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Neue Symbiose-Form entdeckt

Partnerschaft der besonderen Art

Neue Symbiose-Form entdeckt
Diese Abbildung zeigt ein Wimpertierchen mit gelb hervorgehobenen Endosymbionten im Inneren. (Bild: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, S. Ahmerkamp)

Ein Symbiosepartner, der Nitrat statt Sauerstoff nutzen kann: Forscher haben in Wimpertierchen aus dem Schweizer Zugersee Bakterien gefunden, die ihre Wirte auf erstaunliche Weise mit Energie versorgen. Die Endosymbionten ergänzen dabei die Funktion der Mitochondrien ihrer Wirte – es findet eine direkte Übertragung von Energie statt. Dabei handelt es sich um eine bisher unbekannte Form symbiotischer Lebensgemeinschaften, sagen die Wissenschaftler.

Win-win-Gemeinschaften durch Geben und Nehmen: Im Verlauf der Evolution sind viele Formen des symbiotischen Austauschs zwischen unterschiedlichen Lebewesen entstanden. Die „innigste“ Version ist dabei die sogenannte Endosymbiose. Es handelt sich um Lebensgemeinschaften zwischen einem Wirt und Partnern, die in ihm leben – meist spezielle Bakterien oder Algen. Die Endosymbionten können für ihre Partner unterschiedliche Aufgaben erledigen: Sie bereiten beispielsweise seine Nahrung auf oder versorgen ihn mit lebenswichtigen Substanzen. Ein bekanntes Beispiel sind etwa die einzelligen Algen, die in den Korallenpolypen hausen und sie mit Kohlenhydraten aus der Photosynthese versorgen. Der Wirt bietet seinen kleinen Partnern im Gegenzug günstige Lebensbedingungen – in manchen Fällen können die Endosymbionten nicht mehr eigenständig leben.

Ein erstaunliches Team lebt im Zugersee

Die bisher unbekannte Version einer Endosymbiose haben die Forscher um Jon Graf vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie per Zufall entdeckt: Durch genetische Methoden suchten sie eigentlich nach Methanbakterien in den sauerstofffreien Wasserschichten in der Tiefe des Zugersees. Doch statt auf die Spuren von Methanfressern stießen sie auf eine Gensequenz, die den kompletten Stoffwechselweg für die Nitratatmung kodierte. „Wir waren sehr überrascht und suchten erst einmal nach möglichen Erklärungen“, sagt Graf. Schließlich blieb die Theorie übrig, dass das identifizierte Genom wegen seiner kleinen Größe zu einem unbekannten Symbionten gehören muss. So suchten die Forscher im Tiefenwasser des Zugersees gezielt nach Symbiont und Wirt. Sie identifizierten schließlich durch genetische Marker ein Bakterium, das in einem Wimpertierchen lebt. Bei diesen Wirten handelt es sich um Einzeller, die aber zu den höher entwickelten Lebewesen (Eukaryoten) gehören.

Wie die Forscher erklären, war man bisher davon ausgegangen, dass Eukaryoten wie die Wimpertierchen in sauerstofffreien Umgebungen ihre Energie über Fermentation gewinnen. Allerdings ist Fermentation energetisch ungünstig: Die Mikroorganismen ziehen aus diesem Stoffwechselweg vergleichsweise wenig Energie und sind deshalb oft träge und wachsen langsam. „Unser Wimpertierchen hat dafür offenbar eine Lösung gefunden“, sagt Graf. „Es hat ein Bakterium mit der Fähigkeit zur Nitratatmung aufgenommen und hat es in seinen Organismus integriert.“ Seine Kollegin Jana Milucka führt weiter aus: „Eine solche Lebensgemeinschaft ist völlig neu. Dieser Endosymbiont und sein Wirt stellen ein bisher unbekanntes Beispiel für eine Symbiose dar, die auf dem direkten Transfer von Energie und nicht auf Ernährung basiert.“ Denn die Bakterien liefern den Wimpertierchen nicht etwa Kohlenhydrate, sondern direkt den Energieträger ATP, geht aus den Untersuchungen hervor.

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Symbiont wirkt wie eine Organelle

Normalerweise handelt es sich dabei um die Funktion der Zellkraftwerke der Eukaryoten – der Mitochondrien. „Unsere Entdeckung zeigt nun die Möglichkeit auf, dass einzellige Eukaryoten energieliefernde Endosymbionten in sich tragen, um die Funktionen ihrer Mitochondrien zu ergänzen oder zu ersetzen“, sagt Graf. „So kann der Endosymbiont, den wir ,Candidatus Azoamicus ciliaticola‘ genannt haben, die Stickstoffverbindung Nitrat atmen und zur Energieproduktion verwenden.“ Die Bezeichnung „Azoamicus“ beschreibt dies auch sinngemäß: „Freundschaft, die auf Stickstoff basiert“.

Ein interessanter Aspekt der Entdeckung ist dabei der Bezug zur sogenannten Endosymbiontentheorie im Zusammenhang mit der Evolution der Eukaryoten. Denn man geht davon aus, dass die Entwicklung der Mitochondrien auf eine Endosymbiose zurückgeht. Demnach hat eine urtümliche Mikrobe vor mehr als einer Milliarde Jahren ein Bakterium aufgenommen und so entstand eine Symbiose mit weitreichenden Folgen: Es war der Ursprung der eukaryotischen Zellen. Im Verlauf der Evolution wurde der Endosymbiontentheorie zufolge das aufgenommene Bakterium immer mehr in die Zelle integriert und reduzierte dabei sein eigenes Genom, bis nur die Eigenschaften übrigblieben, die dem Wirt nutzten. Dadurch entwickelten sich diese Bakterien schließlich zu Organellen. Bis heute besitzen die Mitochondrien noch ein eigenes kleines Genom und eine Membran. „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass unser Symbiont den gleichen Weg nimmt wie die Mitochondrien und irgendwann zu einer Organelle wird“, sagt Milucka.

Die Wissenschaftler wollen nun am Ball bleiben, denn ihre Entdeckung hat weitere spannende Fragen aufgeworfen. Möglicherweise gibt es viele bisher unentdeckte Symbiosen vergleichbarer Art – und vielleicht sogar solche, bei denen der Endosymbiont schon die Grenze zu einer Organelle überschritten hat. Auch dem Ursprung der Symbiose wollen die Forscher nachgehen. Denn den genetischen Hinweisen zufolge ist sie bereits vor 200 bis 300 Millionen Jahren entstanden. Somit kann sie sich wohl kaum in dem Alpensee entwickelt haben, den es erst seit etwa 10.000 Jahren gibt. Diesem und weiteren Rätseln ist das Team nun auf der Spur.

Quelle: Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-021-03297-6

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