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Gewebezucht im Körper: Neue Schädeldecke wächst im Rücken und Brustersatz sprießt unter der Achsel

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Gewebezucht im Körper: Neue Schädeldecke wächst im Rücken und Brustersatz sprießt unter der Achsel
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In Zukunft könnte Fettgewebe für die Wiederherstellung einer weiblichen Brust ebenfalls in Schweinen gezüchtet werden. Foto: PixelQuelle.de
Vor wenigen Monaten ließ eine schwedische Forschergruppe eine Schädeldecke im Rücken eines Patienten wachsen und verpflanzte sie anschließend erfolgreich auf seinen Kopf. Dasselbe Prinzip macht sich ein deutscher Unfallchirurg zunutze, der in Schweinen eine künstliche Brust gedeihen ließ. Große, dreidimensionale Gewebeteile lassen sich nur im menschlichen oder tierischen Körper züchten, behaupten die Mediziner. Im Labor gelingt dies bislang nicht.

Ein paar Hautzellen zu einem Gewebelappen heranwachsen zu lassen, ist längst kein Hexenwerk mehr. Ebenso sprießen kleine Knochenfragmente oder zahnidentisches Material im Labor. Und doch stoßen die Gewebeingenieure immer wieder an eine schier unüberwindbare Grenze: Große, dreidimensionale Konstrukte wollen in künstlicher Umgebung nicht recht gedeihen. Fettgewebe, Muskelfasern und Knochen sträuben sich dagegen, im Kulturglas auch nur die Größe eines Hühnereies anzunehmen, geschweige denn komplizierte Gebilde zu formen.

Diesem widerspenstigen Verhalten können mehrere Forscher neuerdings mit einem verblüffenden Trick begegnen. Sie züchten die Gewebeteile nicht im Labor, sondern im Körper der Patienten selbst. „Nur so bekommen wir dreidimensionale Transplantate von nahezu jeder Größe, die außerdem schon von Blutgefäßen durchzogen sind. Das funktioniert ausgezeichnet“, freut sich Thomas Engstrand von der Karolinska-Universitätsklinik in Stockholm.

Vor wenigen Monaten hat der plastische Chirurg diese Technik erstmals bei einem Patienten mit einem handtellergroßen Loch in der Schädelplatte angewandt. Infolge einer Hirnblutung musste der Mann am Kopf operiert werden. Der Schädeldeckel überstand diesen Eingriff nicht. Daraufhin wurde im Rücken des Patienten ein passender Knochenersatz herangezogen und dann auf den Kopf verpflanzt.

„Der Patient ist bis heute wohlauf“, berichtet Engstrand. Das Schädelfragment aus dem Rücken deckt allerdings nur etwa die Hälfte des Loches ab. „Es ist ein Teilerfolg“, schränkt der Arzt ein. Sein Team erwäge gerade, in einer weiteren Behandlung die verbliebene Lücke mit einem zweiten Knochenstück aus dem Rücken zu schließen.

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„Bislang gibt es keine Behandlungsmöglichkeit für Patienten mit solch großen Knochendefekten“, unterstreicht er. Herkömmliche Transplantate aus Kunststoff oder Titannetzen werden oft abgestoßen. Es können sich Keime ansiedeln, die manchmal zu lebensbedrohlichen Infektionen führen. Auch bei dem schwedischen Patienten hatte sich eine solche künstliche Schädeldecke entzündet. Der Knochen aus dem Rücken werde dagegen nicht abgestoßen und wachse sehr gut an, da er vollständig aus körpereigenem Material besteht, so Engstrand.

Um den Ersatz in passender Größe und Form zu kultivieren, setzen die Wissenschaftler einen Träger aus Kollagenfasern in einen Rückenmuskel ein. Das Kollagenkissen wird mit Knochen-Wachstumsfaktoren getränkt und an die Blutversorgung angeschlossen. Mit diesen Zutaten sprießt dann von selbst der Knochen. Nach einigen Monaten wird das fertige Stück entnommen.

„Die größte Herausforderung ist, dass der Cocktail aus Wachstumsfaktoren sehr rasch abgebaut wird. Wir müssen einen Weg finden, dies zu verhindern“, schildert Engstrand. Im Blutstrom überlebt der Knochendünger nur 17 Minuten. Auf dem Kollagenträger überdauert er zwar länger, aber noch nicht lange genug, um beliebig große Knochenstücke zu züchten. Daher arbeiten die Forscher daran, die Knochenwuchsstoffe vor dem Abbau zu schützen. „Zum Beispiel verlängert das Blutverdünnungsmittel Heparin die Lebenszeit“, verrät Engstrand. Er rechnet fest damit, in einigen Wochen den richtigen Cocktail gefunden zu haben. In einem Jahr will er Patienten mit großen Knochendefekten mit der Methode behandeln. Im Grunde biete der Rücken genug Platz, um verschiedenste Knochenteile zu kultivieren. Ein ganzes Hüftgelenk sprenge allerdings die Maße.

Dass die Gewebezucht im Körper keinesfalls eine exotische Idee ist, beweisen auch Arbeiten anderer Mediziner. So züchtet der deutsche Unfallchirurg Jürgen Dolderer am St. Vincent’s Hospital in Melbourne in Schweinen Fettgewebe für eine Brust. Dafür legt er einige Fettgewebszellen auf einen bioabbaubaren Träger und bettet diesen in eine Kammer. Pflanzte er dieses System Schweinen unter die Achsel und schloss es an die Arterien an, wuchs darin Fettgewebe. Nach zwölf Wochen hatte es sich auf das Zwanzigfache seines ursprünglichen Volumens ausgedehnt. Im Inneren sprossen neue Blutgefäße. Diese Blutversorgung erhält das Konstrukt von der Größe eines Hühnereies am Leben. Dagegen gleichen Laborpräparate oft einem undurchblutetem Klumpen, der später mit dem Körper nicht richtig verwächst. „Wir konnten reifes, stabiles und transplantierfähiges Fettgewebe züchten. Das ist bisher weltweit einmalig“, so Dolderer.

Nun will der Unfallchirurg die Kammer vergrößern. Mit üppigeren Weichteilen könnte beispielsweise die Brust einer Frau wiederhergestellt werden, wenn sie aufgrund eines Tumors entfernt werden musste. Auch nach Unfällen, bei Verbrennungen oder angeborenen Missbildungen ließe sich auf diese Weise fehlendes Gewebe im Körper nachbilden. „Die Technik könnte eines Tages auch für die Zucht von Knorpel, Knochen und Muskelgewebe angewandt werden“, erwartet der Erfinder.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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