„ Ganz der Vater!“ „Ganz die Mutter!“ Fast jeder von uns hat das schon mal zu hören bekommen. Unser Gesicht ist nicht nur ein einzigartiges Merkmal, das uns von anderen Menschen so eindeutig unterscheidet wie ein Fingerabdruck. Es verrät auch viel über unsere Verwandtschaftsverhältnisse. Das zeigt, welch entscheidende Rolle unsere Gene dabei spielen, ob wir ein schmales oder rundes Gesicht, eine hohe Stirn oder ein fliehendes Kinn, volle Lippen oder eine markante Nase entwickeln.
Doch wie genau funktioniert die Bauanleitung im Erbgut? Zwar haben Forscher bereits Gene identifiziert, die für Missbildungen wie Lippen- oder Gaumenspalten verantwortlich sind. Doch sie kennen nur eine Handvoll DNA-Abschnitte, die normale Abweichungen in der Gesichts- und Schädelform bewirken. Offenbar ist hier noch ein anderer Mechanismus am Werke. Forscher um Catia Attanasio vom Lawrence Berkeley National Laboratory sind diesem nun auf der Spur. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Science“ schreiben sie: „Uns interessierte, wie so komplexe Eigenschaften wie die individuelle Form eines Gesichts auf subtile Art und Weise moduliert werden können“ – und zwar ohne das Risiko einer Missbildung einzugehen, die Genmutationen mit sich bringen.
Bei ihrer Suche konzentrierte sich das Team auf sogenannte „Enhancer“. Diese Abschnitte im Erbgut aktivieren oder verstärken die Expression bestimmter Gene. Die Forscher aus Berkeley hatten in den vergangenen Jahren bereits ihren Einfluss auf Herz, Gehirn und andere Organsysteme untersucht. Das Kniffelige an dieser Forschung ist, die Enhancer überhaupt zu finden – oft liegen sie hunderte Basenpaare von jenem Gen entfernt, dessen Aktivität sie beeinflussen.
Von der kurzen Schnauze zur langen Nase
Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer Suche auf jene Geweberegionen in Mäuseembryos, die sich zu Gesicht und Schädel entwickeln würden. Dort entdeckten sie mehr als 4.000 potentielle Enhancer. Rund 200 davon nahmen sie genauer unter die Lupe. Schließlich züchteten sie drei Mäusestämme, bei denen sie jeweils einen besonders vielversprechenden Kandidaten aus dem Erbgut entfernten.
Waren die Tiere ausgewachsen, verglichen die Forscher Schädel- und Gesichtsform mit der von normalen Mäusen. Sie schreiben: „Jede Löschung eines Enhancers führt zu phänotypischen Effekten, die sich nicht auf ein einziges Merkmal beschränken, sondern verschiedene Regionen des Schädels betreffen.“ Das Fehlen eines Enhancers führte beispielsweise dazu, dass die Nager ein kürzeres Gesicht und einen schmaleren Gaumen entwickelten. Missbildungen traten hingegen nicht auf.
Nun sehen sich Maus und Mensch nicht unbedingt ähnlich. Dennoch glauben die Forscher, dass sich ihre Ergebnisse auf unsere Art übertragen lassen. Viele der Enhancer finden sich in ähnlicher Form in unserer genetischen Bauanleitung wieder – und zwar in solchen Regionen der Chromosomen, die für die Entwicklung unseres Gesichtes zuständig sind. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass es tausende von Enhancern im menschlichen Erbgut gibt, die bei der craniofazialen Entwicklung eine Rolle spielen“, sagt Axel Visel, Co-Autor der Veröffentlichung. „Wir wissen zwar noch nicht, was genau all diese Enhancer tun, aber wir wissen, dass es sie gibt und dass sie für die Entwicklung von Schädel und Gesicht wichtig sind.“
Im nächsten Schritt wollen die Forscher untersuchen, welche Rolle die DNA-Tuner bei der Entstehung von Missbildungen spielen. Ein Traum so manches Kriminalisten liegt jedoch nach wie vor in weiter Ferne: Die Rekonstruktion eines menschlichen Gesichts allein anhand der Erbinformationen.