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MAGDALENA GÖTZ: DIE ENTDECKERIN

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

MAGDALENA GÖTZ: DIE ENTDECKERIN
Wie werden Nervenzellen gebildet? Um diese Frage dreht sich das Forscherleben von Magdalena Götz. Jetzt hat sie entdeckt, dass dabei die lange verkannten Gliazellen die Hauptrolle spielen.

Selbst im Urlaub kann Magdalena Götz nicht aus ihrer Haut. Ihr letztes Reiseziel waren die Galápagos-Inseln. „Wunderschön“, sagt sie, „aber natürlich auch aus biologischer Sicht hochinteressant.“ Das fand schon Charles Darwin, dessen Evolutionstheorie dort angesichts der einzigartigen Flora und Fauna wichtige Anstöße erhielt. Magdalena Götz ist Entwicklungsbiologin. Allerdings forscht sie nicht an ganzen Tieren und Pflanzen, sondern im mikroskopischen und molekularen Bereich. Seit dem Diplom beschäftigt sich die heutige Direktorin des Instituts für Stammzellforschung, das zum Helmholtz-Zentrum München gehört, mit der Entstehung und Ausdifferenzierung von Nervenzellen. Die preisgekrönten Forschungen der Wahl-Bayerin, die auch einen Lehrstuhl an der Ludwig-Maximilians-Universität München innehat, werfen ein völlig neues Licht auf die Prozesse der Hirnentwicklung.

Es gibt im Gehirn zwei Zelltypen: Einerseits die rund hundert Milliarden Nervenzellen, die Informationen übertragen und verarbeiten. Andererseits die Gliazellen, denen, obwohl zehnmal so häufig, lange nur eine Stütz- und Ernährungsfunktion zugeschrieben wurde (siehe Beitrag „Neue Stars am Hirnforscherhimmel“). Ähnlich zementiert wie die Vorstellung von der Glia als bloßem Nervenkitt war in der Wissenschaft die Auffassung, dass die beiden Zelltypen getrennte Entwicklungswege nehmen. Magdalena Götz hat das widerlegt. Gliazellen generieren Neuronen, lautete ihr im Jahr 2000 erstmals veröffentlichter Befund. Er sorgte, so Götz, „für einiges Aufsehen“.

Im Blickpunkt standen dabei die radialen Gliazellen. Das sind langgestreckte Zellen, die beim Embryo das entstehende Nervengewebe in der Großhirnrinde wie die Speichen eines Rads durchspannen. Nach bisheriger Vorstellung dienen sie gleichsam als Klettergerüst für die neuronalen Vorläuferzellen, die während der Embryogenese neue Nervenzellschichten bilden. Nach den neuronalen Vorläuferzellen fahndete Magdalena Götz in den Gehirnen von Mäuseembryonen vergebens. Dabei stieß sie immer wieder auf den radförmigen Gliazelltyp – auch zu einem Entwicklungszeitpunkt, an dem die Bildung von Neuronen auf Hochtouren läuft. Ein Paradox, das für die damals am Max-Planck-Institut für Neurobiologie beschäftigte Wissenschaftlerin nur einen Schluss zuließ: Die Quelle der Nervenzellen müssen die radialen Gliazellen selbst sein. Den Beweis erbrachte die von ihr geleitete selbstständige Forschergruppe am Martinsrieder MPI anschließend, ebenfalls mit Versuchen an der Maus.

KEIN MAUERBLÜMCHEN MEHR!

„Das Aufregende an der Entdeckung ist, dass die Gliazellen jetzt prinzipiell als Stammzellen des Gehirns gelten können“, erklärt Götz. Vom langweiligen Nervenkitt werden diese Zellen somit zu neuen Hoffnungsträgern der Medizin: Sie könnten helfen, Alzheimer, Schlaganfall und Parkinson zu heilen, indem sie Ersatz für geschädigtes Nervengewebe bilden. Die neurowissenschaftliche Zunft tat sich zunächst schwer mit diesem Rollenwechsel. Götz‘ These sorgte für heftige Kontroversen und offene Zweifel, die sie selbst jedoch mit weiteren Experimenten entkräften konnte.

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Heute hat sich die Erkenntnis, dass Gliazellen als neuronale Stammzellen fungieren, weitgehend durchgesetzt. Nur manchmal hört die 45-Jährige noch das Argument, man habe die Neuronenvorläufer vielleicht falsch bezeichnet. Zu den Glia könnten sie jedenfalls nicht gehören. „Der Zelltyp hat es noch nicht überall geschafft, seinen Status als Mauerblümchen abzulegen“, sagt Götz und übt ein wenig Kritik an den Forscherkollegen. Sie ist sicher, dass der „ Nervenkitt“ für Entwicklung und Funktion des Gehirns enorm viel Bedeutung hat. „Seine Aufgaben zu entschlüsseln und zu verstehen ginge schneller, wenn sich mehr Forscher für die Gliazellen interessieren würden.“

Wie lohnend es sein kann, nicht den gängigen Forschungstrends hinterher zu laufen, zeigt ihre eigene Karriere. Im letzten Jahr erhielt Magdalena Götz den Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis, den mit 2,5 Millionen Euro höchstdotierten deutschen Wissenschaftspreis. Ein Teil des Geldes ist bereits angelegt: in Spezialmikroskopen. „Damit können wir die Gliazellen live beobachten – zusehen, wie sie sich teilen oder auf Hirnverletzungen reagieren.“ Diese Möglichkeit habe sie sich schon lange gewünscht.

