Die fernöstliche Cousine unserer Kohlmeise hat bereits zuvor ihre erstaunlich komplexen Fähigkeiten bei der Lautkommunikation unter Beweis gestellt: Suzuki konnte durch Verhaltensstudien an Japanmeisen ( Parus minor) zeigen, dass diese Vögel eine Art Grammatik – eine zusammengesetzte Syntax – in ihren Rufen einsetzen: Sie kombinieren in bestimmten Situationen zwei verschiedene „Wörter“ zu einem Ausdruck mit neuer Bedeutung. In der aktuellen Studie hat sich Suzuki nun mit dem Effekt eines besonderen „Wortes“ der „Meisen-Sprache“ beschäftigt: „Die Vögel geben spezielle Alarmrufe von sich, wenn sie eine Schlange sehen“, erklärt Suzuki.
Mentale Bilder prägen die menschliche Kommunikation
Beim Menschen rufen Begriffe bekanntlich klare mentale Eindrücke hervor – wir können uns anhand eines sprachlichen Ausdrucks etwas bildhaft vorstellen, auch wenn es nicht in unserem Sichtfeld erscheint. Wie der Forscher betont, ist bisher kaum etwas darüber bekannt, inwieweit solche Effekte auch in der Lautkommunikation von Tieren eine Rolle spielen. Mit seiner Studie wollte Suzuki nun Hinweise liefern, ob der spezifische Alarmruf für Schlange im Verstand der Vögel ein mentales Bild hervorrufen kann.
Bei den Versuchen spielte Suzuki seinen Versuchstieren über einen Lautsprecher unterschiedliche Meisen-Rufe vor und beobachtete die Reaktionen. Er konnte zeigen, dass die Vögel, wenn sie den spezifischen Alarmruf für Schlange hörten, auf einen Stock wie auf das gefährliche Reptil reagierten, wenn er im Sichtfeld der Tiere bewegt wurde. Sie zeigten dieses Verhalten dem unbelebten Objekt gegenüber hingegen nicht, wenn keine Laute oder andere Meisenrufe aus dem Lautsprecher ertönten.
Suzuki interpretiert dieses Verhalten als ein Zeichen dafür, dass der Ruf ein mentales Bild einer Schlange in den Vögeln hervorruft. Dadurch werden sie gezielt empfindlicher gegenüber Schlangen-ähnelnden Objekten und gleichen sie mit dem geistigen Bild ab, schließt er aus weiteren Beobachtungen: Wenn die Vögel auf eine echte Schlange treffen, nähern sie sich ihr, schweben über dem Feind und breiten dabei Flügel und Schwanz aus, um das Reptil zu irritieren. Die Vögel machten während der Experimente ebenfalls einen Ansatz zu diesem Verhalten, brachen es dann aber ab. „Sie haben vermutlich festgestellt, dass der Stock keine richtige Schlange war“, sagt Suzuki.
Mit dem Bild einer Schlange im Kopf
Einen weiteren Hinweis auf mentale Bilder liefert das Verhalten im Kontext, berichtet der Biologe: Die Meisen reagieren auf die schlangenspezifischen Alarmrufe je nach den Umständen unterschiedlich. Wenn die Signale in einer Nesthöhle zu hören sind, fliehen die Vögel sofort, als ob sie einem Angriff in dieser Lage ausweichen wollen. Im Gegensatz dazu reagieren sie außerhalb des Nestes nicht mit Flucht, sondern beäugen den Boden in der Nähe des Nistbaums, als ob sie nach einer Schlange suchen. „Die Vögel reagieren auf die Warnrufe nicht in einheitlicher Weise, sondern scheinen ein Schlangenbild zu erhalten und dann zu entscheiden, wie sie mit der Bedrohung umgehen – je nach den Umständen“, erklärt Suzuki.
Ihm zufolge könnten seine Beobachtung bei den Meisen exemplarisch sein: „Mentale Bilder könnten auch bei anderen Tierarten mit Kommunikationssystemen eine wichtige Rolle spielen“, sagt Suzuki. Auch von Affenarten oder den Erdmännchen ist beispielsweise bekannt, dass sie im Zusammenhang mit bestimmten Nahrungsmitteln oder Räubern spezielle Rufe erzeugen. In diesen Fällen könnte man nun nachhaken und damit möglicherweise den Grundlagen von höherentwickelten Formen von Sprache auf die Spur kommen, meint Suzuki: „Die Entdeckung kognitiver Mechanismen bei der Kommunikation von Tieren kann Einblicke in die Ursprünge und die Entwicklung der menschlichen Sprache geben“, so der Verhaltensforscher.