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ÖL oder leben

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

ÖL oder leben
Klima schützen, einmalige Naturschätze bewahren – oder fossile Energieressourcen erschließen? Diese Frage stellt sich in Ecuador: Unter dem Nationalpark Yasuní im Amazonas-Regenwald lagern enorme Erdölvorräte.

„Ein einzigartiges und extrem reiches Gebiet“, gerät Biodiversitätsforscher Holger Kreft von der Universität Göttingen ins Schwärmen. Der Nationalpark Yasuní in Ecuador, ein 9820 Quadratkilometer großes Regenwaldgebiet, ist wohl die artenreichste Gegend der Erde. „Ständig werden hier neue Arten entdeckt. Auf einem einzigen Hektar dieses Tropen-Nationalparks wachsen rund 300 verschiedene Baumarten, zehnmal so viele wie in ganz Deutschland.“

Der Yasuní liegt im Nordosten von Ecuador, dort wo die Andenkette auf das Amazonasbecken trifft. Die Hauptstadt Quito ist 250 Kilometer entfernt. Bereits 1989 wurde der Nationalpark Yasuní von der UNESCO zum Biosphärenreservat, Weltnatur- und Kulturerbe erklärt. Neben insgesamt über 2000 Baumarten und unzähligen weiteren Pflanzenarten leben hier auch mehr als 1400 Wirbeltierarten – von Fischen über Frösche, Reptilien, Vögel bis zu Säugetieren. Hinzu kommen noch über 100 000 Insektenarten pro Hektar.

HEIMAT IM REGENWALD

Nicht nur die einmaligen Naturschätze sind Argumente für den Schutz des Yasuní: Das Territorium ist auch der Rückzugsraum mehrerer Gruppen der einheimischen Bevölkerung. Das traditionelle Siedlungsgebiet der Huaorani liegt größtenteils innerhalb des Nationalparks. Bis in die 1950er- Jahre lebte dieser Stamm völlig abgeschieden, ohne Kontakt zur Außenwelt. Doch die meisten der heute noch etwa 2500 Mitglieder haben ihre nomadische Lebensweise aufgegeben und sind sesshaft geworden. Die ebenfalls im Nationalpark lebenden verwandten Stämme der Tagaeri und Taroemanane lehnen den Kontakt zu einer Zivilisation westlicher Prägung nach wie vor weitgehend ab und leben größtenteils isoliert als Jäger und Sammler.

Von paradiesischen Zuständen aber keine Spur: Um den Yasuní schwelt seit Jahren ein Konflikt mit internationalen Dimensionen, in dem es erst kürzlich zu einer vorläufigen Lösung kam. Denn unter dem Regenwald lagern Erdölreserven von insgesamt schätzungsweise 930 Millionen Barrel. Das Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Feld (ITT) im Osten des Nationalparks ist die größte noch unerschlossene Erdöllagerstätte in Ecuador. Erschließung, Förderung und Verkauf könnten viele Milliarden an Dollardevisen in die Staatskasse spülen. Bereits seit vier Jahrzehnten wird in Ecuador Rohöl gefördert, 1967 fand man die ersten Quellen. Die Wirtschaft des zweitärmsten südamerikanischen Landes ist inzwischen abhängig davon: 60 Prozent seiner Exporterträge erwirtschaftet Ecuador mit Erdöl. Mit rund 25 Millionen Tonnen pro Jahr hat der kleinste OPEC-Mitgliedsstaat einen Anteil von 0,6 Prozent an der Weltproduktion.

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PLAN A: DAS ERDÖL BLEIBT IM BODEN

2007 wandte sich der ecuadorianische Präsident Rafael Correa mit einem bis dato einmaligen Vorschlag an die Welt: Natur bewahren statt Erdöl fördern. Er signalisierte die Bereitschaft, auf die Ausbeutung des ITT-Feldes zu verzichten, falls die internationale Gemeinschaft das Land mit der Hälfte der entgangenen Einnahmen entschädige. Die innerhalb von 30 Jahren zu zahlenden jährlichen 350 Millionen US-Dollar sollten für die nachhaltige Entwicklung des Landes verwendet werden – dafür, den Yasuní zu erhalten und die Energiewende Ecuadors zu finanzieren. „ Plan A“ – das sogenannte Yasuní-ITT-Modell – sieht vor, das größte unerschlossene Ölfeld Ecuadors für immer im Boden zu belassen. Nach anfänglicher Skepsis waren viele Länder, darunter auch Deutschland, begeistert und erklärten sich bereit zu zahlen. Dennoch kam lange keine einstimmige Erklärung der internationalen Gemeinschaft zur Zahlungsbereitschaft zustande. Der Vorschlag von Präsident Correa entfachte nicht nur eine Diskussion um Moral und Ökologie, sondern er erwies sich auch juristisch als Pilotprojekt.

