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„Oje, du fröhliche“

Interview mit einem Kult-Baum

„Oje, du fröhliche“
Fröhliche Weihnachten, alter Schwede! Ja, auch so. Aber falls Sie auf meinen Namen anspielen: Ich bin gar kein Skandinavier. Nein?

Nein?

Im Gegenteil, ich bin mehr der östliche Typ. Ich stamme aus dem Kaukasus und heiße nur so, weil ich im 19. Jahrhundert nach dem Botaniker Alexander von Nordmann benannt wurde: Abies nordmanniana. Der Herr Nordmann hat eine Zeitlang in Odessa gearbeitet, unter anderem als Leiter des Botanischen Gartens. Er hat mich an den Hängen des Kaukasus entdeckt.

Und wir dachten immer, Sie kämen aus den endlosen Weiten des hohen Nordens. Aber egal, von Ihrem Wesen her sind Sie ja eh quasi ein Deutscher.

Wie kommen Sie denn darauf?

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Weil der Weihnachtsbaum eine deutsche Erfindung ist. Bereits im 16. Jahrhundert nachweisbar, seit dem 19. Jahrhundert in aller Welt verbreitet.

Wir sind keine Weihnachtsbäume!

Natürlich, und zwar par excellence: pyramiden-förmig, mit Nadeln, die kaum pieksen, lange haltbar in Innenräumen, Sie tragen klaglos schweren Schmuck. Sie sind der Marktführer.

Mag sein, aber das ist nicht unser Daseinszweck! Unsere Eigenschaften sind einfach Anpassungen an den Boden und an das Klima der Schwarzmeerküste. Uns jedenfalls geht dieses ganze Weihnachts-Brimborium ziemlich auf die Zweige.

Na na, sind Sie denn kein bisschen stolz, dass Sie deutsche Wohnzimmer schmücken dürfen?

Schmücken, dass ich nicht lache. Die armen jungen Kollegen werden nur geschlagen, um in geschmacklosen Wohnzimmern mit irgendwelchem Kitsch behängt zu werden.

Über Geschmack lässt sich nun mal nicht streiten, und Sie betrifft es ja offenbar nicht.

Nein, ich bin zum Glück schon 30. Aus mir wird kein Weihnachtsbaum mehr. Ich wurde angepflanzt, um Samen zu liefern. Aber darf ich jetzt auch mal was

fragen: Sind wir denn wirklich nötig? So viel ich weiß, gibt es in anderen Ländern längst künstliche Weihnachtsbäume. Prima Exemplare aus Kunststoff, aus Holz, aus Edelstahl, mit leuchtenden Gasflammen . sogar gentechnisch veränderte Bäume, die von selbst leuchten, soll es geben.

Ich bitte Sie, das ist Kitsch! Wir Deutschen wollen einen echten Baum im Wohnzimmer. Sonst kommt doch keine Romantik auf. Niemand liebt Sie so wie wir. Einige unserer Landsleute haben sogar mal Ihre Nadeln gezählt. Es waren 187.333 Stück.

Du liebe Güte, auf so etwas könnt wirklich nur ihr Deutschen kommen.

Allerdings haben wir den Eindruck, dass Sie in den letzten Jahren immer teurer werden. Können Sie uns das erklären?

Das sind die Chinesen! Die wollen jetzt auch alle Weihnachtsbäume. Die treiben die Preise nach oben.

Heißt das, Sie sind vom Aussterben bedroht?

Nicht wirklich. Zwar werden in meiner Heimat die großen und alten Bäume zunehmend gefällt. Dafür pflanzen uns die Deutschen immer mehr an. So wie mich in den Plantagen, zur Samengewinnung, aber auch zunehmend in Parks und Gärten. Wer weiß, vielleicht wachsen wir in 50 Jahren nur noch in der

Eifel und im Sauerland.

Sehen Sie, dann werden Sie und Ihresgleichen ja doch noch zu echten Deutschen.

Oje.

Du fröhliche!

Meinetwegen.

GESPRÄCH: MARTIN RASPER

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