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Käfer sollen sich zu Tode pinkeln

Schädlingsbekämpfung

Käfer sollen sich zu Tode pinkeln
Käfer verursachen in der Landwirtschaft und in der Vorratshaltung gigantische Schäden. (Bild: Rotbrauner Reismehlkäfer, Credit: Tomasz Klejdysz/iStock)

Eine skurrile, aber giftfreie Bekämpfungsmöglichkeit zeichnet sich ab: Forscher haben bei Käfern Besonderheiten der Nierenfunktion aufgedeckt, die Potenzial für die Entwicklung gezielter wirkender Insektizide eröffnen. Käfer-spezifische Botenstoffe könnten die Krabbler demnach zu einer übermäßigen Urinabgabe zwingen, sodass ihnen schließlich eine Dehydration den Garaus macht. Dieser Ansatz könnte „Kollateralschäden“ vermeiden, die durch die bisher eingesetzten Schädlingsbekämpfungsmittel verursacht werden.

Pestizide haben einen üblen Ruf, denn sie können bekanntlich die Artenvielfalt schädigen und die Gesundheit von Tier und Mensch bedrohen. Doch leider sind sie oft nötig: Ohne den Einsatz von Maßnahmen oder Substanzen, die Krankheitserreger, Unkraut und Schädlinge in Schach halten, wäre die Ernährung der Weltbevölkerung nicht möglich. Hinzu kommen Qualitätsstandards: Konsumenten greifen im Supermarkt bevorzugt nach makellosen Produkten aus der Landwirtschaft. Bei den Verlusten und Qualitätsbeeinträchtigungen von Nahrungsmitteln haben Schad-Insekten eine besonders große Bedeutung. Die wichtigste Rolle spielen dabei wiederum Vertreter der Käfer, die Pflanzen fressen oder sich in Kornspeicher und Co über Vorräte hermachen. Wenn sie nicht durch Pestizide kontrolliert werden, drohen Totalausfälle.

Ökologischere Bekämpfungsmittel sind gefragt

Doch die bisherigen Bekämpfungsmittel sind problematisch: „Die gängigen Insektizide wirken meist auf das Nervensystem der Insekten. Das Problem bei diesem Ansatz ist, dass die Nervensysteme bei allen Insektenarten recht ähnlich sind“, erklärt Kenneth Halberg von der Universität Kopenhagen. Dadurch wirken sie nicht nur auf die „Bösewichte“, sondern bedrohen auch Organismen, die nicht im Fokus stehen. „Der Einsatz dieser Insektizide kann Bienen und andere nützliche Feldinsekten sowie viele unterschiedliche Lebewesen schädigen“, sagt Halberg. Es drohen somit vielschichtige Beeinträchtigungen der Artenvielfalt, der Umwelt und auch der menschlichen Gesundheit. Deshalb besteht ein großer Bedarf an Schädlingsbekämpfungsmitteln, die gezielt nur bei Käfern eine Wirkung entfalten.

Dazu müsste man folglich einen Ansatzpunkt identifizieren, den es nur bei diesen Insekten gibt. Genau das ist Halberg und seinen Kollegen gelungen. Im Rahmen ihrer Studie haben sie sich mit der Nierenfunktion und damit mit dem System des Wasserhaushalts der Käfer beschäftigt. Sie führten ihre Untersuchungen dabei an dem Rotbraunen Reismehlkäfer (Tribolium castaneum) als Modell durch. Zu diesem Vorratsschädling liegen bereits umfangreiche genetische Informationen vor und es stehen viele Techniken zur Untersuchung seiner Physiologie zur Verfügung.

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Wie die Wissenschaftler erklären, müssen auch Käfer Giftstoffe und Abfälle über die Abgabe von Flüssigkeiten aus ihrem Körper ausscheiden, wenn sie ein bestimmtes Niveau erreichen. Dabei ist allerdings eine feine Abstimmung mit dem Wasserhaushalt nötig, damit es nicht durch Verluste zu einer kritischen Dehydration kommt. Durch den Einsatz verschiedener molekularbiologischer Methoden konnten die Wissenschaftler nun zeigen, dass Käfer ihre Nierenfunktion grundlegend anders regulieren als alle anderen Insekten. Für die Kontrolle der Urinbildung ist demnach ein Hormonsystem zuständig, das speziell in der Entwicklungslinie der Käfer entstanden ist. Die Forscher konnten die Bedeutung der von ihnen identifizierten Botenstoffe auch durch Experimente verdeutlichen: Sie veranlassten ihre Versuchs-Käfer gezielt zum Urinieren, indem sie ihnen eine Substanz injizierten, die eine entsprechende hormonelle Wirkung entfaltete.

Urin-Treiber statt Nervengift

Genau in diesem Effekt könnte nun auch das Potenzial für die Entwicklung von neuen Schädlingsbekämpfungsmitteln stecken, sagen die Wissenschaftler: „Zu wissen, welche Botenstoffe die Urinbildung bei Käfern regulieren, eröffnet die Möglichkeit, Verbindungen zu entwickeln, die den Hormonen ähnlich sind, und so bewirken, dass die Käfer so viel Urin bilden, dass sie an Dehydrierung sterben“, erklärt Halberg. Im Klartext bedeutet das: Man könnte die Käfer dazu bringen, sich zu Tode zu pinkeln. „Das mag zwar besonders bösartig erscheinen, aber es ist nichts Neues, dass wir mit rabiaten Methoden versuchen, Schädlinge zu besiegen“, gibt Halberg zu bedenken. „Wir planen es nun allerdings auf eine intelligentere, gezieltere Weise zu tun, als es mit den herkömmlichen Pestiziden möglich ist“.

Bis ein „Pinkel-Mittel“ problematischen Käfern den Garaus machen kann, sind nun allerdings noch einige Hürden zu nehmen, betonen die Wissenschaftler. Die Entwicklung entsprechender Wirkstoffe erfordert demnach unter anderem, dass Chemiker ein Molekül entwickeln, das den Käfer-Hormonen ähnelt und im großen Maßstab herstellbar ist. Außerdem muss diese Verbindung in spezielle Formulierungen überführt werden, sodass sie in die Käfer gelangen können – entweder durch eine Absorption über die Körperoberfläche oder durch die Nahrungsaufnahme. „Wir sind jetzt dabei, Spezialisten für Proteinchemie einzubeziehen, die uns bei der Entwicklung eines künstlichen Insektenhormons helfen können. Aber es liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor uns, bevor diese neue Form der Schädlingsbekämpfung das Licht der Welt erblicken kann“, sagt Halberg.

Abschließend betont er noch einmal den großen Bedarf an Alternativen zu den bisherigen Schädlingsbekämpfungsmitteln im Einsatz gegen Käfer: „Die Lebensmittelproduktion ist in hohem Maße von Pestiziden abhängig. Schätzungen zufolge würde allein in Europa die Nahrungsmittelproduktion ohne Bekämpfungsmaßnahmen um 50 Prozent zurückgehen“. Entsprechend groß ist deshalb der Einsatz. „Wenn nur ein einziges, gezielteres Produkt auf dem Markt verfügbar wäre, würden demnach sofort immense Vorteile sowohl für die Tierwelt als auch für den Menschen entstehen“, sagt Halberg.

Quelle: Universität Kopenhagen, Fachartikel: PNAS, doi: 10.1073/pnas.2023314118

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