DURCHBRUCH IM AUGUST

Natürlich wollen die Geberländer sicher gehen, dass ihre Zahlungen wirklich zur nachhaltigen Umstellung auf erneuerbare Energien in Ecuador verwendet werden. Es muss ausgeschlossen sein, dass die Gelder in unübersichtlichen Töpfen verschwinden und Nachfolgeregierungen sich dann doch für die Förderung des ITT-Öls entschließen. Um die Entscheidung voranzutreiben – und vermutlich unter dem Druck der Erdöl- Industrie –, drohte Präsident Rafael Correa im Januar 2010 damit, innerhalb der nächsten sechs Monate mit der Erschließung des Gebietes und der Ölförderung zu beginnen, wenn es nicht endlich zu Ergebnissen käme. Seine Erklärung sorgte für Entrüstung in den eigenen Reihen: Der Außenminister und die von ihm geleitete Verhandlungskommission der Regierung traten aus Protest zurück.

Am 3. August kam dann endlich der Durchbruch: In Quito unterzeichneten der Vizepräsident Ecuadors und eine Vertreterin des UN-Entwicklungsprogramms UNDP eine Vereinbarung. Danach soll die internationale Gemeinschaft in den kommenden 13 Jahren rund 2,7 Milliarden Euro als Gegenleistung für Ecuadors Verzicht auf die Ölbohrungen aufbringen und in einen Treuhandfonds einzahlen, was jährlich immerhin 275 Millionen US-Dollar entspricht. Kommen die internationalen Gelder nicht zusammen, so könnte theoretisch immer noch „Plan B“ umgesetzt werden: die Ausbeutung der Ölquellen. Petroamazonas, ein Tochterunternehmen der staatlichen Ölgesellschaft Petroecuador, hat von 7 Plattformen aus 113 Förderbohrlöcher und 20 Reinjektionsbrunnen geplant, um das ITT-Rohöl zu fördern und durch eine Pipeline, die bereits gebaut wird, abzutransportieren.

Die Diskussion um den Yasuní-Nationalpark ist ein klassisches Beispiel für einen Konflikt zwischen Naturschutz und wirtschaftlichen Interessen – mit schwerwiegender moralischer Komponente. Können die reichen Industrienationen einem armen Land wie Ecuador verbieten, seine natürlichen Ressourcen zu nutzen? Hat der Wald einen Wert an sich? Und wäre dieser geringer, wenn dort keine Menschen lebten? Fakt ist: Wird das Erdöl später verbrannt, werden schätzungsweise 444 Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. Und der Regenwald, die darin lebenden Menschen, Tiere und Pflanzen sind verloren.

Ein internationales Forscherteam legte Anfang 2010 die umfangreiche Studie „Global Conservation Significance of Ecuador’s Yasuní National Park“ vor. Auch Holger Kreft hat daran mit geschrieben. Ziel war, die Einmaligkeit des Naturraums und ihre Schutzwürdigkeit mit aktuellen und stichhaltigen Fakten zu untermauern (siehe auch das folgende Interview mit Holger Kreft „ Wir bauen auf die Vernunft“). Zahlreiche Arbeitsgruppen, die von der Tiputini-Biodiversity-Station im Osten des Nationalparks aus Feldforschung betreiben und sich dabei mit den unterschiedlichen Pflanzen- und Tiergemeinschaften des Gebiets beschäftigen, haben ihre Daten zusammengeführt. „Ob Bäume, Fledermäuse, Primaten oder andere Lebewesen: Mit der Förderung des Öls wäre der Lebensraum all dieser Tiere und Pflanzen unwiederbringlich verloren“, sagt Holger Kreft. „Es ist die Hauptaufgabe von uns Wissenschaftlern, Daten zu liefern, die als Argumentationsgrundlage für den Erhalt dienen. Das kann niemand sonst.“

Das Welterbe nicht verspielen

Krefts Aufmerksamkeit galt besonders den Epiphyten: Aufsitzerpflanzen wie Orchideen oder Luftnelken, die in den Baumkronen wachsen. Um sie kartieren zu können, mussten er und seine Kollegen mit Bergsteigerausrüstung auf die Baumriesen in ihrem Untersuchungsfeld klettern und sich mithilfe von Seilen von Baum zu Baum hangeln: spektakuläre Forschung im Dienst der Natur.

