Sie haben eigentlich keinen guten Ruf: Action-Videospiele sind nur sinnlose Zeitverschwendung und machen Kinder nervös und überdreht – so denken viele Eltern. Doch nun berichten italienische Forscher von einem überraschend positiven Effekt des wilden Spiele-Spaßes vor dem Bildschirm: Kinder, die von der Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie) betroffen sind, können durch Action-Videospiele ihre Lesefähigkeit deutlich verbessern, obwohl die Spiele nicht direkt etwas mit Sprache zu tun haben. Vermutlich steigern die Games die Aufmerksamkeit. Ein Defizit in diesem Bereich könnte eine der Ursachen für Legasthenie sein, sagen die Forscher.
An den Untersuchungen der Forscher um Sandro Franceschini von der Universität Padua nahmen insgesamt 20 Kinder mit Legasthenie teil. Wie gut sie lesen konnten, wurde vor Beginn mit einem standardisierten Test festgestellt. Für die eigentliche Studie durften die Kinder an neun Tagen jeweils 80 Minuten lang ein Videospiel namens Rayman Raving Rabbids spielen. Es umfasst separate Minigames, von denen manche Action-Videospiel-Charakter besitzen und einige nicht. In einem davon muss der Spieler flinke Kaninchen jagen und dabei ständig Hindernissen und Angriffen ausweichen, er muss daher schnell reagieren und ständig aufmerksam sein. Zehn der Kinder durften nur diese rasanten Abenteuer mit den frechen Kaninchen spielen, die anderen zehn Teilnehmer spielten dagegen nur die Minigames ohne Action-Charakter.
Action stärkt Aufmerksamkeit
Die erneute Überprüfung der Lesefähigkeit nach dem Training durch die Videospiele ergab einen deutlichen Unterschied zwischen beiden Testgruppen: Die Kinder, die die Action-Minigames gespielt hatten, zeigten im Vergleich zur Kontrollgruppe Verbesserungen ihrer Legasthenie-bedingten Leseprobleme: Sie konnten deutlich flüssiger lesen als zuvor und das auch ohne Einbußen bei der Genauigkeit. Der positive Effekt übertraf dabei herkömmlichen Therapien bei Legasthenie, wie die Wissenschaftler berichten.
Ihrer Ansicht nach untermauern die Ergebnisse die bisherige Annahme, nach der Defizite in der visuellen Aufmerksamkeit eine der Ursachen von Legasthenie bilden. „Action-Videospiele können Aspekte der visuellen Aufmerksamkeit verbessern, vor allem die Auswertung von Informationen aus der Umwelt“, erklärt Co-Autor Andrea Facoetti von der Universität Padua. Offenbar hat das Gehirn der Kinder durch ihr Training am Videospiel gelernt, die relevanten Informationen eines geschriebenen Wortes schneller zu erfassen, sagen die Forscher.
Die Studie ist ihnen zufolge ein wichtiger Schritt beim Verständnis der Grundlagen von Legasthenie. Wir empfehlen nun natürlich nicht, Kinder unkontrolliert Action-Videospiele spielen zu lassen, betont Sandro Franceschini. Es könnten sich aus den Ergebnissen aber durchaus Behandlungsansätze entwickeln, die Legasthenie-Symptome frühzeitig reduzieren und dazu auch noch Spaß machen, sagen die Wissenschaftler.
Sandro Franceschini (Universität Padua) et al.: Current Biology., doi:10.1016/j.cub.2013.01.044 © wissenschaft.de –
Martin Vieweg