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Gib den Keimen Zucker

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Gib den Keimen Zucker
Es gibt möglicherweise ein nahezu unglaublich einfaches Rezept, um chronischen Infektionen effektiv zu Leibe zu rücken: Man muss dem Patienten neben einem Antibiotikum lediglich etwas Zuckerwasser verabreichen. Der Zucker, konnten US-Forscher jetzt in einer Laborstudie und bei Mäusen zeigen, verstärkt die Wirkung des Antibiotikums nämlich um ein Vielfaches und sorgt dafür, dass auch eine kleine, bei chronischen Infekten entscheidende Gruppe von Bakterien erfasst wird: die sogenannten Persister. Das sind einzelne Bakterienzellen, die ihren Stoffwechsel auf absoluter Sparflamme laufen lassen und deswegen gegen praktisch alle antimikrobiellen Wirkstoffe immun sind. Erwachen sie jedoch nach Monaten oder gar Jahren, können sie die eigentlich überwunden geglaubte Infektion erneut aufflammen lassen ? nicht selten aggressiver und heftiger als zuvor. Mit dem Zuckertrick sei es erstmals überhaupt gelungen, diese Persister gezielt anzugreifen, die unter anderem Tuberkulose oder auch Infektionen mit dem Krankenhauskeim Staphylococcus aureus so gefährlich machen, schreibt das Team.

Wenn Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln, verdanken sie das immer einer genetischen Veränderung: einer Mutation oder einem zusätzlichen Gen, das sie aus der Umwelt aufgenommen haben. Persister dagegen unterscheiden sich genetisch überhaupt nicht von ihren Artgenossen. Das einzige, was sie auszeichnet, ist ihre Fähigkeit, in den Stand-by-Modus zu schalten ? einen Zustand, in dem alle Stoffwechselfunktionen auf ein Minimum reduziert sind und in dem sich die Bakterien weder teilen noch wachsen. Deswegen können ihnen auch die meisten Antibiotika nichts anhaben, denn die sind im Allgemeinen auf einen aktiven Stoffwechsel angewiesen. Einige antimikrobielle Wirkstoffe blockieren beispielsweise die Produktion von Zellwandbausteinen oder schädigen die DNA, was zwar fatal für Zellen ist, die sich teilen, ruhenden Zellen jedoch nichts ausmacht.

Entsprechend schwierig sei es, einen Ansatzpunkt zu finden, mit dem man den hartnäckigen Persistern doch noch zu Leibe rücken kann, erläutern Kyle Allison vom Howard Hughes Medical Institute an der Boston University und seine Kollegen. Ihre Idee dazu sah wie folgt aus: Wenn bestimmte Antibiotika nur dann in die Zelle aufgenommen werden, wenn diese Energie dafür aufwendet, und wenn genau diese Energie bei ruhenden Zellen Mangelware ist, sollte sich die Antibiotika-Aufnahme beschleunigen lassen, wenn man die Zelle dazu bringt, mehr Energie zu erzeugen. Um das zu testen, versetzten die Wissenschaftler Persister aus einer E.coli-Kolonie mit Gentamicin, einem gängigen Breitband-Antibiotikum aus der Klasse der Aminoglykoside, und verschiedenen Ausgangs- und Zwischenprodukten des Bakterienstoffwechsels, darunter Traubenzucker, Fruchtzucker und Mannitol.

Das Ergebnis war beeindruckend: Während Gentamicin alleine keinerlei Todesopfer unter den Bakterien forderte, killte die Kombination mit einem Zucker 99,9 Prozent der Persister ? und zwar schon innerhalb von zwei Stunden. Auch beim Einsatz gegen die gefürchteten Biofilme, bei denen sich die Bakterien in einer Art Schleimschicht verschanzen, bewährte sich die Kombination, ebenso wie beim Abtöten des Krankenhauskeims Staphylococcus aureus. Bei anderen Wirkstoffklassen war dagegen kein Verstärkungseffekt zu beobachten. Der Zucker sorgt demnach zwar dafür, dass die Persister aus ihrem Winterschlaf erwachen und ihren Stoffwechsel wieder ankurbeln, um Energie zu produzieren und damit auch die Antibiotika verstärkt aufzunehmen, schließen die Wissenschaftler. Die Stimulation reicht jedoch nicht aus, um auch das Wachstum oder gar die Fortpflanzung wieder in Gang zu setzen.

Sollte sich diese ? unglaublich einfache ? Strategie auch in weiteren Studien bewähren, könnte vor allem Menschen mit chronischen oder immer wieder aufflammenden Infektionen, etwa der Harnwege, geholfen werden, so die Forscher. Und auch die nach wie vor weltweit verbreitete Tuberkulose könnte effektiver behandelt werden ? ein Ziel, das die Forscher als nächstes ins Auge fassen wollen.

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Kyle Allison (Howard Hughes Medical Institute, Boston University) et al.: Nature, Bd. 473, S. 216 wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel
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