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In unser Land zieht man gerne

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

In unser Land zieht man gerne
Martin Stratmann, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), über Tierversuche, den Stellenwert der MPG weltweit und die Bedeutung von Rankings in der Forschung.

Gleich nach Ihrem Amtsantritt haben Sie eine PR-Kampagne erlebt, die Ihren Vorgängern in dieser Vehemenz erspart geblieben ist. Ein von stern TV am 10. September 2014 erstmals ausgestrahlter Film stellte die Tierversuche am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik an den Pranger. Wie steuert man als neu bestallter Präsident der Max-Planck-Gesellschaft durch eine solche Situation, Herr Prof. Stratmann?

Ich habe ein gutes Team direkt um mich herum – und einen sehr guten externen Berater. Ihn hatte ich schon vor meinem Amtsantritt gefragt, ob er mich in den ersten Monaten unterstützen würde. Die Wucht des Angriffs hat mich allerdings überrascht: der Shitstorm, wie man heute so sagt, die Aggressivität der E-Mails, die ich erhielt – darunter auch Morddrohungen. Es handelte sich um einen geplanten aggressiven Akt, unterstützt durch eine internationale Fundraising-Kampagne. Ich habe gelernt, dass manche Medien sehr auf Effekte achten.

Wie haben Sie konkret reagiert?

Ich bin als Präsident sofort an das Institut gefahren und habe gleichzeitig einen erfahrenen Primatenforscher aus Göttingen gebeten, sich und mich genauestens über die Zustände zu informieren. Er hat sich umgehend vor Ort informiert und eine große Sorgfalt der Mitarbeiter im Umgang mit den Tieren festgestellt. Die dort stattfindenden Operationen haben einen hohen Standard. Trotzdem haben wir unmittelbar nach seinem Bericht einige Dinge weiter optimiert und zum Beispiel einen weiteren Tierarzt eingestellt. In einem zweiten Schritt haben wir den Behörden alle Protokolle und Dokumentationen ausgehändigt. Der dritte Schritt folgt nun: Wir werden in diesem Jahr das Thema „Tierversuche in der Max-Planck-Gesellschaft“ schwerpunktartig angehen und das ganze Feld der Tierexperimente systematisch durchleuchten. Wir müssen mehr Transparenz herstellen und der Öffentlichkeit erklären, warum wir Experimente mit Tieren machen.

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Tierversuche an Primaten sind für viele Menschen nicht akzeptabel. Warum will die Max-Planck-Gesellschaft darauf nicht verzichten?

Das wird immer wieder ausgiebig diskutiert. Aber wir sind überzeugt: Eine vertiefte Kenntnis der Funktionsweise des Gehirns ist zentral, etwa um neue Therapien bei neurologischen Erkrankungen zu entwickeln. Das lässt sich ohne Versuche am Tier nicht erreichen. Denn ein so komplexes Organ kann man nicht in der Petri-schale züchten. Und ohne Informationen von Augen und Ohren kann das Gehirn nicht arbeiten. Seine Geheimnisse lassen sich deshalb auch nicht anhand von Computermodellen entschlüsseln – vielmehr entstehen solche Modelle erst auf Basis von Tierversuchen.

Wie stehen Sie persönlich zur Emotiona- lisierung von Forschung durch Interessengruppen?

Forschung muss frei von Emotionen und Ideologien sein. Forschung muss Dingen wertfrei auf den Grund gehen und gleichzeitig hohen ethischen Prinzipien genügen. Ganz besonders gilt das für Versuche mit Tieren. Gerade hier erschweren Emotionen einen sachlichen Austausch von Argumenten, der aber an dieser Stelle besonders wichtig ist. Es geht hier ja um eine ethische Abwägung zwischen menschlichem Leid, das wir verhindern oder zumindest lindern wollen, und tierischem Leid. Ich denke jedoch: Im Großen und Ganzen ist unsere Bevölkerung der Wissenschaft gegenüber positiv eingestellt. Die meisten erhoffen sich durch die Wissenschaft Wohlstand, längere Gesundheit und eine bessere Bildung.

Als Ihr Vorvorgänger im Amt, Hubert Markl, 1996 Präsident wurde, hatte die Max-Planck-Gesellschaft ein Budget von 1,8 Milliarden Mark, inzwischen sind daraus 1,6 Milliarden Euro geworden. In die Wissenschaft fließt immer mehr Geld. Das ist ein Grund, dass sich die Öffentlichkeit dafür interessiert, was durch diese Mittel bewirkt wird.