Vorläufiges Fazit: Das Schicksal des Yasuní ist nach wie vor ungewiss. Liegt der Regenwald einfach zu weit von uns entfernt? „ Man kann Parallelen zu anderen Welterbe-Stätten ziehen“, meint Holger Kreft. „Nehmen wir als Beispiel den Louvre: Angenommen, die französische Regierung würde anfangen, Bilder von dort zu verscherbeln – als erstes etwa die Mona Lisa –, um den Staatshaushalt zu sanieren. Dann ginge ohne Zweifel ein Aufschrei durch die Welt. Jeder würde sagen: Das darf nicht passieren.“ Aber genau das wäre das Schicksal des Yasuní, wenn der internationale Deal platzt. ■

GUNNAR HENZE hat Angewandte Fremdsprachen und Geographie studiert. Ressourcenkonflikte und Naturschutz interessieren ihn brennend.

von Gunnar Henze

KOMPAKT

· Nach einem Vorschlag des ecuadorianischen Präsidenten soll die Weltgemeinschaft Ecuador Geld dafür zahlen, dass das Land auf die Ausbeutung des Erdölfelds unter dem Nationapark Yasuní verzichtet.

· Nach langem Zögern wurde Anfang August ein Vertrag geschlossen: In den kommenden 13 Jahren sollen 2,7 Milliarden Euro für die Energiewende zusammenkommen.

DER GEFÄHRDETE SCHATZ

Der Nationalpark Yasuní ist ein tropisches Regenwaldgebiet im Osten Ecuadors. Die Nähe zur Gebirgskette der Anden bietet optimale Niederschlagsbedingungen und ist somit die Basis für die extrem hohe Artenvielfalt. Das angestammte Siedlungsgebiet der einheimischen Huaorani liegt heute größtenteils innerhalb des Nationalparks, in dem der Naturschutz Vorrang vor menschlicher Nutzung hat. In der Übergangszone ist traditionelles Wirtschaften erlaubt. Hier siedeln noch weitere einheimische Stammesgruppen. Das ITT-Erdölfeld liegt im Nordosten des Nationalparks. Besonders westlich des Yasuní fördert Ecuador schon seit Langem große Mengen an Rohöl. Eine beträchtliche Belastung für die Umwelt sind auch die alten und oft undichten Pipelines, in denen das Öl über die Andenkette zu den Hafenstädten am Pazifik gebracht wird, um es von dort aus zu exportieren.

Gut zu wissen: Biodiversität

Als Biodiversität wird die gesamte Vielfalt des Lebens auf der Erde bezeichnet. Sie umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und die Vielfalt von Ökosystemen. Den Begriff prägte 1988 der US-amerikanische Biologe Edward Osborne Wilson mit seinem Buch „Biodiversity“. Durch die 1992 auf dem Erdgipfel in Rio verabschiedete Konvention zur Biologischen Vielfalt (CBD) hielt er Einzug in die Politik.

Im „Internationalen Jahr der Biodiversität 2010″, das die UNO ausgerufen hat, ist klar: Das 2002 von der Staatengemeinschaft verabschiedete Ziel, den Artenverlust bis 2010 zu stoppen, wurde verfehlt (bild der wissenschaft 1/2010, „Die Bremse hat versagt“ ). Nach Berechnungen des World Wide Fund for Nature (WWF) ging die biologische Vielfalt der Erde zwischen 1975 und 2005 um 27 Prozent zurück. Seit 1970 sind die Tierpopulationen um 30 Prozent geschrumpft, die Mangrovenflächen um 20 und die Korallenriffe sogar um 40 Prozent. Eine globale Erwärmung um 1,8 Grad Celsius könnte zu leichtem Artenzuwachs in den kühlen gemäßigten Regionen führen, aber gleichzeitig zu einer Abnahme in heißen und trockenen Regionen. Eine Erwärmung um 4 Grad Celsius würde einen rasanten Artenschwund durch Wassermangel in den tropischen Regionen bedeuten.

Politische Entscheidungen sind für das Überleben der Artenvielfalt wichtiger denn je: Die Biodiversitäts-Konferenz im japanischen Nagayo soll jetzt im Oktober die Weichen stellen.

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