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Neues von der Epigenetik

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Neues von der Epigenetik
Der genetische Code allein ist nicht alles: Gene in Zellen werden auch durch Umwelteinflüsse ein- und ausgeschaltet. Diese Aktivitätsmuster können auch von den Eltern auf die Kinder vererbt werden, haben Studien gezeigt – eine für viele Forscher faszinierende Entdeckung. Doch dieser Effekt beschränkt sich nur auf seltene Ausnahmen, sagen Wissenschaftler.

Ist Erlerntes erblich? Beeinflusst die eigene Ernährung die Gesundheit der Enkel? Einige Forschungsergebnisse deuten in diese Richtung: Das Musterbeispiel ist ein Versuch von 1998, in dem schwangere Mäuse Futter mit besonders viel Folsäure erhielten. Die Ernährung der Mütter legte in den Nachkommen ein Gen still, was deren Fellfarbe änderte. Auch beim Menschen gibt es Hinweise darauf, dass Umwelteinflüsse über Generationen hinweg
wirken: 2005 errechneten britische Forscher, dass Männer aus Nordschweden häufiger Diabetes bekamen, wenn ihre Großväter in einer Zeit ertragreicher Ernten aufwuchsen und nicht hungern mussten.

Bei Mäusen kann sich sogar geistiges Training auf die Nachkommen auswirken, wie eine im Januar erschienene Studie zeigte: Weibliche Mäuse erhielten kurz nach Geburt eine Therapie gegen eine erbliche Gedächtnisschwäche. Auch die Nachkommen trugen den Gendefekt – und erbten die Heilungserfolge der Therapie, die ihre Mütter Monate zuvor genossen hatten.

Heißt das also, die Kinder werden kleine Pollinis, wenn man selbst nur fleißig Klavier übt? Kurz gesagt: Nein. Bei den genannten Beobachtungen handelt es sich um sehr exotische Phänomene. In aller Regel werden nur Anlagen vererbt, die von Geburt an feststehen.

Die seltenen Ausnahmen erklärt die sogenannte Epigenetik, ein recht junges Forschungsfeld, dass sich damit beschäftigt, wie veränderliche Informationen in der Zelle gespeichert sind. Denn nicht nur der eigentliche DNA-Code steuert die Entwicklung einer Zelle: Auch epigenetische Faktoren entscheiden, welche Abschnitte der DNA zum Einsatz kommen und welche nicht, wurde in den vergangenen Jahren klar.

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Ein zentraler Mechanismus ist die sogenannte Methylierung: In methylierten DNA-Abschnitten sind bestimmte DNA-Bausteine mit zusätzlichen kleinen Molekülen markiert. Die Methylierung beeinflusst die Wirksamkeit von Genen und schaltet viele Gene komplett ab. Aufgrund solcher Gendeaktivierungen unterscheiden sich beispielsweise Leberzellen von Haarzellen, obwohl sie denselben DNA-Code besitzen. Man spricht auch von epigenetischen Informationen oder dem Epigenom einer Zelle.

Professor Heinrich Leonhardt erforscht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München die DNA-Methylierung bei Mäusen und Menschen: „Geschätzt zwei Drittel der menschlichen Gene sind durch Methylierung gewebespezifisch stillgelegt. Das heißt, sie sind nur in bestimmten Zellarten aktiv.“ Die epigenetischen Informationen werden wie die DNA bei der Zellteilung kopiert – mit dem angenehmen Effekt, dass uns keine Haare auf der Leber wachsen. Im Unterschied zur DNA kann das Epigenom jedoch durch äußere Einflüsse verändert werden. Leonhardt: „Lang anhaltender Stress kann durchaus zu epigenetischen Veränderungen beispielsweise in den Nervenzellen führen und so deren Leistung beeinflussen.“

Könnte es also sein, dass Kinder eine epigenetische Genschablone erben, die im Laufe des Lebens ihrer Eltern geprägt wurde? Leonhardt hat Zweifel: „Das ist natürlich ein reißerisches Thema, weil das zentralen Dogmen der Biologie widerspricht. Aber bei der Befruchtung wird die Methylierung größtenteils entfernt. Das ist auch sinnvoll, damit der Embryo ein neues Muster setzen kann. In der Eizelle werden die epigenetischen Informationen also quasi auf Null gesetzt.“ Anders sei es jedoch bei den sogenannten geprägten Genen, erklärt Leonhardt: Beim Menschen sind das etwa 100 bis 200 von knapp 25.000 Genen. „Diese geprägten Gene werden von den Eltern entweder in aktiver oder stillgelegter Form vererbt und dieses Muster bleibt in den Nachkommen erhalten“, berichtet der Forscher.

Jörn Walter ist Professor für Genetik an der Universität Saarbrücken und koordinierte das Schwerpunktprogramm Epigenetik der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Auch er ist skeptisch: „Die epigenetischen Informationen werden bei der Fortpflanzung in aller Regel gelöscht – und zwar zweimal: in der Keimzelle und in der befruchteten Eizelle. Dabei kann es natürlich manchmal zu Störungen und spontaner Nichtlöschung mit entsprechenden Konsequenzen kommen – in aller Regel sind aber erbliche epigenetische Veränderungen durch Veränderungen der DNA bedingt.“

Epigenetische Vererbung geschieht also bei Säugetieren höchstens bei den sehr wenigen geprägten Genen oder als Ergebnis von Fehlfunktionen. Zudem wirken die wenigsten Veränderungen im Körper überhaupt auf Zellen, die bei der Fortpflanzung eine Rolle spielen. Walter: „Wenn ich große Mengen Folsäure zu mir nehme, was die Methylierung allgemein beeinflusst, kann das natürlich Auswirkungen in den direkten Nachkommen haben. Aber das würde ich nicht als Vererbung bezeichnen. Klassische Vererbung erfordert, dass etwas über mehrere Generationen weitergegeben wird.“

Die Vererbungslehre wird also vorerst nicht revolutioniert. Von der Epigenetik versprechen sich Wissenschaftler dennoch wichtige Erkenntnisse, gerade in der Medizin. So spielen bei der Entstehung von Krebs epigenetische Veränderungen eine große Rolle, da diese natürliche Schutzmechanismen der Zelle deaktivieren.

ddp/wissenschaft.de – Martin Rötzschke
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