Natürlich muss die Wissenschaft sowohl der Öffentlichkeit als auch der Politik gegenüber Rechenschaft ablegen, was man mit dem vielen Geld gemacht hat und was die Gesellschaft davon hat. Wesentlich ist, niemals Erwartungen zu wecken, die man nicht erfüllen kann. Die Max-Planck-Gesellschaft generiert zum einen völlig neue Erkenntnisse. Zum anderen bilden wir Wissenschaftler sehr gut aus, die zum Teil später in andere Bereiche der Volkswirtschaft gehen und diese voranbringen durch ihre erlernte Fähigkeit, Wissen zu erzeugen. Ich komme von einem Materialforschungsinstitut, bei dem einige Mitarbeiter in der Wissenschaft bleiben, ein großer Teil davon aber führende Stellen in der europäischen Stahlindustrie übernimmt.

2005 initiierten die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Gesellschaft eine punktuelle Kooperation. Was ist aus dieser Liaison von Grundlagenforschung und angewandter Forschung inzwischen geworden?

Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen angewandter Forschung und Grundlagenforschung. In einer solchen Terminologie schwingt mit, dass der eine Grundlagen erforscht, der nächste erforscht, wie die Grundlagen angewendet werden können, und der dritte daraus dann Produkte macht. Das ist eine falsche Vorstellung. Die MPG fördert eine von Neugier getriebene Forschung, will Zusammenhänge verstehen. Doch häufig sind die Ergebnisse auch angewandt. Die Wissenschaftler der Fraunhofer-Gesellschaft möchten ein konkretes Ziel erreichen, für das sie dann ebenso oft erst einmal die Grundlagen erforschen müssen. Das Max-Planck-Fraunhofer-Programm hat mir gezeigt, dass diese beiden Arten von Forschung sich überlappen und häufig zu sehr interessanten Projekten führen. Beispielsweise haben wir Sprachelemente in einer linguistischen Datenbank gesammelt und uns überlegt, wie man diese Inhalte so auswerten kann, dass sie die Suchfunktion im Internet verbessern. Aktuell forschen wir gemeinsam an Lacken, die sich bei Kratzern selbstständig reparieren. Insgesamt haben wir bisher über 30 gemeinsame Pro-jekte definiert.

Wie beurteilen Sie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Forschung in Deutschland?

Ich bin davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft zukünftig immer mehr wissensbasierte Produkte erzeugen wird. Für die Politik ist Forschung und Bildung daher inzwischen ein Top-Thema. Die Bundesregierung setzt auf diese Bereiche. Der Zuwachs an Mitteln ist beim Bundesministerium für Bildung und Forschung mit am höchsten. Wir dürfen aber nicht locker lassen. Um auf Erfolgskurs zu bleiben, müssen wir die Investitionen in Forschung und Bildung weiter erhöhen.

Und wie würden Sie den gegenwärtigen Zustand der MPG beschreiben?

Wir sind eine führende europäische Forschungsinstitu- tion, und wir gehören zu den zehn besten Institutionen weltweit – wenn man die Zahl der Nobelpreisträger als Maß nimmt. Wir bieten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausragende Forschungsmöglichkeiten und eine Top-Infrastruktur. Mit 18 Nobelpreisträgern in den eigenen Reihen sind wir das Aushängeschild der deutschen Wissenschaft.

Wo in der Welt sitzen die schärfsten Konkurrenten?

In Europa sind das die Universitäten in Oxford und Cambridge, das Imperial College in London und die ETH Zürich. Weltweit konkurrieren wir mit Stanford, Harvard, dem MIT und wenigen anderen Top-US-Uni- versitäten. Zunehmend bekommen wir auch die Kon- kurrenz in Asien zu spüren. Insgesamt gesehen gibt es eine Art Champions League der Forschung. Wir sind als einzige deutsche Institution dabei.

Die Namen dieser Forschungseinrichtungen fallen seit Jahren. Heißt das, dass die Mitglieder dieser Liga von anderen Einrichtungen so weit entfernt sind wie der FC Bayern München von der 2. Bundesliga?

Ich glaube ja. Für Wissenschaftler spielt das weltweite Renommee ihres Arbeitgebers eine entscheidende Rolle. Denn herausragende Institutionen nehmen nur die besten Forscher in ihre Reihen auf, und der Ruf an eine solche Institution zeichnet den Wissenschaftler und seine Arbeit international aus. Das ist letztlich wichtiger als das Gehalt. Und so bedauerlich das ist: Es wird keiner deutschen Universität in den kommenden 10, 15 Jahren gelingen, in die Top 10 der Welt vorzustoßen. Das Renommee kommt nur durch einen sehr harten Selektionsprozess zustande, dem sich führende Wissenschaftler über Jahrzehnte gestellt haben – mit dem Ergebnis, dass es offenbar immer dieselben Institutionen sind, die an der Spitze stehen. Das scheint statisch zu sein, es ist in Wirklichkeit aber höchst dynamisch erarbeitet. Auch wer zwei Milliarden Euro auf einmal in die Hand nimmt, ist noch lange nicht Max-Planck oder Harvard.

