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Nobelpreis für Medizin 2009: Enden ohne Ende

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Nobelpreis für Medizin 2009: Enden ohne Ende
In diesem Jahr teilen sich die 1948 in Australien geborene Elizabeth Blackburn, heute an der University of California in San Francisco, ihre ehemalige Doktorandin Carol Greider von der Johns Hopkins School of Medicine, Jahrgang 1961, und der 1952 in London geborene Genetiker Jack Szostak vom Massachusetts General Hospital in Boston den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie zu gleichen Teilen. Die drei Forscher werden für ihre Entdeckung der Telomere ausgezeichnet, sich wiederholende spezielle DNA-Sequenzen an den Enden der Chromosomen, die unter anderem mit dem Altern einer Zelle und mit der Krebsentstehung in Verbindung gebracht werden, sowie für die Identifizierung und Charakterisierung des Enzyms Telomerase, das für den Aufbau der Telomere verantwortlich ist. Die Arbeit von Blackburn, Greider und Szostak habe „dem Verständnis der Zelle eine neue Dimension hinzugefügt, Licht auf Krankheitsmechanismen geworfen und die Entwicklung potenzieller neuer Therapien stimuliert“, begründet das Nobelkomitee seine Entscheidung. Der Preis ist mit 10 Millionen Schwedischen Kronen dotiert und wird traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, in Stockholm verliehen.

In praktisch allen höheren Zellen liegen die DNA-Moleküle nicht unverpackt, sondern in Form eines aufwendigen Komplexes aus einem DNA-Doppelstrang und einer Reihe von Proteinen vor. Teilt sich die Zelle, wird der DNA-Anteil mit Hilfe eines weiteren Proteinkomplexes verdoppelt. Bei der Entdeckung dieses Mechanismus in den 1950er Jahren standen Forscher jedoch vor einem Rätsel: Eigentlich müsste sich bei jeder Verdopplung immer einer der beiden DNA-Stränge verkürzen, da sein Ende, das sogenannte Telomer, auf normalem Wege nicht mit kopiert werden kann. Das ist jedoch bei vielen Zellen ? beispielsweise Stammzellen oder auch Zellen der Keimbahn ? nicht der Fall. Den ersten Hinweis, warum das so ist, erhielt Elizabeth Blackburn bei der Arbeit mit dem Wimperntierchen Tetrahymena, einem einzelligen Organismus: Sie entdeckte, dass es an den Enden der Chromosomen spezielle kurze Sequenzen gab, die sich mehrfach wiederholten, ohne jedoch deren Funktion auf die Spur zu kommen.

Als sie dieses Ergebnis 1980 präsentierte, wurde ihr Kollege Jack Szostak aufmerksam. Er hatte kurz zuvor beobachtet, dass künstliche fadenförmige DNA-Moleküle praktisch sofort abgebaut werden, wenn man sie in eine Hefezelle einschleust. Szostak und Blackburn kombinierten ihre Arbeiten daraufhin, indem sie die künstlichen Minichromosomen mit der aus Tetrahymena isolierten Sequenz ausstatteten und erneut in Hefezellen einschleusten. Das Ergebnis: Die zusätzlichen DNA-Stücke schützten die DNA-Moleküle vor der Verdauung durch die Zelle ? und das, obwohl die beiden Erbgut-Stücke aus völlig verschiedenen Organismen stammten. Die beiden Forscher waren demnach auf einen sehr grundlegenden Mechanismus gestoßen, von dem sich später herausstellte, dass er in ähnlicher Form in fast allen höheren Zellen vorkommt.

Zu diesem Zeitpunkt war allerdings unklar, wie die ungewöhnlichen Chromosomenenden mit ihrer repetitiven Sequenz entstehen. Diese Frage löste nur kurze Zeit später jedoch Carol Greiner, zu dieser Zeit noch Mitarbeiterin von Elizabeth Blackburn: Sie entdeckte, dass für den Aufbau der Telomere ein Enzym zuständig war, das sowohl einen Protein- als auch eine RNA-Anteil enthält. Dieser RNA-Anteil dient sozusagen als Vorlage für die sich wiederholende Telomer-Sequenz, während der Proteinanteil für die Bauarbeiten beim Zusammenfügen des neuen Telomers verantwortlich ist.

Unklar blieb allerdings weiterhin die Funktion der Telomere. Erst später entdeckten sowohl Blackburns als auch Szostaks Gruppen, dass beschädigte Telomere die Wachstumsfähigkeit der Zelle extrem einschränken und sie schneller altern lassen. Intakte Telomere und eine aktive Telomerase verhindern hingegen eine Alterung der Zelle und schützen die Chromosomen vor Schäden. Mittlerweile konnte zudem gezeigt werden, dass die sich wiederholende Basenabfolge Proteine anlockt, die daran andocken und so eine Art schützende Kappe rund um das Chromosomenende bilden.

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Heute gelten Telomere neben ihrer normalen Funktion in der Zelle als Schlüsselfaktoren in drei wesentlichen Forschungsbereichen: dem Altern, der Entstehung von Krebs und der Stammzellforschung. Zwar ist mittlerweile klar, dass die Telomerverkürzung in Zellen ohne Telomerase-Aktivität nicht der einzige Grund für das Altern eines Organismus ist, sie scheint jedoch eine wichtige Größe zu sein. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang lautet dann auch, ob sich das Altern durch die Erhaltung der Telomerase-Aktivität verzögern lässt. Auch die korrekte Funktion von Stammzellen hängt nicht zuletzt von der Telomerase-Aktivität ab. Ist diese zu niedrig, kann es beispielsweise zu Blutbildungsstörungen, zu Haut- oder Lungenkrankheiten kommen. Bei diesen Erkrankungen gilt eine Manipulation der Telomerase ebenfalls als Hoffnungsträger für neue Therapien.

Genau die entgegengesetzte Frage stellen sich hingegen die Krebsforscher: Lässt sich mit einer Hemmung der Telomerase möglicherweise das Krebswachstum eindämmen? Krebszellen gehören nämlich ähnlich wie Stammzellen oder die Zellen der Keimbahn zu den Zellen, die sich anscheinend unendlich teilen können und dennoch ihre Telomerlänge erhalten ? möglicherweise mit Hilfe einer ungewöhnlich hohen Telomerase-Aktivität. Aktuell laufen bereits mehrere Studien, in denen das Potenzial einer Veränderung dieser Aktivität bei Krebs geprüft wird.

Ilka Lehnen-Beyel
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