Das Biologiestudium absolvierte die gebürtige Heidelbergerin in Tübingen und Zürich. Ihrem damaligen Hobby, der Pflanzenbestimmung, geht sie auch heute noch manchmal nach. In ihrer Diplom- und Doktorarbeit ging es aber nicht um die Flora, sondern um die Entwicklung des Nervensystems. Als Post-Doktorandin wechselte Magdalena Götz 1993 ans Londoner National Institute for Medical Research und folgte kurz darauf ihrem Chef, der das Angebot eines Pharma-Unternehmens angenommen hatte. Dort reifte nach und nach die Erkenntnis: Big Pharma ist nichts für sie. „Die Vorgaben, woran geforscht wird, haben so oft gewechselt wie die Fußballtrainer in der Bundesliga“, erinnert sie sich. „Heute Alzheimer, morgen Schizophrenie – jedes Mal, wenn ein neuer Manager kam, änderte sich alles.“

DIE FREIHEIT GEFUNDEN

Obwohl von den ständigen Strategiewechseln selbst nicht betroffen, warf Magdalena Götz das Handtuch. „Ich hänge an meiner wissenschaftlichen Freiheit.“ Die fand sie 1997 am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München-Martinsried als Leiterin einer eigenen Arbeitsgruppe. Als die Helmholtz-Gesellschaft bei München ein Institut für Stammzellforschung gründete und ihr die Direktorenstelle anbot, zögerte sie nicht. Ein „Traumjob“, und außerdem in der Nähe ihres Mannes Benedikt Grothe, der fast zeitgleich an der Ludwig-Maximilians-Universität einen Lehrstuhl für Neurobiologie übernahm.

Seit vier Jahren steht sie dem „kleinen, aber feinen“ Institut mittlerweile vor und leitet die Arbeitsgruppe Neurale Stammzellen. „Wir machen Entwicklungsbiologie, allerdings jetzt verstärkt im erwachsenen Gehirn“, erklärt die Forscherin. Denn auch dort werden aus Stammzellen neue Nervenzellen gebildet, allerdings nur in zwei Regionen: im für das Gedächtnis bedeutenden Hippocampus und im Riechkolben. Götz und ihr Team konnten nachweisen, dass bestimmte Regulatorproteine diese „ adulte Neurogenese“ steuern. Gliazellen finden sich aber überall im Gehirn – und somit ein unerschöpflicher Vorrat an neuralen Vorläuferzellen –, doch in anderen Regionen des erwachsenen Gehirns haben sie die Fähigkeit, Neuronen zu bilden, verloren.

Dieses schlummernde Potenzial zu wecken, ist Magdalena Götz‘ großes Ziel. „Wir wollen herausfinden, wie sich überall im Gehirn und das ganze Leben lang Entwicklungsprozesse auslösen lassen.“ Unlängst gelang ein wichtiger Durchbruch. Ihre Arbeitsgruppe zeigte, dass nach Verletzungen im Hirn von Mäusen aus Gliazellen wieder Stammzellen werden, die sich wiederum zu Nervenzellen weiterentwickeln können. In der Zellkultur funktioniert dieser entscheidende zweite Schritt problemlos. Doch in der Verletzungsregion bilden sich nur sehr wenige Neurone, die zudem größtenteils wieder absterben. Trotzdem verspricht man sich viel von der Entdeckung. „Die von uns gefundene Zellpopulation ist prinzipiell zur Neurogenese in der Lage“, sagt Magdalena Götz. „ Und wir wollen ihr dabei helfen.“ ■

von Ulrich Kraft

KOMPAKT

· Geboren am 17. Januar 1962 in Heidelberg und dort auch aufgewachsen.

· Akademischer Werdegang: Biologiestudium in Tübingen und Zürich, Promotion 1992, Postdoc am National Institute for Medical Research in London und bei Smith Kline Beecham im britischen Harlow, Habilitation 2000.

· Ab 1997 Leiterin einer unabhängigen Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München-Martinsried.

· Seit 2004 Direktorin am Institut für Stammzellforschung der GSF in Neuherberg, Ende 2004 auf den Lehrstuhl für Physiologische Genomik an der LMU München berufen.

· Magdalena Götz hat nach dem Abitur ein Semester Philosophie studiert und schreckt bis heute vor philosophischen Fragestellungen nicht zurück. So argumentiert sie für die Erweiterung des Stammzellgesetzes.

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