Die Wissenschaftler um Kerschensteiner gingen deshalb erneut den Ursachen der Nervenschäden nach. Dazu markierten sie über gentechnische Methoden die Axone von Mäusen, die an Multipler Sklerose erkrankt waren. So konnten sie die Veränderungen der Nervenzellfortsätze beim Krankheitsverlauf verfolgen. Die Wissenschaftler fanden dabei heraus, dass die Entzündungen im Nervensystem neben der Zerstörung Myelinschicht noch eine bisher unbekannte Ursache haben kann. Manche Axone zeigen Schäden obwohl sie noch von einer intakten Myelinscheide umhüllt sind. Die Zerstörung der Isolierschicht kann damit zumindest nicht die einzige Ursache für die Schädigung sein,
schlossen die Wissenschaftler.
Sie konnten zeigen, dass bei dieser Form der Axon-Degeneration Sauerstoff- und Stickstoff-Radikale eine entscheidende Rolle spielen. Diese Radikale werden von den Immunzellen produziert und attackieren die Mitochondrien – die energieerzeugenden Kraftwerke der Zelle. Den Wissenschaftlern ist es sogar bereits gelungen, diese zerstörerischen Radikale mit Hilfe von Medikamenten zu neutralisieren und die bereits beschädigten Nervenfortsätze bei den Versuchstieren heilen zu lassen.
Die neuen Erkenntnisse führen zum einen zu einem besseren Verständnis der Erkrankung, lassen aber auch auf neue Wege in der Behandlung hoffen, sagen die Wissenschaftler. Das bedeutete allerdings nicht, dass schon in Kürze mit einer Therapie gerechnet werden könne: Die in den Versuchen eingesetzten Wirkstoffe seien für einen klinischen Einsatz nicht spezifisch und vor allem nicht verträglich genug. “Bevor geeignete therapeutische Strategien entwickelt werden können, müssen wir erst noch detaillierter klären, wie die Schädigung auf molekularer Ebene abläuft”, erläutert Kerschensteiner.