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Bedrohtes „Schimpansen-Kulturerbe“

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Bedrohtes „Schimpansen-Kulturerbe“
Nüsseknacken gehört zum Repertoire der Schimpansenkulturen. (Bild: Tobias Deschner/Taï Chimpanzee Project)

Wo Menschengruppen in Bedrängnis geraten, ist auch ihr kulturelles Erbe in Gefahr – Ähnliches gilt offenbar auch für Schimpansen, berichten Verhaltensforscher: Wo der Mensch die Affen bedroht, leidet ihre kulturelle Vielfalt, die sich in vielen erlernten Verhaltensweisen widerspiegelt, geht aus ihren Studienergebnissen hervor. Als Träger von „Schimpansen-Kulturerbe“ sollten Gruppen mit außergewöhnlichen Verhaltensweisen deshalb möglicherweise speziell geschützt werden, sagen die Forscher.

Sie sind unsere nächsten Verwandten im Tierreich und das wird auch an vielen Ähnlichkeiten im Verhalten von Mensch und Schimpanse deutlich, wie Studien in den letzten Jahrzehnten zunehmend gezeigt haben. So verfügen Schimpansen auch über eine außergewöhnlich hohe Verhaltensvielfalt. Sie zeigt sich im Zusammenhang mit der Gewinnung von Nahrung, der Kommunikation und der Anpassung an verschiedene Herausforderungen ihres Lebensraumes. Dazu gehören gruppenspezifisch unterschiedliche Techniken zum Fangen von Termiten oder Ameisen, das Angeln von Algen aus Tümpeln, das Nüsseknacken oder die Honigernte. Schimpansen sind auch für verschiedene Versionen des Werkzeuggebrauchs bei der Jagd oder zum Graben nach Knollen bekannt, sowie für die spezielle Nutzung bestimmter Gewässer und Höhlen.

Verhaltensvielfalt ist eine Facette der Biodiversität

Bei den jeweiligen Verhaltensweisen handelt es sich um Traditionen, die durch soziales Lernen von erwachsenen Individuen an Jungtiere weitergegeben werden. Ähnlich wie beim Menschen sind sie dadurch gruppenspezifisch – Wissenschaftler sprechen von unterschiedlichen Schimpansenkulturen. Damit scheint klar: Wird eine Gruppe im Zuge der zunehmenden Bedrohung durch den Menschen ausgelöscht, verschwindet damit auch das jeweils typische kulturelle Erbe dieser Schimpansenpopulation. Doch zeichnet sich auch schon durch den bloßen Einfluss des Menschen ein Niedergang ab? Dieser Frage ist ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nachgegangen.

Im Rahmen ihrer Studie haben die Forscher einen umfangreichen Datensatz erstellt, der über 31 Verhaltensweisen von Schimpansen aus 144 Gruppen dokumentiert. Die untersuchten Gruppen waren dabei über das gesamte Verbreitungsgebiet freilebender Schimpansen verteilt. Ein Teil der Informationen ging aus der wissenschaftlichen Literatur hervor, zahlreiche weitere Daten hat das Team im Laufe der letzten neun Jahre an 46 Standorten in 15 afrikanischen Ländern selbst erhoben. Die Auswertungsergebnisse der Verhaltensvielfalt setzten die Forscher in Bezug zum menschlichen Einfluss im jeweiligen Lebensraum der unterschiedlichen Schimpansengruppen. Das Ausmaß von Störungen und Landnutzungsänderungen ermittelten sie dabei anhand verschiedener Faktoren, darunter die Bevölkerungsdichte, das Vorhandensein von Straßen, die Nutzung von Flüssen oder die Waldbedeckung.

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Die Vielfalt der Affenkultur leidet

„Unsere Analysen zeigen ganz deutlich: An Orten mit einer hohen Belastung durch den Menschen ist die Verhaltensvielfalt der Schimpansen deutlich geringer“, berichtet Co-Autorin Ammie Kalan vom MPI für evolutionäre Anthropologie. „Dieses Muster war durchgängig und unabhängig davon, welcher Kategorie eine bestimmte Verhaltensweise zugeordnet war. Im Durchschnitt ist die Verhaltensvielfalt der Schimpansen an Orten mit dem stärksten menschlichen Einfluss um 88 Prozent reduziert“, resümiert die Forscherin.

Wie sie und ihre Kollegen erklären, spielt möglicherweise ähnlich wie beim Menschen auch bei den Schimpansen die Bevölkerungsgröße eine wichtige Rolle für den Erhalt der jeweiligen kulturellen Merkmale: Schrumpfende Populationen haben eine geringere Kapazität für Verhaltensvielfalt. Möglicherweise findet den Forschern zufolge wegen der Lebensraumverschlechterung und der Ressourcenverknappung die Weitergabe von Wissen und lokalen Traditionen von einer Generation zur nächsten auch nicht mehr vollständig statt. Außerdem könnte es sein, dass die Tiere einige der Verhaltensweisen meiden, da sie auffällig sind und dadurch Wilderer anlocken könnten – wie beispielsweise das Nüsseknacken.

Die Forscher sind der Meinung, dass ihre Ergebnisse nun in den Schutz der Tiere einfließen sollten. „Sie deuten darauf hin, dass Strategien zur Erhaltung der Biodiversität auch auf den Schutz der Verhaltensdiversität von Tieren ausgedehnt werden sollten“, sagt Co-Autor Hjalmar Kühl vom MPI für evolutionäre Anthropologie. „Orte mit außergewöhnlichen Verhaltensweisen können als ‚Schimpansen-Kulturerbe‘ geschützt werden, und dieses Konzept kann auch auf andere Arten mit hoher kultureller Variabilität ausgedehnt werden, wie zum Beispiel Orang-Utans, Kapuzineraffen oder Wale“, meint der Forscher.

Quelle: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology, Science, 10.1126/science.aau4532

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