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Leidensdruck auf dem stillen Örtchen: Von Ballaststoffen und anderen Mythen der Verstopfung

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Leidensdruck auf dem stillen Örtchen: Von Ballaststoffen und anderen Mythen der Verstopfung
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Ballaststoffe, viel Flüssigkeit und Bewegung sind die gängigen Empfehlungen bei Verstopfung. Dass diese Mittel immer auch Wirkung zeigen, sei ein Mythos, sagt der Berliner Mediziner Stefan Müller-Lissner. Nicht jeder Patient verträgt jede Behandlung. Besser ist ein Stufenplan von einfachen Hausmitteln über darmaktivierende Kost bis hin zu Abführmitteln. Dieser wird auch dem Erkrankungsbild gerecht, das von leichten Befindlichkeitsstörungen bis hin zum chronischen Leiden reicht.

Ist der Darm nicht willig und der Gang zur Toilette eine Qual, kann dies das Wohlbefinden empfindlich stören. Ziehen sich die Probleme über etliche Tage hin, heißt die Diagnose oft Verstopfung. Mehr Ballaststoffe, viel Flüssigkeit und mehr Bewegung sind die häufigsten Therapieempfehlungen. Doch der Berliner Mediziner Stefan Müller-Lissner, Professor für Innere Medizin und Gastroenterologie an der Humboldt-Universität, hat andere Erfahrungen gemacht: Diese Behandlungstipps leuchteten zwar ein und wirkten auch in manchen Fällen, doch häufig helfen sie überhaupt nicht. Wissenschaftlich belegt seien sie schon gar nicht.

Schokolade, Cornflakes, Cola und Co in Mengen, und das noch möglichst schnell: Kein Wunder, dass die Verdauung sich bei einer solchen Belastung irgendwann meldet und der Darm sich wehrt. Die Ernährung und die unstete Lebensweise werden folgerichtig auch am häufigsten als Grund für eine Verstopfung genannt. Doch der Fall ist komplizierter als allgemein angenommen, kann eine Verstopfung doch genauso eine unspezifische Befindlichkeitsstörung wie eine ernste Erkrankung sein. Konkrete Zahlen gibt es nicht, doch Mediziner schätzen, dass beispielsweise rund 20 bis 30 Prozent der über Sechzigjährigen davon betroffen sind.

Wer dreimal täglich aufs stille Örtchen muss, liegt ebenso in der medizinischen Norm wie jemand mit Sitzungen nur jeden zweiten Tag. “Selbst eine Darmentleerung pro Woche bringt noch keine gesundheitlichen Nachteile mit sich”, sagt Müller-Lissner. Allein entscheidend ist der Leidensdruck während der Sitzungen. Gehen sie mit Schmerzen einher, ist der Gang zur Apotheke oder zum Arzt angezeigt.

Doch die häufig empfohlenen Behandlungsstrategien führen allzu oft ins Leere, hat ein internationales Team um den Gastroenterologen Müller-Lissner herausgefunden. Gemeinsam mit britischen, italienischen und US-amerikanischen Kollegen prüften die Wissenschaftler die Forschungsliteratur der vergangenen zwanzig Jahre und stellten beispielsweise fest, dass die häufig empfohlenen Ballaststoffe zwar einigen “Verstopften” zu einer geregelten Darmtätigkeit verhelfen können. In vielen Fällen klappt dies jedoch nicht: “Viele Patienten mit gravierenden Verstopfungen ging es mit einer ballaststoffreichen Diät sogar noch schlimmer”, fasst Müller-Lissner diesen Aspekt zusammen.

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Auch konnten er und sein Team keine Hinweise finden, dass viel Flüssigkeit und ein Mehr an Bewegung den Darm spürbar auf Trab bringen. “Die Spezialisten wissen das längst”, erläutert Müller-Lissner. Nur ist es eben schwer, dieses Wissen an die Allgemeinärzte und Otto-Normalverbraucher zu bringen, zumal der Dreiklang Ballaststoffe, Trinken und Bewegung in den Köpfen sitze und zum Beispiel auch von den Krankenkassen propagiert werde.

“Alle diese Maßnahmen sind ja nicht falsch”, wägt der Amberger Internist und Gastroenterologe Volker Groß ab. Der Chefarzt des Klinikums St. Marien hält die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten für entscheidend bei einer Verstopfung. Schon deswegen seien Ballaststoffe, Flüssigkeit und Sport zur Vorbeugung und Therapie sinnvoll. Er rät zu einem Stufenplan. Zunächst probieren die Patienten die einfachen Hausmittelchen aus. “Morgens, gleich nach dem Aufstehen, kann ein frischer Fruchtsaft oder ein Glas stilles Mineralwasser die Darmtätigkeit gut anregen”, sagt Groß. Bleibt die erhoffte Wirkung aus, können ballaststoffreiche Kost wie Salate und Gemüse helfen, ferner auch Ballaststoffe in Form von indischen Flohsamen sowie geschrotete Leinsamen und Kleie. Doch dies gelte es erst auszuprobieren, da es viele Patienten nicht vertragen – Blähungen und Bauchkrämpfe können die Folge sein.

Ist der Leidensdruck größer, empfiehlt Müller-Lissner Abführmittel. Unter diesen so genannten Laxantien gibt es im Wesentlichen zwei Gruppen. Zum einen quellfähige Substanzen wie das Polymer Macrogol. Es saugt Flüssigkeit wie ein Schwamm auf und hält den Darminhalt feucht, da es selbst nicht aufgenommen oder zersetzt wird. Hilft dies nicht, so können Patienten auch auf stimulierende Laxantien zum Beispiel auf Basis der Substanzgruppe der Anthrachinone zurückgreifen. Diese schubsen aktiv die Darmtätigkeit an.

Manche Ärzte und Patienten schrecken aber davor aus Angst zurück: Anthrachinone stehen im Ruf, abhängig zu machen und bei Einnahme über längere Zeit die Wirkung zu verlieren, ja die Beschwerden sogar noch zu vergrößern. Doch auch hier gibt Müller-Lissner Entwarnung: Patienten, die sich an die Dosierungsanweisungen halten, müssen keine Nachteile befürchten. Dies ist umso wichtiger, da Laxantien keiner Verschreibungspflicht unterliegen. In rund 80 Prozent der Fälle behandeln die Patienten sich selbst, schätzt Groß. Doch um sicher zu gehen, dass keine andere Erkrankung sich über den Darm meldet, sollten Patienten in harten Fällen auf jeden Fall den Arzt oder Apotheker einschalten.

ddp/wissenschaft.de – Martin Schäfer
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