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Neues Puzzleteil im Legasthenie-Rätsel

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Neues Puzzleteil im Legasthenie-Rätsel
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Lese-Rechtschreibschwäche ist eines der häufigsten Probleme von Kindern im Schulalter (Foto: Fam Veld/ iStock)
Kinder mit Legasthenie haben besondere Probleme beim Lesen und in der Rechtschreibung. Warum das so ist und was im Gehirn der Betroffenen anders läuft, war bisher jedoch nur in Teilen klar. Jetzt haben US-Forscher ein wichtiges Puzzleteil im komplexen Legasthenie-Rätsel entdeckt: Das Gehirn von Legasthenikern kann sich weniger gut an die Eigenheiten wahrgenommener Reize anpassen. Es muss sich daher mehr anstrengen, schon bekannte Töne oder Formen zu verarbeiten.

Die Lese-Rechtschreibschwäche ist eines der häufigsten Probleme von Kindern im Schulalter. Rund fünf bis 17 Prozent aller Kinder leiden an dieser Störung. Sie lernen nur schwer fehlerfrei zu lesen und schreiben. Zusätzlich haben sie meist mehr Schwierigkeiten, gesprochene oder geschriebene Wörter korrekt zu erkennen als Gleichaltrige. Ihnen kann es daher helfen, wenn Texte so formatiert werden, dass Buchstaben und Wörter viel Raum um sich haben. Auch mit speziellen Hörhilfen für legasthenische Kinder wird experimentiert. Bekannt ist bereits, dass die Legasthenie oft in Familien gehäuft auftritt, was auf eine genetische Veranlagung hindeutet. Welche neurologischen Veränderungen der Lese-Rechtschreibschwäche aber zugrunde liegen, ist noch immer weitgehend unklar. „Teil des Mysteriums der Legasthenie ist es, dass das Gehirn kein eigenes Lesezentrum besitzt“, erklärt Seniorautor John Gabrieli vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Studien zeigen aber, dass es bei betroffenen Kindern bereits im Kindergartenalter Unterschiede in der Aktivität bestimmter Hirnareale gibt.

Einen wichtigen Hinweis zu den Ursachen der Legasthenie haben nun Gabrieli, sein Kollege Tyler Perrachione und weitere MIT-Forscher aufgedeckt. Für ihre Studie untersuchten sie in mehreren Experimenten einen speziellen Aspekt der Wahrnehmung: die Anpassung des Gehirns an akustische oder optische Reize. Wenn wir beispielsweise längere Zeit der gleichen Stimme lauschen, lernt unser Gehirn dessen Eigenheiten und das erleichtert es uns, das Gesprochene zu verstehen. „Man lernt beim ersten Reiz etwas, das die Verarbeitung beim zweiten Mal vereinfacht – das ist an einer verringerten neuronalen Aktivität erkennbar“, erklärt Gabrieli. Ob und in welchem Maße diese Anpassung auch bei Legasthenikern funktioniert, wollten er und seine Kollegen herausfinden.

Überraschend starke Defizite

Im ersten Experiment spielten die Forscher jungen Erwachsenen mit und ohne Legasthenie eine Reihe von gesprochenen Worten vor. In einem Durchgang wurden alle von der gleichen Stimme gesprochen, im anderen war es bei jedem Wort eine andere Stimme. Währenddessen zeichnete ein funktioneller Magnetresonanztomograf (fMRT) die Hirnaktivität der Probanden auf. Das Ergebnis: Bei der gleichbleibenden Stimme zeigten die nichtlegasthenischen Kontrollpersonen wie erwartet einen Gewöhnungseffekt. Ihre Hirnaktivität in den Hörzentren sank nach den ersten Worten messbar ab, bei den wechselnden Stimmen war dies nicht der Fall. Anders dagegen bei den Legasthenikern: Bei ihnen gab es keine Unterschiede zwischen den Versuchsdurchgängen. Ihre Hirnaktivität blieb gleichbleibend hoch. „Das spricht für eine sehr viel schwächere Anpassung des Gehirns“, sagt Perrachione.

Aber betrifft dieser Effekt nur das Hören oder auch andere Sinneswahrnehmungen? Um das herauszufinden, wiederholten die Forscher das Experiment mit visuellen Reizen und einer neuen Probandengruppe. Diesmal sahen die Teilnehmer entweder immer neue Bilder von Gesichtern, Objekten und Wörtern oder aber eine sich wiederholende Abfolge. Wieder zeigte sich im Hirnscanner bei den Nichtlegasthenikern eine Anpassung des Gehirns an sich wiederholende Reize, bei den Legasthenikern jedoch nicht. „Das spricht dafür, dass dieser Mangel an Anpassung allgemein ist“, sagt Gabrieli. „Es ändern sich zwar die betroffenen Hirnareale, nicht aber das grundlegende Phänomen.“ Ein weiteres Experiment belegte, dass dieser Effekt schon bei Grundschulkindern mit Lese-Rechtschreibschwäche vorhanden ist. Auch ihr Gehirn hat Probleme, sich anzupassen und damit Reize effektiv und energiesparend zu verarbeiten. „Insgesamt war ich überrascht über das Ausmaß der Unterschiede“, sagt Perrachione. „Bei Menschen ohne Legasthenie sahen wir immer eine klare Anpassung, bei den Legasthenikern war diese immer reduziert – und das oft sehr deutlich.“ Im Durchschnitt war der Anpassungseffekt bei Menschen mit Lese-Rechtschreibschwäche nur halb so stark wie bei Menschen ohne diese Einschränkung.

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Diese Erkenntnisse können erklären, warum es legasthenischen Kindern manchmal schwerer fällt, gesprochene Wörter korrekt zu verstehen oder neue Objekte zu erkennen – aber nicht immer. Je nach Situation kann das Gehirn den Mehraufwand durch die fehlende Anpassung durchaus kompensieren. Es muss sich dabei aber stärker anstrengen. „Die Reizanpassung ist etwas, das dem Gehirn normalerweise seine Aufgaben erleichtert“, sagt Perrachione. „Legastheniker aber haben diesen Vorteil nicht.“ Gerade beim Lesen, einer hochkomplexen Aufgabe, macht sich diese Zusatzbelastung des Gehirns dann bemerkbar. „Beim Lesen müssen wir die Buchstaben erkennen, sie zu Worten zusammenfügen und diese dann auch noch mit einer Semantik verknüpfen“, erklärt der Forscher. Auch der Klang des Wortes muss gelernt werden. Nach Ansicht der Wissenschaftler liegt es nahe, dass die mangelnde Fähigkeit zur neuronalen Anpassung diesen Prozess erschwert. Wie genau dies jedoch geschieht, wo beispielsweise eine Überlast zu Defiziten führt, muss nun noch geklärt werden.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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