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Pflanze versteckt sich vor Menschen

Steinerne Tarnung

Pflanze versteckt sich vor Menschen
Links eine F. Delavayi-Pflanze mit „normalem“ Aussehen, rechts ein Exemplar, das aufgrund der Farbanpassung im Geröll kaum zu erkennen ist. (Bilder: Yang Niu)

Evolution der besonderen Art: Der Mensch hat ein Heilkraut der traditionellen chinesischen Medizin gleichsam in Stein verwandelt, berichten Forscher. An einigen Standorten in der Himalajaregion haben diese Pflanzen eine Tarnung entwickelt, die sie vor den Blicken von Sammlern schützt. Normalerweise sind ihre Blätter grün und die Blüten gelb. Wo man sie ausreißt, bringt sie hingegen unterschiedliche Tarnfärbungen hervor, die zum jeweiligen Aussehen der umliegenden Steine passen. Dadurch können Menschen sie nur schwer erkennen, bestätigen Tests.

Bloß nicht auffallen! Um den hungrigen Blicken von Fressfeinden zu entgehen, versuchen viele Lebewesen durch Farben und Muster möglichst mit der Umwelt zu verschmelzen. So macht sich etwa ein grüner Frosch im Gras unsichtbar. Neben Tieren sind auch Pflanzenarten bekannt, die ihre Formen und Farben der Umgebung angepasst haben, um nicht die Aufmerksamkeit von Pflanzenfressern zu erregen. Entstanden sind diese Merkmale durch das evolutionäre Prinzip des Selektionsdrucks: Beispielsweise endet ein Frosch, dessen Grünton schlecht zur Vegetation in der Umgebung passt, eher im Schnabel eines Storchs als sein Kollege mit einer stimmigeren Tarnfarbe. Über Generationen hinweg kann eine solche Auslese dann zu deutlichen Merkmalsveränderungen oder sogar zur Bildung neuer Arten führen.

Ein chinesisches Heilkraut im Visier

Dass nicht nur tierische Feinde, sondern auch der Mensch die Merkmale von Lebewesen durch Selektionsdruck verändern kann, wurde bereits bei einigen Wildtieren dokumentiert. Doch nun haben die Forscher um Yang Niu vom Kunming Institut für Botanik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften den Effekt auch bei einer Pflanzenart festgestellt. Es handelt sich dabei um eine asiatische Verwandte unserer heimischen Sachblume. Fritillaria delavayi ist in der Himalajaregion verbreitet und wächst dort an Hängen zwischen Felsen und Steinen. Das Liliengewächs bildet im Untergrund eine Zwiebel aus, auf die es Sammler abgesehen haben. Denn seit über 2000 Jahren wird F. delavayi in der chinesischen Medizin verwendet. Die Zwiebel der Pflanze erzielt hohe Preise. Deshalb wird sie in einigen Bereichen ihres Verbreitungsgebiets häufig aus dem Boden gezogen.

Es war bereits bekannt, dass F. delavayi in verschiedenen Farbvariationen vorkommt, berichten die Wissenschaftler: Es gibt „normal“ aussehende Pflanzen mit grünen Blättern und gelben Blüten, aber auch erstaunlich „steinern“ wirkende Varianten in grauen und bräunlichen Farben, die zum jeweiligen Hintergrund am Standort zu passen scheinen. Was es damit auf sich hat, haben die Forscher im Rahmen ihrer Studie untersucht. „Wie bei anderen getarnten Pflanzen, die wir untersucht haben, dachten wir zunächst, dass die Entwicklung der Tarnung bei F. delavayi ebenfalls von Pflanzenfressern vorangetrieben wurde“, sagt Niu. „Aber solche Tiere konnten wir nicht finden“.

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Es gibt den Forschern zufolge keine Bissspuren an F. delavayi. Wie sie erklären, wird die Pflanze gemieden, denn sie bildet Alkaloide als Abwehrstoffe. Ironischerweise sind genau diese Stoffe der Grund, warum der Mensch die Pflanze bedroht. Vermutlich bilden sie die Grundlage der medizinischen Wirkung, die ihr nachgesagt wird. Vor diesem Hintergrund kam der Verdacht auf, dass der Mensch der Treiber dieser Entwicklung der Tarnfärbungen war. Dieser Spur sind die Wissenschaftler durch weitere Recherchen nachgegangen. Sie erfassten dazu systematisch, wie gut die Pflanzen aus verschiedenen Populationen zu ihrer jeweiligen Bergumgebung passten und wie leicht sie dort zu sammeln waren. Sie werteten zusätzlich weitere Informationen und Befragungen von Einheimischen aus, um festzustellen, wie stark die Pflanzen an den verschiedenen Standorten genutzt wurden.

Anthropogene Farbanpassung

So zeigte sich: Der Grad der Tarnung der Pflanzen korrelierte mit der Belastung durch den Menschen. In Bereichen, in denen die Pflanzen schlecht zugänglich waren, bildeten sie die offenbar ursprüngliche grüne Blatt- und gelbe Blütenfarbe aus. Wo man sie stark sammelte, waren die Farben hingegen dem umliegenden Gestein angepasst, ergaben die Auswertungen. Durch Tests konnten die Forscher zudem zeigen, dass die Farbanpassungen tatsächlich die Fähigkeit von Probanden deutlich einschränken, die Pflanzen auf Aufnahmen im Geröll ausfindig zu machen.

Aus den Ergebnissen geht somit hervor, dass der Mensch die Evolution dieser Art in neue Farbformen „treibt“, weil besser getarnte Pflanzen eine höhere Überlebenschance haben, resümieren die Forscher. „Es ist interessant festzustellen, wie der Mensch einen so direkten und deutlichen Einfluss auf die Färbung einer Wildpflanze haben kann – nicht nur auf ihr Überleben, sondern auch auf ihre Evolution selbst“, sagt Co-Autor Martin Stevens von der University of Exeter.

„Es ist möglich, dass der Mensch auch bei anderen Pflanzenarten die Evolution von Verteidigungsstrategien vorangetrieben hat. Aber bisher ist dazu kaum etwas bekannt“, sagt Stevens. Er und seine Kollegen regen deshalb nun andere Forscher dazu an, nach weiteren Bespielen Ausschau zu halten. Seniorautor Hang Sun vom Kunming-Institut für Botanik sagt dazu abschließend: „Die Entwicklung der biologischen Vielfalt auf der Erde wird nicht mehr nur von der Natur geprägt, sondern teilweise auch intensiv vom Menschen“.

Quelle: University of Exeter, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2020.10.078

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