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„Korallen bauen nahe an der Klippe“

Anpassung an die Erderwärmung

„Korallen bauen nahe an der Klippe“
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Korallen © Irochka - Fotolia.com
Der Meereswissenschaftler Claudio Richter über die ungewisse Zukunft einer der produktivsten und vielgestaltigsten Lebensgemeinschaften in unseren Ozeanen: die Korallenriffe.

Fotolia_47754789_S_250.jpgnatur: Herr Richter, die Erderwärmung verläuft zunehmend rasant. Die mittleren globalen Temperaturen liegen voraussichtlich schon in wenigen Jahrzehnten zwei Grad Celsius höher als vor der Industrialisierung. Korallen gelten als besonders temperaturempfindlich. Ist mit einem weltweiten Korallensterben zu rechnen?
Richter: Das ist äußerst schwer zu beantworten, weil: Koralle ist nicht gleich Koralle. Manche Arten werden sich anpassen, andere nicht. Die riffbildenden Korallen in den Tropen leben zumeist in Symbiose mit einzelligen Mikroalgen. Die Symbiose ist überlebensnotwendig für die meisten Korallen. Sie ist aber auch äußerst empfindlich gegenüber Störungen. So weiß man mittlerweile, dass nur geringfügige Abweichungen – ein bis zwei Grad über dem sommerlichen Maximum – zum Bruch der Symbiose führen kann. Nun gibt es eine Vielzahl verschiedener Arten dieser „Zooxanthellen“ genannten Untermieter. Im Vorteil sind Korallen, die mit verschiedenen Zooxanthellen-Arten Symbiosen eingehen können. Sie sind flexibler als konservative Korallen, die auf einen Untermieter angewiesen sind und bei Verlust dieses Mieters keinen Ersatz finden können. Letztere werden irreversibel geschädigt. Man wird sehen, wie sich die Korallen und ihre Algen auf die globale Erwärmung einstellen. Möglicherweise kommt es zu neuen Wirt-Mieter Kombinationen. Wie die dann funktionieren, weiß niemand. Denn die derzeitigen Beziehungen sind über Jahrtausende gewachsen. Solange die Temperaturen um ein bis zwei Grad steigen, kann man sich vorstellen, dass die Korallen mit den Meeresströmungen in kühlere Breiten wandern. Aber bis eine neue Korallengemeinschaft wächst, braucht es 20, 50, 100 Jahre – und bis ein Riff entstanden ist tausende von Jahren.

Bevor Korallen sterben, bleichen sie zunächst aus. Was passiert dabei?
Das Phänomen ist jüngeren Datums. Seit zwanzig Jahren hört man von Massenbleichen. Eine der stärksten, die ich gesehen habe, war 2010 in unserem Projektgebiet vor Thailand, in der Andamanen-See, einem Randmeer des Indischen Ozeans. Es war wochenlang mehr als zwei Grad wärmer als üblich. Selbst robuste Arten sind ausgeblichen. Die gold-bräunliche Färbung der Korallen rührt von den Zooxanthellen her, die im Gewebe der Korallen wohnen. Zugleich sind diese Mikroalgen gewissermaßen die Solarzellen der Korallen. Sie betreiben Fotosynthese, wandeln also Licht unter anderem in Zucker um. Wenn sie fort sind, verlieren die Korallen ihre Farben. Sie sterben dann nicht gleich. Vielmehr müssen sie sich nun stärker von Plankton ernähren. Nur wenn die Wärme und damit das Bleichen zu lange anhält, verhungern die Korallen. Obwohl das Korallenwachstum – wie andere Stoffwechselvorgänge – temperaturabhängig ist, können die Korallen nicht wirklich von der globalen Erwärmung profitieren. Auch wenn die höheren Temperaturen den Wachstumsmotor beschleunigen, wird es für die Energielieferanten – die Zooxanthellen – bei nur einem Grad über dem Optimum kritisch. Korallen bauen gefährlich nahe an der Klippe. Auf die Dauer wird die Erderwärmung dafür sorgen, dass wir künftig zunehmend Korallenbleichen erleben. Und das ist äußerst bedenklich, weil Korallenriffe zu den produktivsten und vielgestaltigsten Lebensräumen im Meer gehören. Sie sind wichtig für Küstenschutz und die Ernährung der Menschen in den Tropen.

