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Nie wieder Haare raufen

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Nie wieder Haare raufen
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Der Nobelpreisträger Mario Capecchi hofft darauf, neue Therapien gegen psychische Erkrankungen zu entwickeln
Möglicherweise lassen sich bestimmte Verhaltensstörungen auf einen Defekt im Immunsystem zurückführen. Zu diesem Schluss sind US-Forscher gekommen, nachdem sie Mäuse durch eine Knochenmarktransplantation erfolgreich von dem Zwang befreiten, sich die Haare auszureißen. Den Tieren mangelte es an einem bestimmten Typus von Immunzellen, den sogenannten Mikroglia-Zellen. Aus dem Spender-Knochenmark bildeten sich neue Mikroglia-Zellen ? und in der Folge normalisierte sich das Verhalten der Mäuse. Die Ergebnisse belegen erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und dem Immunsystem und könnten zukünftig zu neuen Behandlungsmethoden führen, berichten Mario Capecchi von der University of Utah und seine Kollegen.

Trichotillomanie ist der Fachausdruck für eine schwerwiegende psychische Erkrankung beim Menschen: Die Betroffenen leiden unter dem Zwang, sich die Haare auszureißen. Mäuse können an einer ähnlichen Verhaltensstörung erkranken. Hierbei putzen sich die Tiere mit Hilfe ihrer Pfoten und Zähne mehr als doppelt so häufig wie ihre normalen Artgenossen, was zu starkem Haarverlust sowie schweren Hautverletzungen führt. Bereits 2002 entdeckten die Wissenschaftler um den Nobelpreisträger Mario Capecchi den Grund für den Putzzwang bei Nagern: Die Tiere litten an einer Mutation des Gens Hoxb8, die zu einem Defekt in den Mikroglia-Zellen führt. Diese Gattung von Immunzellen stammt aus dem Knochenmark und wandert aus dem Blutkreislauf in das Gehirn. Dort besteht ihre Aufgabe in der Erkennung und Beseitigung von Krankheitserregern.

Die Forscher transplantierten nun Knochenmark aus gesunden Mäusen in solche mit der Hoxb8-Mutation. Das Verhalten der Mäuse normalisierte sich, das Haar wuchs wieder und die Wunden heilten aus. Im Gegenzug entwickelten sich bei gesunden Mäusen, denen Knochenmark von ihren kranken Artgenossen eingepflanzt wurde, dieselben Zwangsneurosen ? Belege für die Richtigkeit von Capecchis Annahme. Doch wie können defekte Immunzellen eine derartige Verhaltensstörung auslösen? Die Wissenschaftler vermuten, dass die Mikroglia-Zellen Botenstoffe ausschütten, die möglicherweise das Zentralnervensystem beeinflussen und so die Zwangsneurose auslösen können. Zukünftige Experimente sollen diese Frage klären.

Knochenmarktransplantationen beim Menschen werden normalerweise nur bei äußerst schweren Erkrankungen wie Krebs oder Autoimmunerkrankungen durchgeführt. Ein solcher Eingriff soll auch zukünftig nicht zur Behandlung von psychischen Erkrankungen durchgeführt werden, erklären die Forscher. Dazu sind geeignete Spender zu selten und der Prozess zu risikoreich und teuer.
Vielmehr liefern die Erkenntnisse Hinweise über den allgemeinen Zusammenhang von Immundefekten und psychischen Erkrankungen. „Bei Menschen, die an Depressionen leiden, finden sich oftmals auch Störungen des Immunsystems“, erklärt der Nobelpreisträger. Verschiedene Studien hätten bereits gezeigt, dass neben Depressionen auch Schizophrenie, Zwangsneurosen oder Autismus „etwas mit dem Immunsystem zu tun haben“, ergänzt der Wissenschaftler.

Mario Capecchi (University of Utah) et al.: Cell, Bd. 141, Nr. 5, S. 775, doi: 10.1016/j.cell.2010.03.055 ddp/wissenschaft.de – Gwydion Brennan
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