Die einen sind komplett schwarz, die anderen haben größtenteils graues Gefieder: Bei uns in Europa ist die Krähenpopulation klar geteilt. Im Westen brüten die tiefschwarzen Rabenkrähen, im Osten die hellgrau-schwarz gekleideten Nebelkrähen. Noch aber gehören beide zur gleichen Art. Warum sich beide Populationen trotzdem kaum vermischen, haben nun Forscher anhand von Genvergleichen untersucht.
Auch wenn sie sich äußerlich unterscheiden: Rabenkrähe und Nebelkrähe gehören – noch – zu einer Art: Sie sind Vertreter der Spezies Corvus corone, der Aaskrähe. Bis zum Beginn des Eiszeitalters bildeten alle Krähen Europas noch eine gemeinsame und vermutlich einheitliche gefärbte Population. Doch als die Gletscher nach Süden vorrückten, wurde diese Population geteilt: Eine Krähengruppe fand auf der Iberischen Halbinsel Zuflucht vor dem Eis, die andere auf dem Balkan. Während dieser Zeit der Isolation entwickelten sich die Farbunterschiede: „Vermutlich gab es in der östlichen Population eine Mutation, die die Vögel grau gefärbt hat“, erklärt Jochen Wolf von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Kaum Hybride trotz freiem Genfluss
Das Merkwürdige jedoch: Obwohl beide Krähenvarianten seit der letzten Eiszeit wieder in engem Kontakt sind und sich ihre Verbreitungsgebiete in einem 50 bis 100 Kilometer breiten Streifen entlang der Elbe überlappen, vermischen sie sich kaum. Haben sich diese Populationen schon so weit auseinanderentwickelt, dass eigene Arten entstanden sind, die womöglich keine fruchtbaren Nachkommen mehr produzieren? Dem widerspricht die Beobachtung, dass es in der schmalen Mischungszone durchaus Hybride gibt: Krähen, die farblich zwischen den beiden Farbvarianten stehen und durchaus gesund und fruchtbar sind.
Demnach muss ein anderer Effekt dafür sorgen, dass solche Krähenmischlinge eher die Ausnahme bleiben. Könnten dies genetische Barrieren sein? Frühere DNA-Analysen von Krähen sprachen eher dagegen: „Genscans in der europäischen Hybridzone deuten darauf hin, dass die genetische Variation genweit homogenisiert ist“, berichten Wolf und seine Kollegen. Mit anderen Worten: Ein Großteil des Erbguts beider Krähenvarianten scheint völlig identisch und problemlos austauschbar zu sein – zumindest in der Mischungszone. Die klare Begrenzung dieser Zone deutet allerdings darauf hin, dass es eine Selektion gegen den hybriden Nachwuchs geben muss.
Spurensuche bei den Farbgenen
Schon länger vermuten Biologen, dass die Partnerwahl und die Vorliebe der beiden Krähengruppe für ihre jeweils eigene Gefiederfarbe für die geringe Zahl von „Mischehen“ verantwortlich sein könnten. Sollte dies stimmen, müssten sich im Genom der beiden Krähenvarianten die Genregionen, die für die Gefiederfarbe zuständig sind, deutlich unterschieden – und sie müssten stabiler geblieben sein als andere Genbereiche. Um das zu überprüfen, führten Wolf und sein Team eine genetische Mischungsanalyse durch, das sogenannte Admixture-Mapping. Dafür verglichen sie die DNA von rund 400 Tieren aus der Hybridzone ebenso wie aus den getrennten Verbreitungsgebieten.
Und tatsächlich: „Es sind in der Hauptsache nur zwei genetische Faktoren. Nur die beiden Gene, die gemeinsam die Farbe codieren, findet man an der Hybridzone ganz scharf getrennt – da geht kein grau codierendes Allel ins schwarze Gebiet und kein schwarzes ins graue“, berichtet Wolf. Das komplette restliche Erbgut kann dagegen frei zwischen den Populationen wandern – es findet sich sowohl bei den westlichen Rabenkrähen als auch bei den östlichen Nebelkrähen. „Das ist ein sehr starker Hinweis darauf, dass es eine strenge Selektion hinsichtlich der Farbe gibt“, so Wolf.
Partnerwahl blockiert Genaustausch
Diese Ergebnisse bestätigen, dass bei den Krähen eine Artbildung im Gange ist. Zwar greift das klassische biologische Artkonzept, demzufolge hybride Nachkommen nicht fortpflanzungsfähig sind, hier noch nicht. Aber weil die Vögel relativ konsequent gleichfarbige Partner wählen, bleiben die beiden Varianten getrennt. Eine „fremdfarbiger“ Krähe hat bei der Partnerwahl nur geringe Chance – und ähnliches gilt auch für die mischfarbigen Hybriden, wie die Forscher erklären.
Die Krähenmischlinge haben deshalb weniger Nachkommen als ihre Artgenossen mit dem klassischen rein schwarzen oder „nebeligen“ Gefieder. Sie sind zwar fruchtbar, bekommen aber oft einfach keinen Partner. Als Folge breiten sich die Hybriden nicht weiter aus und bleiben auf wenige Ausnahmen in dem engen Mischungsstreifen begrenzt. „Wir arbeiten gerade daran, mathematisch zu modellieren, wieviel Prozent Fehlwahl bei der aktuell beobachteten Form der Hybridzone vorkommen kann“, sagt Wolf. „Unsere bisherigen Ergebnisse zeigen, dass es nur wenige Prozent sind, die Fehlerwahrscheinlichkeit ist also sehr gering.“
Quelle: Ludwig-Maximilians-Universität München; Fachartikel: Nature Ecology and Evolution, doi: 10.1038/s41559-019-0847-9