Welche der 83 Max-Planck-Institute sind die besten?

Ein Ranking von MPI kann und werde ich nicht vornehmen. Das Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen ist zweifelsohne herausragend. Der aktuelle Nobelpreisträger für Chemie, Stefan Hell, kommt von dort. Weitere drei Nobelpreisträger sind dort noch aktiv. Daneben gibt es aber andere herausragende Institute – etwa in der Rechtsforschung. Und es gibt junge Institute mit herausragenden Berufungen. Wichtiger als ein Ranking ist mir, das charakteristische Merkmal unserer Institute herauszustellen: Wir wählen sehr selektiv aus und haben keine Institute, bei denen die Direktoren nicht an der internationalen Spitze forschen. Alle unsere Institute werden um unsere Wissenschaftlichen Direktoren herum aufgebaut. Ein Institut am grünen Tisch gründen und dann den Leitungsstab suchen – das machen wir nicht. Und unsere bestehenden Institute strukturieren wir entsprechend um, je nachdem, welche Köpfe wir für die Max-Planck-Gesellschaft gewinnen können. Das geht so weit, dass wir eine Neuausweisung nicht vornehmen, wenn der von uns ausgesuchte beste Wissenschaftler oder die beste Wissenschaftlerin nicht zu uns kommen möchte.

Rankings spielen in die Wissenschaft eine wichtige Rolle – zu Recht?

Rankings basieren auf speziellen Randbedingungen, weshalb man sie nicht überbewerten sollte. Bei der Karriereplanung junger Wissenschaftler spielen sie heute allerdings eine große Rolle. Sehr gute Doktoranden, die in Harvard promovieren können, werden an keine x-beliebige deutsche Universität gehen. Wichtig ist auch: Die meisten Rankings sind nach Universitäten gelistet. Und deshalb kommt die Max-Planck-Gesellschaft dort dummerweise gar nicht vor. Aus diesem Grund gibt es auch kein Ranking, bei dem eine deutsche Einrichtung ganz vorne steht. Wir haben das mal durchrechnen lassen: Wenn die Max-Planck-Gesellschaft eine Universität wäre, würden wir im bekannten Shanghai-Ranking auf Platz 5 stehen. Andere Rankings listen nach meistzitierten Publikationen oder renommiertesten Journalen. Bei diesen Rankings tauchen unsere Wissenschaftler stets ganz oben auf. Da wir sehr interessiert daran sind, ganz neue Forschungsfelder anzugehen, sind wir aber gut beraten, uns nicht nur an Rankings zu orientieren, die oft eher den Mainstream bedienen.

Gibt es Probleme, Forscher nach Deutschland zu bekommen?

Deutschland hat in den vergangenen Jahren in der Welt an Ansehen gewonnen. Berlin ist eine der attraktivsten Städte überhaupt geworden. Wir haben in den letzten Jahrzehnten ein Land kreiert, in das man als Wissenschaftler gerne zieht. Die MPG hat viele ausländische Wissenschaftler – von den Doktoranden bis hin zu den Direktoren – und die meisten fühlen sich sehr wohl bei uns. Was uns aber fehlt, ist eine Einwanderungspolitik, um die jungen ausländischen Wissenschaftler auch nach ihrer Promotion im Land zu halten.

Gegenwärtig unterhält die MPG fünf Institute im Ausland: zwei in Italien, eines in den USA, eines in den Nieder- landen, eines in Luxemburg. Sind für die nächste Zeit weitere Auslandsgrün-dungen im Köcher?

Neue Institute im europäischen Ausland kann ich mir durchaus vorstellen. Ob sich das im Einzelfall realisieren lässt, wird man sehen. Doch wir haben daneben auch Programme wie Auslandscenter oder Partnergruppen, bei denen wir mit unserer Infrastruktur und unseren Verpflichtungen nicht ganz so weit gehen wie bei einer Institutsgründung. Ich denke, dass wir diese Programme stärker ausbauen und nicht so sehr neue Institute im Ausland gründen werden.

Wo soll die Max-Planck-Gesellschaft 2020, am Ende Ihrer Amtszeit, stehen?

Die Fähigkeit, Existierendes neu auszurichten, wird ein Kernelement meiner Amtszeit sein. Dann werden wir unsere Nachwuchsprogramme anfassen: die Vergütung an internationale Standards anpassen, die Ausbildung innerhalb der MPG modifizieren, die Aus-stattung unserer internationalen Research Schools verbessern, die Karrierepfade von Wissenschaftlerinnen an ihre Bedürfnisse anpassen. Damit haben wir auf Jahre hinaus gut zu tun. •

Das Gespräch führte Wolfgang Hess

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