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Pestspuren aus der Bronzezeit

Erde|Umwelt

Pestspuren aus der Bronzezeit
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Bronzezeitlicher Schädel. Credit: Natalia Shishlina
Keine Seuche der Menschheitsgeschichte wütete je so schlimm wie die Pest. Ursprünglich ist die Pest aber keine Krankheit des Menschen, sondern eine Tierkrankheit. Wann sprang der Erreger also erstmals auf den Menschen über? Forscher sagen nun: viel früher als gedacht. Sie haben Erbgut des Pestbakteriums in Zahnproben aus der Bronzezeit entdeckt – und damit den bisher ältesten Nachweis einer Pestinfektion beim Menschen.

Der Pesterreger infizierte Menschen demnach bereits vor etwa 4.800 Jahren – 3.300 Jahre früher als historische Dokumente bisher nahelegten, berichtet das Wissenschaftlerteam um den Biologen Simon Rasmussen von Dänemarks Technischer Universität im Fachblatt Cell. Damit rücken die Forscher die Infektionen  durch den berüchtigten Krankheitserregers Yersinia pestis um Einiges weiter in die Vergangenheit zurück.

Das Bakterium verursachte allein zwei Mal in der Geschichte Europas verheerende Pandemien, die ganze Landstriche entvölkerten. In der Spätantike wütete die sogenannte Justinianische Pest und tötete im Laufe des 6. Jahrhunderts etwa 100 Millionen Menschen. Im Mittelalter tauchte die Seuche erneut auf. Der Schwarze Tod löschte 30 bis 50 Prozent der europäischen Bevölkerung aus. Eine Pandemie in China während der 1850er Jahre geht ebenfalls auf Y. pestis zurück.

Seuchen mit ungeklärtem Auslöser

Frühere mögliche Pestausbrüche lassen sich jedoch nicht so einfach dem Erreger zuordnen. Menschliche Skelette, in denen das Pestbakterium bisher nachgewiesen werden konnte, sind nicht älter als 1.500 Jahre. Deshalb ist strittig, ob Y. pestis etwa die Attische Seuche auslöste, die vor 2.500 Jahren in Athen umging. Ebenso wenig geklärt ist die Ursache für die Antoninische Pest – eine Pandemie, die im 2. Jahrhundert nahezu im ganzen Römischen Reich herrschte. Experten glauben, dass es sich bei der Seuche wahrscheinlich eher um eine besonders aggressive Form der Pocken oder der Masern gehandelt haben könnte.

Oder war der Pesterreger doch schon damals in der menschlichen Bevölkerung verbreitet? Diese Frage stellten sich die Forscher um Rasmussen, nachdem sie für eine Studie das Genom von Europäern und Asiaten aus dem Bronzezeitalter sequenziert hatten. Der Blick ins Erbgut offenbarte: Es muss damals ausgeprägte Migrationsbewegungen gegeben haben. Doch was war der Grund? Die Forscher glaubten, die Menschen könnten vor Epidemien geflohen sein – womöglich gar vor der Pest.

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Tiefe Wurzeln

Um diese Vermutung zu überprüfen, haben die Wissenschaftler nun das Erbgut von insgesamt 101 Menschen aus Eurasien analysiert. Es entstammt Zahnproben, die auf das Bronzezeitalter datiert werden. Tatsächlich fanden die Forscher DNA von Yersinia pestis in den Überresten von sieben Individuen – sie lebten zwischen 2794 und 951 v. Chr. Die jüngste dieser Proben mit Pestspuren ordnet das Team schon nicht mehr der Bronze- sondern der frühen Eisenzeit zu.

Die DNA des prähistorischen Pestbakteriums ermöglicht spannende Einblicke in die Evolution des Erregers: Nach den neuen Erkenntnissen ist der letzte gemeinsame Vorfahre aller Y. pestis-Stämme 5.783 Jahre alt und entstand den Forschern zufolge damit 2.000 Jahre früher als bisher angenommen.

Bakterium ohne Killer-Eigenschaften

Außerdem zeigen die Analysen, dass der Pesterreger in der Bronzezeit zwar schon Menschen infizierte – doch noch weit davon entfernt war, ein aggressiver Killer und Auslöser grauenhafter Pandemien zu sein. Ihm fehlte nämlich das Gen für ein entscheidendes Enzym, das Yersinia murine Toxin. Dieses ermöglicht dem Bakterium, im Verdauungstrakt von Flöhen zu überleben und sich dort zu vermehren. Nur mit dieser Fähigkeit kann der Erreger die Insekten als schnelle und effektive Überträger nutzen – erst damit ist er in der Lage, explosionsartige Epidemien wie den Schwarzen Tod im Mittelalter auszulösen.

Der Übertragungsweg über Flöhe ist typisch für die berüchtigte Beulenpest, die von Ratten über die Insekten auf den Menschen übergeht. Die frühe Form von Y. pestis kann deshalb laut den Wissenschaftlern lediglich die sogenannte Lungenpest und die Pestsepsis verursacht haben. In der Probe aus der frühen Eisenzeit war das Gen für dieses Enzym dagegen vorhanden. Demnach hat die Pest etwa im 1. Jahrtausend vor Christus ihre fatale Infektionskraft erworben.

Auch eine weitere Eigenschaft hat der Erreger offensichtlich erst im Laufe der Zeit entwickelt: Heutige Bakterienstämme entziehen sich dem Immunsystem von Säugern mithilfe eines Tricks. Sie unterdrücken die Entstehung eines typischen Merkmals, an dem das Immunsystem Bakterien normalerweise als Feind erkennt: ein Protein namens Flagellin. In den zwei ältesten Proben aus der Bronzezeit fanden die Forscher dieses Protein noch im Erbgut des Pesterregers.

Nützliche Lehren für die Gegenwart

„Wir haben durch unsere Studie ein verbessertes geschichtliches Verständnis von dem für die Menschheit so bedeutsamen Erreger erlangt”, schließt Studienautor Rasmussen. „Und unsere Erkenntnisse machen es tatsächlich möglich, dass Seuchen wie die Antoninische Plage durch Y. pestis verursacht worden sein könnten.”

In Zukunft wollen die Forscher nach Hinweisen auf das Pestbakterium auch in menschlichen Überresten aus anderen Teilen der Erde suchen, um noch mehr über seine Entwicklung zu erfahren. „Wenn wir die Mechanismen verstehen, die die Evolution von Y. pestis vorangetrieben haben, hilft uns das auch heute”, sagt Rasmussen. „Wir können davon lernen, wie in Zukunft für den Menschen gefährliche Erreger entstehen oder wie sie erhöhte Ansteckungskraft entwickeln könnten.”

Originalarbeit der Forscher:

© wissenschaft.de – Daniela Albat
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