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Nacktmulle „sprechen“ Volks-Dialekte

Erstaunlich

Nacktmulle „sprechen“ Volks-Dialekte
Ein faszinierender Freak: der Nackmull. (Bild: Felix Petermann, MDC)

Erneut machen die berühmten Nackedei-Nager ihrem skurrilen Ruf Ehre: Um ihre Volkszugehörigkeit zu vermitteln, quieken die staatenbildenden Nacktmulle mit Akzent, zeigt eine Studie. Das Phänomen ähnelt damit Dialekten in den menschlichen Sprachen, sagen die Forscher. Wie sie berichten, spielt interessanterweise auch die Königin einer Kolonie eine Rolle bei der „sprachlichen“ Entwicklung eines Nacktmull-Volkes.

Schön erscheinen sie uns nicht gerade, aber aus wissenschaftlicher Sicht sind die Nacktmulle (Heterocephalus glaber) faszinierend, denn sie besitzen eine ganze Reihe spektakulärer Merkmale. Die zentrale Besonderheit ist: Diese Nagetiere bilden ähnlich wie soziale Insekten Staaten. Sie leben in riesigen unterirdischen Bauten in den Halbwüsten Ostafrikas. Die bis zu 300 Tiere sind dabei in einem komplexen System mit strikter Arbeitsteilung organisiert. Dominiert werden sie von einer Königin, die allein den Nachwuchs hervorbringt. Ein weiteres für die Forschung interessantes Merkmal ist die für Nagetiere ungewöhnlich lange Lebenspanne: Nacktmulle werden bis zu 30 Jahre alt. Dennoch entwickeln sie keine Krebserkrankungen und auch weitere Eigenheiten machen sie aus medizinischer Sicht sehr spannend. Deshalb werden Nacktmulle in verschiedenen Laboren der Welt gehalten und erforscht.

Kommunikative Nackedeis

Die Wissenschaftler um Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin haben sich nun allerdings einem Aspekt gewidmet, der bisher kaum untersucht wurde: Nacktmulle sind sehr kommunikative Lebewesen. Die kleinen Nager geben viele verschiedene Laute von sich – vom Quieken bis zum Grunzen. „Wir wollten herausfinden, welche soziale Funktionen diese Laute für die Tiere haben“, sagt Lewin. Grundsätzlich war in diesem Zusammenhang bereits klar: „Man könnte sagen, dass Nackmulle extrem fremdenfeindlich sind“, so Lewin. Tiere aus anderen Kolonien werden sofort attackiert und sogar getötet. Innerhalb ihres eignen Volkes arbeiten sie jedoch harmonisch zusammen: Jeder kennt seinen Rang und die Aufgaben, die er zu erfüllen hat.

Um die „Sprache“ der Nacktmulle zu analysieren, haben die Wissenschaftler über einen Zeitraum von zwei Jahren insgesamt 36.190 Lautäußerungen von 166 Individuen aus sieben Nacktmullkolonien aufgezeichnet, die in Laboren in Berlin und an der Universität Pretoria in Südafrika gehalten werden. Um die Laute zu analysieren, kam eine spezielle Software zur Akustikanalyse zum Einsatz. „Das ermöglichte es uns, acht verschiedene Faktoren wie die Höhe oder den Grad der Asymmetrie im Tonspektrogramm zu erfassen und zu vergleichen“, erklärt Lewin.

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Ein weiteres Computerprogramm, das auf künstlicher Intelligenz basiert, konnte dann verdeutlichen: Jeder Nacktmull besitzt eine individuelle Soundsignatur. Doch nicht nur das: „Das Analyseverfahren erkannte auch Ähnlichkeiten in den Merkmalen der Laute, die innerhalb einer einzelnen Kolonie erzeugt wurden“, sagt Lewin. Entsprechend konnte das Programm auch zuordnen, aus welchem Volk ein bestimmtes Individuum stammt. „Das bedeutet: Jede Kolonie besitzt offenbar ihren eigenen spezifischen Dialekt“, sagt Co-Autorin Alison Barker.

Am Dialekt erkannt

In anschließenden Versuchen gingen die Forscher der Frage nach, welche Rolle dies für die Tiere spielen könnte. Sie untersuchten dazu, wie die Nacktmulle auf fremde oder vertraute Rufe reagieren. „Wir haben beobachtet, dass Versuchstiere in unserem Testsystem immer sofort eine Kammer ansteuerten, aus der Laute eines vertrauten Artgenossen zu hören waren“, sagt Barker. Wurden die Geräusche von einem Individuum aus der eigenen Kolonie erzeugt, gaben die Versuchstiere auch sofort eine stimmliche Antwort. War jedoch ein Individuum aus einer fremden Kolonie zu hören, blieb das Versuchstier stumm. „Daraus konnten wir ableiten, dass Nacktmulle ihren eigenen Dialekt erkennen können und selektiv darauf reagieren“, so Barker.

Um sicherzustellen, dass die Versuchstiere auf den Dialekt und nicht auf die Stimme eines vertrauten Artgenossen reagierten, erzeugten die Forscher künstliche Klänge. Diese enthielten Merkmale des jeweiligen Dialekts, ähnelten aber nicht der Stimme eines bestimmten Tieres. „Die Nacktmulle reagierten positiv auf diese vom Computer entwickelte Stimme“, berichtet Barker. Sie wurden von ihr angezogen, selbst wenn die Forscher den Geruch einer fremden Kolonie verbreiteten. „Das zeigte, dass die Nacktmulle gezielt auf den Dialekt und nicht auf den Geruch reagieren und dass sie eine positive Reaktion auf das Hören ihres eigenen Dialekts haben“, resümiert Lewin. Durch weitere Experimente konnten die Wissenschaftler auch zeigen, dass die Nacktmulle den Dialekt als Babys erlernen. Sie setzten dazu Nacktmull-Welpen von einer Kolonie in eine andere, wo sie adoptiert wurden. „Sechs Monate später zeigte unser Computerprogramm, dass sich die Pfleglinge den Dialekt ihres fremden Zuhauses angeeignet hatten“, berichtet Baker.

Die Königin prägt die Sprache

Das Team entdeckte auch, dass der Dialekt mit der Königin einer Kolonie zu tun hat: Sie spielt demnach eine entscheidende Rolle bei der Kontrolle und Erhaltung dieses Zeichens der Gruppenzusammengehörigkeit. „Im Laufe der Studie verlor eine unserer Kolonien innerhalb relativ kurzer Zeit nacheinander zwei Königinnen“, sagt Lewin. „In den jeweiligen Phasen ohne Oberhaupt beobachteten wir, dass die Vokalisationen der Nacktmulle in der Kolonie viel stärker zu variieren begannen als zuvor. Der dialektale Zusammenhalt wurde dadurch stark reduziert und kehrte erst einige Monate später zurück, als ein neues Weibchen zur neuen Königin aufstieg“, berichtet Lewin.

Er und seine Kollegen wollen die Grundlagen der „sprachlichen Kultur“ dieser faszinierenden Nager nun auch weiter erforschen. „Der nächste Schritt ist es, herauszufinden, welche Mechanismen im Gehirn der Tiere diese Fähigkeiten unterstützen“, sagt Lewin. Dies könnte ihm zufolge sogar Licht auf Prinzipien beim Menschen werfen. „Menschen und Nacktmulle scheinen viel mehr gemeinsam zu haben, als man bisher dachte“, so der Wissenschaftler.

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Fachartikel: Science, doi: 10.1126/science.abc6588

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