuche mit kleinen Erfolgen, aber auch mit Rückschlägen.

Frankfurter Ärzte therapierten erfolgreich drei Patienten, die an Chronischer Granulomatose litten, bei der die Fresszellen des Immunsystems nicht funktionieren. Allerdings waren bei einem der Patienten die genetisch reparierten Fresszellen nach gut einem Jahr nicht mehr nachzuweisen – er starb an einer Infektion.

Auch Forscher aus den USA arbeiteten mit Knochenmark-Stammzellen. Sie therapierten Patienten mit einer schweren Blutbildungsstörung, der Fanconi-Anämie, wie sie Anfang 2007 im Fachblatt Molecular Therapy berichteten. Allerdings konnten sie die Patienten nicht dauerhaft heilen. Dafür war die Gen-Dosis anscheinend zu gering.

Das Team um den italienischen Biochemiker Michele de Luca von der Universität Modena züchtete aus gentherapierten Haut-Stammzellen gesunde Haut. Ihr Patient leidet an einer ererbten Epidermolysis bullosa. Bei dieser Erkrankung löst sich die Oberhaut von der Unterhaut. Vor allem an Händen und Füßen bilden sich Blasen und nicht heilende Geschwüre. Den Patienten fehlt ein wichtiger Bestandteil der Haut: das Laminin 5. Ohne dieses Protein hat die Haut keinen richtigen Zusammenhalt. Die italienischen Forscher übertrugen das Laminin-Gen mit Viren in die Stammzellen und züchteten daraus in Kulturschalen Hautlappen, die sie auf die Beine des Kranken übertrugen. Das Transplantat wuchs gut an und bildete gesunde Haut. Nach diesem Erfolg wollen die Ärzte nun weitere kranke Hautregionen des Patienten durch genetisch verbesserte ersetzen.

An einer Gen-Therapie noch vor der Geburt versucht sich Holm Schneider, Kinderarzt und Neonatologe an der Universität Innsbruck. An Mäusen testet er zurzeit, ob er eine besonders gefährliche Form der ererbten Epidermolysis bullosa, den so genannten Herlitz-Typ, bereits an Ungeborenen im Uterus behandeln kann. Bislang gibt es dafür keine Therapie. Die erkrankten Kinder sterben noch vor ihrem dritten Geburtstag. Indirekt handelt es sich hier ebenfalls um eine Stammzell-Therapie, denn die Gen-Taxis sind in den Stammzellen der schnell wachsenden Föten-Haut besonders erfolgreich. „Wenn wir Viren mit dem Laminin-5-Gen in das Fruchtwasser von trächtigen Mäusen spritzen, nehmen die Föten diese Viren mit der Haut auf. Wir konnten bereits erste deutliche klinische Verbesserungen an so behandelten Tieren messen.“ Aber die „In-utero-Gen-Therapie“ ist noch weit davon entfernt, am Menschen getestet zu werden. Trotzdem ist Schneider davon überzeugt, dass „wir auf dem richtigen Weg sind“.

Eines verraten die bisherigen Gen-Therapieversuche am Menschen auf jeden Fall: „Bei den erfolgreichen Behandlungen hatte man den veränderten Zellen einen Überlebensvorteil gegenüber ihren genetisch defekten Zellen verschafft“, bringt es Hans-Peter Kiem vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle auf den Punkt. Dank Gen-Therapie wachsen und teilen sich die behandelten Zellen besser als die unbehandelten. Deshalb stattet Kiem Stammzellen im Knochenmark mit Genen für bestimmte Enzyme aus, die die Zellen resistent gegen Chemotherapeutika machen. Solche Zellen würden selbst eine Hochdosis-Chemotherapie überleben und könnten Patienten vor gefährlichen Nebeneffekten der Krebstherapie – etwa vor Infektionen – schützen. Bei Hunden hat diese Methode funktioniert, jetzt will Kiem sie an Patienten mit Gehirntumoren testen.

Allmählich scheint die Gen-Therapie die Erwartungen, die man seit 20 Jahren an sie richtet, zu erfüllen. Trotzdem wird sie noch lange experimentell bleiben – vor allem geeignet für Patienten, die mit konventionellen Therapien keine Chance mehr haben und deshalb bereit sind, ein großes Risiko zu tragen. Denn für sie geht es schlicht ums Überleben. ■

Karin Hollricher

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