Kollabieren dann auch die Nahrungsketten im Meer?
Zumindest die Nahrungsketten in den tropischen Meeren sind bedroht. Grundsätzlich sind aber nur relativ wenige Fische direkt abhängig von den Korallen, Schmetterlingsfische beispielsweise, die sich von ihnen ernähren. Die meisten Fische nutzen Korallen vor allem als Kinderstube und Unterschlupf. Die komplexen Gemeinschaften in Korallenriffen können sich von vielen Störungen schnell erholen. Chronische Störungen wie die Verschlechterung der Wassserqualität oder Überfischung setzen aber die Widerstandsfähigkeit allmählich herab, so dass es oftmals nur des einen Tropfens bedarf, der das Fass zum Überlaufen bringt. So können dann Korallen-dominierte Riffe sehr schnell in Tang-dominierte Hartbodengemeinschaften umkippen. Wenn die Korallen sterben, bleiben ihre Skelette und der darunter liegende Kalkrahmen noch bestehen. Aber mit fortschreitender Erosion nagt der Zahn der Zeit an diesen natürlichen Bauwerken, sie verfallen, ein Lebensraum verschwindet. Es ist damit zu rechnen, dass sich anstelle der Korallen ganz neue Systeme einstellen werden. Wie die aussehen werden, entzieht sich bislang unserem Wissen.

Beschleicht Sie manchmal das Gefühl, eine verschwindende Welt zu beobachten?
Nein, das würde ich nicht sagen. Ich hatte das Glück als Jugendlicher in Ägypten aufzuwachsen und früh die Riffe erkunden zu können. Am Roten Meer gab es damals nur ein paar Zelte – wo heute Hotelburgen stehen. Ich war bereits damals fasziniert von den Riffen. Die Natur kann eine ganze Menge aushalten. Aber es wird ja nicht nur an der Temperatur gedreht. Man muss auch über Abwässer, Versauerung und Überfischung reden. Doch trotz allem gibt es noch immer viele Riffe, die in sehr guten Zustand sind. Es ist noch nicht alles verloren. Möglicherweise kommen Korallen zum Zuge, die heute noch keine wichtige Rolle spielen. In unseren Projektgebieten finden wir Riffabschnitte, die trotz Hitzewelle intakt bleiben. Welche Mechanismen diesen Refugien zugrunde liegen, ist eine Frage, die für die Zukunft der Korallenriffe von zentraler Bedeutung ist. Die Vielfalt der physikalischen und chemischen Prozesse im Meer und die außerordentliche biologische Vielfalt sind unsere Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommen muss, wie unsere Modelle es vorhersagen. Dies erfordert aber ein Umdenken vom „weiter so“, um die natürlichen Lebensräume zu erhalten und unsere Korallenriffe konsequent zu schützen.

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Das Gespräch führte Dirk Liesemer.

th_150.jpgZum Gesprächspartner
Der Meereswissenschaftler Claudio Richter ist Leiter der Sektion Bentho-Pelagische Prozesse am Alfred Wegener Institut in Bremerhaven und Professor für Ökologie mariner Tiere an der Universität Bremen. Er erforscht das „Darwin Paradoxon“; untersucht wird dabei, wie „Oasen des Lebens“ – von antarktischen Schwammgemeinschaften bis zu tropischen Korallenriffen – in nährstoffarmen Meeren existieren können und wie sie auf natürliche und anthropogene Störungen reagieren.

 

Bild ganz oben: © Irochka – Fotolia.com
Portätfoto: Alfred Wegener Institut

Das Interview ist im Rahmen einer Recherche für unser nächstes Heft entstanden, in dem es um die ökologischen Folgen des aktuellen Öl- und Gasbooms geht.

© natur.de – Dirk Liesemer
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