Die Neandertaler konnten Nährstoffe möglicherweise nicht so effizient in Energie umwandeln wie ihre Konkurrenten, die anatomisch modernen Menschen: Ihre Mitochondrien, die winzigen Kraftwerke innerhalb der Körperzellen, scheinen eher auf die Produktion von Wärme als auf die Bildung von energiereichen Verbindungen eingestellt gewesen zu sein. Das schließt ein US-amerikanisch-britisches Forscherteam aus der Bausteinabfolge des Erbguts dieser Zellbestandteile, die im August dieses Jahres erstmals veröffentlicht worden war. Ihre heizenden Mitochondrien kamen den Neandertalern im kalten Klima der Eiszeit wahrscheinlich sehr zugute ? als das Wetter jedoch wärmer und wechselhafter wurde, war die schlechtere Energiebilanz jedoch wohl eher ein Nachteil und könnte mit zum Aussterben der Frühmenschen beigetragen haben.
Mitochondrien besitzen als einzige Bestandteile der Zelle abgesehen vom Kern ihr eigenes Erbgut. Auf ihm sind die Baupläne für eine Reihe von Werkzeugen für die Umwandlung von Nährstoffen in Energie gespeichert. Ein Teil dieser Energie wird als Wärme abgegeben, während der Rest in ein Molekül namens ATP, eine Art universelle Energiewährung für die Zelle, umgesetzt wird. Das war auch beim Neandertaler so, der bis vor etwa 30.000 Jahren in Europa und im westlichen Asien lebte: Das Erbgut seiner Mitochondrien gleicht in weiten Teilen dem heute lebender Menschen, hatte ein internationales Forscherteam im August mit Hilfe der Analyse eines Neandertalerknochens aus Kroatien zeigen können.
Beim modernen Menschen ist die Umwandlung der Energie in ATP im Allgemeinen sehr effizient und der Wärmeanteil gering. Einige frühere Studien hatten jedoch darauf hingedeutet, dass er bei Bewohnern arktischer Gebiete deutlich erhöht ist ? vermutlich eine Anpassung an die Klimabedingungen, um die Körpertemperatur bei der ständigen Kälte besser konstant halten zu können. Verantwortlich dafür sind meist Veränderungen im mitochondrialen Erbgut, die eine Art Kurzschluss in der Energieumwandlungskette hervorrufen.
Da auch der Neandertaler lange Zeit mit extrem kaltem Klima klarkommen musste, könnte es eine ähnliche Anpassung auch bei ihm gegeben haben, vermuteten Patrick Chinnery von der Universität in Newcastle und seine Kollegen. Sie untersuchten daher nun erneut einen Teil der Daten des Neandertalererbguts und fanden tatsächlich eine Abweichung, die zu einem ähnlichen Kurzschluss geführt haben könnte, wie er bei den Arktisbewohnern zu finden ist.
Bei der Interpretation der Ergebnisse sei jedoch Vorsicht geboten, betont Chinnery gegenüber dem „New Scientist“: Die veröffentlichte Sequenz stamme lediglich von einem einzigen Neandertaler und könne auch zufällig entstanden oder eine persönliche Eigenart gewesen sein. Bevor die gleiche Veränderung nicht bei einer ganzen Reihe weiterer Individuen nachgewiesen werde, sei die Beteiligung der Mitochondrien am Aussterben der Neandertaler lediglich eine vorläufige Hypothese.
Patrick Chinnery (Universität Newcastle) et al.: New Scientist, 27.11.2008 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel