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Reise zum Mittelpunkt der Sonne

Astronomie|Physik Erde|Umwelt Geschichte|Archäologie

Reise zum Mittelpunkt der Sonne
Unternehmen Sie mit uns eine aufregende Expedition, bei der Sie der Sonne ganz nah kommen. Sie führt durch riesige Tornados, die Forscher erst im vergangenen Sommer aufgespürt haben und endet tief im Inneren des brodelnden Plasmaballs.

Wer jemals eine totale Sonnenfinsternis erlebt hat, wird dieses Schauspiel nie vergessen: Kaum hat der Mond die Sonne bedeckt, herrscht mitten am Tag tiefe Dämmerung. Zwar erscheinen beide Körper am Himmel gleich groß, doch das ist eine Täuschung. Denn die viel größere Sonne ist auch viel weiter entfernt. Durchschnittlich 149,6 Millionen Kilometer oder 23 481 Erdradien sind es bis dorthin. Die Mondfahrer mussten dagegen bloß 60 Erdradien weit zum Erdtrabanten reisen. Trotz des großen Abstands hat die Erforschung der Sonne in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. „Wir leben im goldenen Zeitalter der Sonnenforschung“, sagt der Astrophysiker Manfred Schüssler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung. „Wir verstehen nun etliche rätselhafte Vorgänge auf der Sonne viel besser. Das liegt vor allem an der Kombination der schärferen Bilder von neuen Sonnenobservatorien mit mittlerweile deutlich besseren Computersimulationen.“

Eine virtuelle Expedition

bild der wissenschaft möchte Sie auf eine virtuelle Reise zur Sonne einladen. Dabei wird es auch um die Liaison unseres Heimatplaneten mit seinem Tagesgestirn gehen: Wie steht es beispielsweise um die Wirkung der Sonne auf das irdische Klima? Wissenschaftler haben historische Wetterdaten analysiert, die Hinweise darauf geben. Und es wird vom „Weltraumwetter“ die Rede sein, das Satelliten und Astronauten in Gefahr bringen kann. Diese Kapriolen sind eine Folge des Zusammenspiels zwischen dem unsteten Sonnenwind und dem irdischen Magnetfeld – ein Forschungsgebiet, das noch in den Kinderschuhen steckt.

Steter Wandel ist für die Sonne normal. Nach Jahren der Ruhe kommt sie gegenwärtig bei ihrem elfjährigen Aktivitätszyklus wieder in Fahrt. Die dunklen Flecken auf ihrer Oberfläche sind ein deutliches Zeichen dafür. Solche Flecken wurden bereits von Galileo Galilei beobachtet, aber erst die aktuellen Computersimulationen können sie erklären. Dabei ist der solare Hexenkessel immer wieder für Überraschungen gut: Erst im vergangenen Sommer entdeckten Forscher Tausende riesiger Tornados, die selbst in „ruhigen“ Zeiten in der Sonnenatmosphäre toben. Sie werden verdächtigt, die Korona auf Millionen Grad aufzuheizen.

Auf der Reise zur Sonne werden wir viele Schauplätze besuchen, wo Erstaunliches geschieht, über das sich die Sonnenforscher die Köpfe zerbrechen. Unser Ziel ist das tiefe Innere des brodelnden Plasmaballs – dort, wo sich die Verschmelzung der Atome abspielt. Boten dieser enormen Energieproduktion, die das Leben auf unserer Erde ermöglicht, sind Neutrinos, die in penibel abgeschirmten Untergrundlabors aufgefangen werden. Die erste Etappe unserer Reise liegt jedoch auf der Erde – genau genommen in Mitteleuropa.

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von Thorsten Dambeck

Ein dritter Gürtel

Normalerweise wird die Erde von zwei Strahlungsgürtel aus elektrisch geladenen Teilchen umgeben (links). Doch als die Sonnenaktivität 2012 überdurchschnittlich hoch war, bildete sich einen Monat lang noch ein weiterer Gürtel aus (rechts). Ursache war eine starke Schockwelle des Sonnenwinds, die den äußeren der beiden üblichen Gürtel komprimierte und Platz schuf für einen dritten.

400 Jahre Sonnenflecken

Die Aktivität der Sonne schwankt in einem etwa elfjährigen Zyklus. Das geht mit einer Variabilität der Zahl der schon in kleinen Teleskopen gut sichtbaren Sonnenflecken einher: Deren Zahl nimmt ebenfalls im Elfer-Rhythmus periodisch zu und wieder ab. Die ersten systematischen Beobachtungen erfolgten im 17. Jahrhundert. Damals begann eine längere Phase geringer solarer Aktivität, das Maunder-Minimum, benannt nach dem Astronomen Edward Walter Maunder. Europa wurde zu dieser Zeit von der „ Kleinen Eiszeit“ heimgesucht. Auch Anfang des 19. Jahrhunderts lag die Zahl der Sonnenflecken unter dem langjährigen Durchschnitt. Dieses Dalton-Minimum wurde nach dem Meteorologen John Dalton benannt. Etwa 1950 gab es das letzte Maximum. Das aktuelle hohe Aktivitätsniveau kann zwar einen kleinen Teil der Temperaturzunahme auf der Erde erklären, aber für mindestens zwei Drittel davon ist der Mensch selbst verantwortlich.

Der Aufbau der Sonne

Die Sonne besteht aus mehreren Zonen oder Schichten mit unterschiedlichen Eigenschaften. In ihrem Kern wird Wasserstoff zu Helium verschmolzen. In der Strahlungszone wird die so erzeugte Energie nach außen transportiert. Das geschieht auch in der Konvektionszone, wo es aber zusätzlich zu einem Wärmetransport durch großräumige Umwälzungen des Plasmas kommt (Konvektion). Diese heißen Blasen sind an der sichtbaren Sonnenoberfläche, der Photosphäre, als Granulen erkennbar. Darüber befinden sich die Chromosphäre und die Korona, die extrem heiße äußere Sonnenatmosphäre.

Schwächelnde Sonne – Eisiges Europa

Dass sich die Erde im letzten Jahrhundert erwärmt hat, ist für die meisten Wissenschaftler eine Tatsache – und auch, dass der Klimawandel zu einem großen Teil durch den Menschen verursacht wird. Doch trotz dieses globalen Trends wird Mitteleuropa in den kommenden Jahren möglicherweise häufiger kalte Winter erleben. Der Grund sind Phasen schwächerer Sonnenaktivität.

Dafür spricht eine Studie von britischen und deutschen Wissenschaftlern. Die Forscher der University of Reading in der südenglischen Grafschaft Oxfordshire und vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) bei Göttingen fanden einen Zusammenhang zwischen geringer Sonnenaktivität und ungewöhnlich niedrigen Wintertemperaturen in Großbritannien und Mitteleuropa. Grundlage waren Wetterdaten, die über viereinhalb Jahrhunderte zurückreichen. Dass die Sonne als Hauptenergiequelle das Erdklima beeinflusst und Schwankungen ihrer Aktivität über lange Phasen der Erdgeschichte die Temperaturen bestimmt haben, war schon zuvor bekannt – weitere Faktoren sind Unregelmäßigkeiten des Erdorbits und Vulkanausbrüche. Studien finnischer und deutscher Forscher aus dem Jahr 2004 belegen, dass in den vergangenen 1150 Jahren die globalen Mitteltemperaturen und die auf die Erde eingestrahlte Sonnenenergie parallel verliefen.

TREIBHAUSEFFEKT SCHLÄGT DURCH

Dagegen gilt für die jüngste Vergangenheit auf globaler Ebene, dass sich Sonneneinstrahlung und Erderwärmung verschieden entwickelt haben – das ist seit etwa 1975 feststellbar. Viele Studien zeigen, dass einer abnehmenden solaren Aktivität eine Temperaturzunahme auf der Erde gegenübersteht. Ursache ist wohl der vom Menschen erzeugte Treibhauseffekt.

Astronomen wissen, dass die Sonne nicht immer gleich hell strahlte: In einem etwa elfjährigen Zyklus wechseln sich vergleichsweise ruhige Phasen mit solchen starker Aktivität ab. Wenn die Sonne aktiver ist, sendet sie mehr Strahlung und Teilchen zur Erde (siehe Kasten S. 48, „Der Elfer-Zyklus der Sonne“). „Die totale Einstrahlung der Sonne schwankt während einer solchen Periode um ungefähr 0,1 Prozent. Das entspricht etwa einer Änderung um ein Watt pro Quadratmeter auf der Erdoberfläche“, erklärt MPS-Direktor Sami Solanki, der an der britischen Klimastudie mit beteiligt war.

Die Sonnenflecken sind ein sichtbares Zeichen für dieses Auf und Ab der Strahlung: Gibt es viele Flecken, dann ist die Sonnenstrahlung intensiver als im Durchschnitt. Besonders kalte Phasen der Erdgeschichte wie das sogenannte Maunder-Minimum am Ende des 17. Jahrhunderts fallen mit Phasen schwacher Sonnenaktivität zusammen.

In ihrer Studie haben die Wissenschaftler nun die Wetteraufzeichnungen bis zurück ins Jahr 1659 mit der Sonnenaktivität im selben Zeitraum verglichen und statistisch ausgewertet. Als Maß für die Aktivität der Sonne diente die Stärke des solaren Magnetfelds. Es reicht bis zur Erde und löst dort kleine Schwankungen im irdischen Magnetfeld aus. Da ausreichend verlässliche Messdaten erst seit etwa 1900 vorliegen, rekonstruierten die Forscher ältere Werte mithilfe von Computersimulationen.

Die Magnetische FiEberkurve

„Die Stärke des Magnetfelds ist ein besseres Maß für die Aktivität der Sonne als die Zahl der Sonnenflecken“, meint Solanki. Der Grund dafür: Zwei Minima der solaren Aktivität, bei denen so gut wie keine Sonnenflecken das Tagesgestirn überziehen, können mit sehr unterschiedlichen Magnetfeldstärken einhergehen.

Der statistische Vergleich der magnetischen „Fieberkurve“ der Sonne mit den irdischen Wetterdaten spricht eine deutliche Sprache: Nach Jahrzehnten hoher Sonnenaktivität und vergleichsweise milder Winter sind harte Winter in Europa wieder häufiger geworden. Bei geringer Sonnenaktivität ist die durchschnittliche Wintertemperatur beispielsweise in Großbritannien ungefähr ein halbes Grad niedriger als sonst. Dieser Zusammenhang gilt aber nur für die Winter in England und Mitteleuropa.

Die Ursache dafür sind vermutlich Veränderungen der Winde in den unteren Luftschichten, der Troposphäre. Heizt sich die darüber gelegene Stratosphäre nur schwach auf, dann könnten die milden atlantischen Winde in der Troposphäre abreißen, spekulieren die Forscher. Mitteleuropa samt der britischen Inseln wäre dann den kalten Winden aus dem Nordosten ausgeliefert. Der genaue Wirkmechanismus ist allerdings noch unklar.

„Der Zusammenhang zwischen Sonnenaktivität und kalten Wintern in Europa war erst erkennbar, nachdem wir den überlagerten Trend der globalen Erwärmung herausgerechnet hatten“, stellt Solanki klar. Die Studie widerspricht also nicht der globalen Erwärmung. Außerdem sind die Resultate statistischer Natur, sie deuten also lediglich auf einen Trend hin.

Im Einzelfall kann es auch ganz anders kommen: 1685, mitten im Maunder-Minimum, belegen die britischen Wetterdaten den wärmsten Winter seit Jahrhunderten. „Eine geringe Sonnenaktivität bedeutet also nicht automatisch tiefere Wintertemperaturen“, sagt Solanki. „Die Umkehrung gilt dagegen immer: Außerordentlich kalte Winter gibt es nur dann, wenn die Sonnenaktivität niedrig ist.“ b

Risiko Weltraumwetter

Der US-Physiker James Van Allen, ein Wegbereiter der Weltraumforschung, nutzte schon 1946 als junger Wissenschaftler die in Deutschland erbeuteten V2-Raketen, um die irdische Hochatmosphäre zu erkunden. Später startete er kleinere Raketen von Höhenballons aus. Als 1958 die USA, schockiert vom Erfolg des sowjetischen Sputnik, ihre Explorer-Satelliten ins All schossen, war Van Allens Messinstrument für die Kosmische Strahlung mit an Bord. So gelang die erste Entdeckung des Raumfahrtzeitalters: der Van-Allen-Strahlungsgürtel.

Jeder Astronaut, der sich in Richtung Mond oder Sonne aufmacht, muss dort hindurch – und riskiert wegen der hohen Strahlenbelastung seine Gesundheit. Auch die Funktionsfähigkeit von Satelliten ist dort gefährdet, denn geladene Teilchen mit hoher Energie drohen Kurzschlüsse in den Schaltkreisen auszulösen. Eigentlich besteht der Van- Allen-Gürtel aus zwei Gebilden, die wie Reifen die Erde umgeben. Geladene Partikel sind darin magnetisch gefangen. Im inneren Gürtel, der einige Tausend Kilometer weit ins All reicht, schwirren hauptsächlich Protonen und Elektronen herum. Der äußere Gürtel erstreckt sich etwa fünf Erdradien weit ins All, dort sind hauptsächlich sehr schnelle Elektronen unterwegs. Beide Gürtel trennt eine Lücke. Seit Langem ist bekannt, dass der äußere Gürtel stark vom Sonnenwind beeinflusst wird. Seine Intensität kann deshalb innerhalb weniger Stunden schwanken.

die Gürtel-sPÄHER

Doch die Struktur des Gürtels kann durch den Einfluss der Sonne durcheinander geraten. Nachgewiesen hat das ein Forscherteam um Daniel Baker von der University of Colorado. Es schilderte im vergangenen Februar im Fachmagazin Science die ersten Resultate zweier neuer NASA-Satelliten, der Van-Allen-Gürtel-Sonden. Die beiden Späher identischer Bauart umrunden die Erde seit dem Sommer 2012 auf langgestreckten Ellipsen und entfernen sich dabei fast sechs Erdradien weit von der Erde. Regelmäßig durchfliegen sie also die gefährliche Strahlungszone.

Ziel der Mission ist ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Sonnenwind und Strahlungsgürtel. „Wir haben den Funkempfänger fast wie einen Panzer geschützt“, sagt NASA-Experte Dipak Srinivasan. Er meint damit die dickwandige Strahlenabschirmung.

Kaum waren die Instrumente der Sonden aktiviert, stießen sie auf Erstaunliches: einen vorübergehenden dritten Strahlungsgürtel. Die Ursache war eine starke Schockwelle des Sonnenwinds, die den äußeren der beiden bekann- ten Strahlungsgürtel zusammengedrückt hatte. Dort bildete sich eine Zone hoher Elektronendichte aus. Gleichzeitig entstand weiter außen der dritte Strahlungsgürtel mit geringerer Elektronendichte.

Zur großen Überraschung der Forscher hielt sich diese Dreier-Struktur rund vier Wochen lang – bis Anfang Oktober 2012. Dann fegte eine weitere solare Schockwelle innerhalb weniger Stunden den dritten Gürtel weg. Seitdem gilt wieder die seit einem halben Jahrhundert bekannte Ordnung.

Der Van-Allen-Gürtel ist Teil der „Wettervorgänge“ im erdnahen Weltraum. Die neuen Resultate illustrieren, wie wenig die Forscher bislang über dieses Weltraumwetter wissen. „Theoretisch kann fast jederzeit ein Supersturm auftreten“, sagt Weltraumwetter-Experte Volker Bothmer von der Universität Göttingen. Das ist sogar im Minimum des elfjährigen Sonnenfleckenzyklus möglich, wenn die Sonne angeblich „ruhig“ ist (siehe Kasten S. 48, „Der Elfer-Zyklus der Sonne“). So fällt einer der zehn stärksten geomagnetischen Stürme in den Februar 1986 – und damit ins solare Aktivitätsminimum.

Die Sonnenfleckenzyklen sind zwar unterschiedlich heftig. Doch die Stärke eines einzelnen Sturms ist nicht von der Stärke des jeweiligen Zyklus abhängig. „Der heftigste Sturm, der je beobachtet wurde, ereignete sich 1859″, weiß Bothmer. Damals sichteten britische Astronomen mit ihren Teleskopen ungewöhnliche Leuchterscheinungen auf der Sonne.

BLITZE BEI DEN SONNENFLECKEN

Die hellen Lichtblitze, die im Abstand von einigen Minuten aufzuckten, kamen aus der Nähe einer großen Sonnenfleckenzone. Rund 18 Stunden später verzeichneten Chronisten auf der Erde ein „ magnetisches Gewitter“. Telegrafenverbindungen wurden gestört, und an vielen Orten sahen Menschen Polarlichter, die so hell waren, dass sie nachts noch Zeitung lesen konnten – so berichtete damals die New York Times.

„Zu Superstürmen kommt es am häufigsten etwa drei Jahre nach dem eigentlichen Maximum“, sagt Bothmer. „Beim aktuellen Zyklus wird das Maximum in diesem oder im nächsten Jahr erwartet. Demnach stünde die nächste Sturmsaison 2015 bis 2017 ins Haus.“ Ob wieder Satelliten beschädigt werden, wie 2003 der japanische ADEOS II, oder gar die Stromversorgung für Millionen Menschen zusammenbricht, wie 1989 in der kanadischen Provinz Quebec – das kann niemand voraussagen. b

Windige Ferndiagnose

L1 ist ein wahrlich entlegener Arbeitsplatz – viermal so weit von der Erde entfernt wie der Mond. Zwar haben es Astronauten nie bis dorthin geschafft, trotzdem wurde an diesem abgelegenen Punkt im All schon emsig geforscht: Einige automatische Sonden, insbesondere zur Erkundung der Sonne, nutzten diesen „ Lagrange-Punkt“ als Standort für ihre Forschungen (bild der wissenschaft 11/2011, „Der schüchterne Trojaner“). Dazu gehörte auch die Genesis-Sonde der NASA. Ihr Auftrag: Die Partikel eines dünnen elektrisch geladenen Gases einzufangen, das ständig von der Sonne weg strömt: des Sonnenwinds. Fast 900 Tage war Genesis vor Ort und sammelte die solaren Partikel ein, die mit Hunderten Kilometern pro Sekunde auf sie einprasselten.

Die Hinweise auf diesen Teilchenstrom reichen Jahrzehnte zurück. Der Physiker Ludwig Biermann (1907 bis 1986) postulierte Mitte des vergangenen Jahrhunderts die Existenz einer „solaren Teilchenstrahlung“. Damit erklärte er, warum Kometenschweife stets von der Sonne weg zeigen. Ende der 1950er-Jahre mutmaßte auch der US-Astrophysiker Eugene Parker, dass von der Atmosphäre der Sonne ein geladener „solar wind“ ausgehe und prägte damit den bis heute gebräuchlichen Begriff.

Der direkte Nachweis blieb den ersten Weltraumsonden vorbehalten. Heute ist bekannt, dass der Sonnenwind hauptsächlich aus den Bestandteilen des solaren Wasserstoffs zusammengesetzt ist: Protonen und Elektronen. Hinzu kommen zwei bis vier Prozent zweifach positiv geladene Helium-Ionen und geringere Mengen von Ionen schwerer Elemente. Darunter sind Eisen, Sauerstoff und Stickstoff.

BRUCHLANDUNG mit folgen

Als Genesis im September 2004 zur Erde zurückkehrte, misslang die weiche Landung. Die Kapsel mit den kostbaren Sonnenwind-Proben schlug hart im US-Bundesstaat Utah auf. Beim Crash in der Wüste wurden die Proben verunreinigt, was die Laboranalysen des Sonnenwind-Materials komplizierter machte. Es dauerte Jahre, bis die Experten doch noch Informationen aus den Proben herauskitzeln konnten. Im Sommer 2011 publizierten zwei Forscherteams dann im Fachmagazin Science ihre verblüffenden Funde. Sie verweisen auf die Zeit vor der Entstehung unserer Erde.

Von jedem chemischen Element gibt es unterschiedliche Isotope. Das bedeutet: Sie haben zwar dieselbe Zahl von Protonen, unterscheiden sich aber in der Zahl der Neutronen. Daher existieren von derselben chemischen Substanz verschieden schwere Atome. Beispielsweise bestehen alle Sauerstoff-Atome aus acht Protonen, die meisten haben zudem auch acht Neutronen (Sauerstoff-16). Es gibt aber auch schwerere Sauerstoff-Atome, die ein oder auch zwei Neutronen mehr in ihrem Atomkern beherbergen. Diese schwereren Varianten heißen Sauerstoff-17 und Sauerstoff-18.

Wie Kevin McKeegan von der University of California zusammen mit Kollegen nach einer Analyse der Genesis- Proben berichtete, ist der Sauerstoff der Sonne anders zusammengesetzt als der auf der Erde: Die Sonne enthält rund sechs Prozent mehr vom leichten Sauerstoff-16-Isotop als alle felsigen Himmelskörper des inneren Sonnensystems, einschließlich der Erde.

Ähnliches entdeckte ein französisches Forscherteam beim Stickstoff. Hier waren die Differenzen sogar noch größer: Die Erde und die terrestrischen Planeten weisen einen um 40 Prozent niedrigeren Anteil an gewöhnlichem Stickstoff-14 auf als die Sonne. „Zwar unterscheiden sich die Zusammensetzungen der felsigen Planeten auch untereinander“, stellt die deutsche Geologin Veronika Heber aus McKeegans Team fest. „Doch die Differenzen sind viel kleiner als die gemessenen Unterschiede zur Sonne.“ Die Sonne repräsentiert die durchschnittliche Zusammensetzung des Sonnensystems, schließlich enthält sie über 99 Prozent seiner Gesamtmasse. Was bedeuten diese Diskrepanzen also?

„Die Erde entstand nicht aus der Durchschnittsmaterie des Sonnensystems“, folgert Veronika Heber, die von Anfang an beim Genesis-Projekt mitwirkte (siehe Interview auf S. 53). Zwar sind Sauerstoff und Stickstoff Hauptbestandteile unseres Planeten, doch das Isotopen-Verhältnis der beiden Elemente muss noch vor der Geburt der Erde durch chemische Prozesse verändert worden sein.

„So sind bestimmte Einschlüsse in Meteoriten, die sogenannten Calcium-Aluminium-rich Inclusions, früher entstanden. Ihre Sauerstoff-Isotope ähneln aber mehr denen vom Sonnenwind“, sagt Heber. Die Erde brauchte für ihre Bildung also länger als die Meteoriten. Welche Prozesse es waren, die damals die irdischen Elemente verändert haben, ist das Thema intensiver Forschung. b

Feurige Tornados

Ohne Hilfsmittel ist ein Blick auf die Korona der Sonne nur sehr selten möglich. Man kann sie mit bloßem Auge lediglich bei einer totalen Sonnenfinsternis erkennen – als leuchtenden Kranz um das verdunkelte Tagesgestirn. Diese Korona stellt Astronomen seit Jahrzehnten vor ein Rätsel: Wieso sind ihre äußeren Schichten mit über einer Million Grad Celsius sehr viel heißer als die Sonnenoberfläche, die es nur auf etwa 6000 Grad Celsius bringt? Woher stammt die Energie für diese enorme Aufheizung?

Forscher um Sven Wedemeyer-Böhm gaben im Sommer 2012 eine Entdeckung bekannt, die der Debatte über den Mechanismus der „ Koronaheizung“ buchstäblich zu einem neuen Dreh verhalf: Der Wissenschaftler von der Universität Oslo hatte zusammen mit Kollegen Tornados auf der Sonne erspäht. Die riesigen magnetischen Wirbel reißen elektrisch geladenes Gas von der Sonnenoberfläche in die Korona.

RIESIGE WIRBEL

Wie die Forscher im Wissenschaftsmagazin Nature berichteten, beobachteten sie die Sonne vom Boden und aus dem All, und zwar mit dem schwedischen Sonnenteleskop auf der Kanareninsel La Palma und zeitgleich mit dem NASA- Satelliten SDO (Solar Dynamics Observatory). Dabei fotografierten sie die solare Gashülle in einem weiten Bereich zwischen Infrarot und Ultraviolett. Der breite Wellenlängenbereich erlaubte es ihnen, unterschiedliche Schichten der Gashülle zu untersuchen.

Dabei entdeckten sie riesige Wirbelsysteme, die von der Oberfläche der Sonne bis in die höhere Atmosphäre reichen. Die Wissenschaftler sprechen von „magnetischen Tornados“. Sie sind 1000 Mal so groß wie ihre irdischen Pendants: Ihre Querschnittsfläche kann kontinentale Ausmaße erreichen.

Die Forscher spürten zwar nur 14 dieser Erscheinungen auf, deren Lebensdauer im Schnitt 13 Minuten betrug. Doch die Wissenschaftler vermuten, dass die Tornados ein recht häufiges Phänomen sind. Selbst in ruhigen Zeiten sollen mehr als 10 000 davon auf der Sonne toben. Die Hochrechnung wird durch noch unveröffentlichte Messungen gestützt. „In später untersuchten Datensätzen wurden noch weitere Tornados identifiziert“, erklärte Sven Wedemeyer-Böhm.

WIe in der badewanne

Die Energiequelle dieser Wirbel soll die Konvektionsbewegung der Gasmassen im Inneren der Sonne sein (siehe „Der Plasma-Paternoster“ ab S. 57). Bei den Bewegungen der geladenen Gasströme entsteht das solare Magnetfeld, indem ständig heißeres Plasma zur Oberfläche steigt und kühleres nach unten sinkt. Um die abwärts gerichteten Plasmaströme herum bilden sich auf der Sonnenoberfläche Strudel, ähnlich wie am Abfluss einer Badewanne. Die magnetischen Feldlinien sind dort besonders dicht, die Feldstärke ist also besonders hoch.

Das mitrotierende Magnetfeld überträgt die Drehbewegungen von der Sonnenoberfläche weit in die darüber liegende Gashülle. Die Wissenschaftler maßen in den Sonnen-Tornados Wirbelgeschwindigkeiten von mehr als 10 000 Kilometer pro Stunde. Nach ihren Berechnungen kann dieser Prozess genügend Energie in die Korona pumpen, um die hohen Temperaturen dort zu erklären.

Doch die Debatte geht weiter. Max-Planck-Physiker Hardi Peter, der an der Publikation nicht beteiligt war, würdigt zwar die Arbeit als wichtigen Beitrag zur Erklärung der Korona-Heizung. Weitere Beobachtungen müssten allerdings zeigen, betont Peter, ob die Sonnen-Tornados tatsächlich so häufig sind, wie es die publizierten Hochrechnungen nahelegen.

Außerdem gibt es andere Erklärungsansätze des Phänomens, die nun nicht einfach obsolet sind, sagt Peter. Er vermutet, dass mehrere Prozesse zum Energietransfer beitragen. Das können auch Effekte sein, die sich auf noch größeren räumlichen Skalen als die Tornados abspielen. So untersuchen die Göttinger Physiker um Hardi Peter Induktionsvorgänge in der Korona, die sie „Ohm’sche Heizung“ nennen (bild der wissenschaft 5/2012, „Der höllische Magneteffekt“). Das letzte Wort über die hitzigen Wirbel in der Korona ist also noch nicht gesprochen. b

Der Plasma-Paternoster

Ein wichtiges Arbeitsfeld von Sonnenphysikern wie Manfred Schüssler ist die Konvektionszone der Sonne. (Konvektion – von lateinisch „convectum“ für „mitgetragen“ – bezeichnet den Wärmetransport mittels einer Strömung von Flüssigkeit, Gas oder Plasma.) Diese Zone beginnt unter der sichtbaren Sonnenoberfläche und erstreckt sich rund 200 000 Kilometer tief ins Innere. Dort ist eine Art Paternoster in Gang: Ständig steigt heißes, elektrisch leitfähiges Gas empor. Es braucht typischerweise einige Monate vom Boden der Zone bis zur Oberfläche. Nur ein Bruchteil dieses Plasmas schafft es bis ganz oben, das meiste strömt vorher wieder zurück.

„Das Plasma ist nicht gleichförmig: Tief unten ist es dicht, auf dem Weg zur Oberfläche wird es dünner“, erklärt Schüssler. „ Die Dichte variiert in der Konvektionszone etwa um den Faktor eine Million.“ Die größten Unterschiede herrschen dicht unter der Sonnenoberfläche. Auch die Temperatur ändert sich stark. Sehr heiß ist es tief unten, nah am Sonnenkern, der von Fusionsprozessen erhitzt wird. „Am Boden der Konvektionszone ist das Plasma zwei Millionen Grad heiß, an ihrer oberen Grenze, der Sonnenoberfläche, herrschen dagegen bloß 6000 Grad“, sagt Schüssler.

RÄTSELhafter ENERGIETRANSPORT

Das Bild, das sich die Sonnenforscher von der Konvektionszone machen, ist bereits recht detailliert. Trotzdem gibt die für den solaren Energietransport wichtige Zone immer noch Rätsel auf. Im vergangenen Sommer meldeten Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America“: Die Bewegungen in der Konvektionszone sind viel langsamer als bislang gedacht. Eine Erklärung haben sie dafür bislang nicht gefunden.

Um ins Sonneninnere blicken zu können, nutzen die Wissenschaftler Beobachtungen des Sonnensatelliten Solar Dynamics Observatory (SDO) der NASA. Durch Auswertungen von Oszillationen der Sonnenoberfläche gelang es Shravan Hanasoge, der am Max-Planck- Institut für Sonnensystemforschung und an der Princeton University forscht, zusammen mit Kollegen, die Vorgänge tief im Innern der Konvektionszone zu enträtseln. Dabei arbeitete er mit der Helioseismologie. Diese noch recht neue Methode macht sich Prinzipien aus der irdischen Seismologie zunutze. Denn auch der innere Aufbau der Erde wurde mithilfe von Bebenwellen entschlüsselt.

SCHWINGENDES PLASMA

Seit Anfang 2010 beobachtet SDO die Sonnenoberfläche. An Bord ist ein Instrument speziell für helioseismologische und magnetische Messungen. Dieser „Helioseismic and Magnetic Imager“ (HMI) arbeitet folgendermaßen: Sobald eine akustische Welle aus dem Innern die Sonnenoberfläche erreicht, wird diese in Schwingungen versetzt, und die Oszillationen werden vom HMI erfasst. Die Forscher bestimmten damit, wie lange die Welle gebraucht hat, um von einem Ort auf der Oberfläche durch das Sonneninnere zu einem anderen Oberflächenort zu gelangen. Bei der Wellenausbreitung wirken Konvektionsströmungen im Inneren als Störeffekte. Deshalb ist es möglich, aus den Ausbreitungsgeschwindigkeiten der Wellen auf das Tempo der Konvektionsströmungen zu schließen.

Die Resultate stellen bisherige Vorstellungen infrage: Als die Forscher die Geschwindigkeiten von Plasmaströmungen in einer Tiefe von 55 000 Kilometern – also knapp neun Erdradien unter der sichtbaren Sonnenoberfläche – bestimmten, stellte sich heraus, dass sich das Plasma dort mit nur einigen Metern pro Sekunde bewegt. „Das ist ein Hundertstel von dem, was die numerischen Modelle der solaren Konvektion vorhersagen“, kommentiert MPS-Direktor Laurent Gizon. Statt mit dem Tempo eines Düsenjets strömt das Plasma nur gemächlich mit der Geschwindigkeit eines Fahrrads.

Die Forscher stellt das vor ein Rätsel. „Diese niedrigen Geschwindigkeiten sind das bemerkenswerteste helioseismologische Ergebnis seit dem Start von SDO“, sagt Gizon. Sein Kollege Schüssler sieht es gelassener. Er will das Problem mit neuen Computersimulationen lösen: „Letztlich geht es um die Frage, wie stark sich aufwärts strömendes heißeres und abwärts strömendes kühleres Plasma mischen.“ Die Auswertungen der HMI-Daten sprechen für erheblich schwächere Mischungsprozesse als bislang angenommen, meint der Astrophysiker.

Bei den Sonnenflecken ist das Bild klarer. Sie entstehen, wenn ein Bündel magnetischer Feldlinien aus dem Sonneninneren nach außen tritt. Seit Jahrhunderten sind diese Dunkelgebiete der Sonnenoberfläche bekannt. Jetzt ist es gelungen, sie im Computer nachzustellen.

2000 grad kühler

Die Sonnenforscher wissen seit Langem, dass die Flecken in der Mitte, in der sogenannten Umbra, dunkler sind als in den Randgebieten („Penumbra“). Es ist auch bekannt, dass die Flecken bis zu 2000 Grad „kühler“ sind als ihre Umgebung, und dass dort starke Magnetfelder herrschen. Sie sind mit bis zu 4000 Gauß rund 10 000 Mal so stark wie das Magnetfeld auf der Erdoberfläche. An den Flecken wird die Konvektion unterdrückt – und somit auch der Nachschub von Plasma aus der Tiefe. Die Folge: Die Flecken sind kühler, strahlen deshalb weniger hell und erscheinen dunkler.

Die Nachbildung der Flecken im Computermodell war noch vor wenigen Jahren unmöglich. Nun kamen den Forschern die immer leistungsfähigeren Supercomputer zuhilfe, die Modelle der Strömungsphysik mit besserer räumlicher Auflösung simulieren können.

MAGNETISCHE TURBULENZEN

Bei Sonnenflecken geht es um Strömungen im Magnetfeld, oder, fachlicher ausgedrückt, „um den Energietransport durch Konvektion unter dem Einfluss des solaren Magnetfelds“, so Schüssler. „In der Umbra wird das aufströmende Plasma durch das Magnetfeld behindert. Es wird in enge, wenige Hundert Kilometer dicke Kanäle gequetscht.“ An der Oberfläche angekommen, kühlt es sich stark ab und sinkt in unmittelbarer Nähe der Kanäle schnell wieder nach unten. In der Penumbra kann sich das aufsteigende Plasma dagegen entlang der Feldlinien ausdehnen. Die Lösung des Flecken-Rätsels ist demnach überraschend einfach: Den wichtigsten Einfluss hat die Richtung des Magnetfelds. In der Umbra verläuft es senkrecht, in der Penumbra geneigt zur Sonnenoberfläche.

Werden die Ergebnisse solcher Rechnungen bildlich dargestellt, sind sie von echten Sonnenflecken kaum zu unterscheiden. Schüssler ist zufrieden: „Die Simulationen zeigen die gesamte Feinstruktur der Sonnenflecken, wie sie auch ein Beobachter sieht.“ b

Live aus dem Sonnenkern

Im italienischen Untergrundlabor Gran Sasso, abgeschirmt unter 1400 Meter Fels der Abruzzen, betreiben Wissenschaftler seit 2007 ein gewaltiges Experiment. Mit ihrer Neutrinofalle Borexino (Abkürzung von „Boron Solar Neutrino Experiment“) spüren sie den Partikeln nach, die von der Sonne unablässig ins All gejagt werden. Mehr als 60 Milliarden solare Neutrinos durchqueren pro Sekunde jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. „Wir messen direkt die Prozesse im Sonnenkern, dort wo die Energie unseres Sterns erzeugt wird“, erklärt Hardy Simgen vom Max-Planck-Institut für Kernphysik.

Das Herzstück

Das Herzstück des Experiments ist ein Detektor, der rund 300 Tonnen eines speziellen Öls enthält. Es wird im Zentrum des Detektors von einem extrem dünnen Ballon aus Nylon in Form gehalten, dessen Wandstärke der Dicke eines menschlichen Haares entspricht. Wenn ein Neutrino mit einem Elektron der Öl-Moleküle kollidiert, entsteht ein schwacher Lichtblitz – und der entgeht der Messapparatur nicht: „Pro Tag weisen wir knapp 50 solare Neutrinos nach“, sagt der Heidelberger Astroteilchenphysiker, der an dem internationalen Projekt beteiligt ist.

Neutrinos sind seit Jahrzehnten bekannt. 1930 wurden sie vom österreichischen Physiker Wolfgang Pauli postuliert und 1956 erstmals bei einem Experiment gefunden. Die Partikel sind elektrisch neutral. Ihre Masse ist sehr gering, anders als bei den masselosen Photonen, aber größer als Null. Sonnenneutrinos entstehen im Zentrum der Sonne. Sie werden bei verschiedenen Kernreaktionen in großem Stil erzeugt – wodurch Rückschlüsse auf die Kernfusionsprozesse dort möglich sind.

Neutrinos sind etwas Besonderes: Sie flitzen wie Geisterteilchen fast ungehindert durch das Sonnenplasma genau wie durch irdisches Felsgestein. Viele Physiker halten sie für Sonderlinge im Elementarteilchenzoo – in der Sonnenphysik sind die seltsamen Partikel jedoch sehr nützlich: Je nachdem, aus welcher Kernreaktion sie stammen, bekommen sie unterschiedlich viel Energie mit auf ihren Weg ins Weltall. Schon acht Minuten nach der Entstehung erreicht ein Teil von ihnen das Gran- Sasso-Massiv.

blitze verraten Geisterteilchen

Wenn Astronomen die Sonnenoberfläche im Fernrohr beobachten, messen sie indirekt auch die Energieproduktion im Sonnenkern. Doch die Strahlung aus dem Kern braucht grob 100 000 Jahre, um bis zur Oberfläche zu dringen (siehe Kasten S. 60, „ Wasserstoffbrennen bei 15,7 Millionen Grad“). Anders ist es bei den solaren Neutrinos: Wenn die Forscher diese auf der Erde registrieren, können sie beinahe live beobachten, wie im Sonneninneren Energie freigesetzt wird. „Die Neutrinos berichten in Echtzeit über die Energieproduktion der Sonne“, sagt Simgen. „ Aber sie haben auch ihre Tücken.“ Denn irdische Radioaktivität oder Strahlung aus dem fernen Weltall kann ebenfalls Lichtblitze auslösen und somit Sonnenneutrinos vortäuschen.

Der mächtige Fels über dem Untergrundlabor bietet einen guten Schutz vor der Kosmischen Strahlung. Weitere Flüssigkeitsschichten, von einer Stahlhülle gestützt, schirmen den Detektor zusätzlich ab. Rund 2400 Tonnen reines Wasser dienen als äußerer Strahlenpuffer. Dank der Lichtblitze im Neutrino- Detektor haben die Forscher bereits einige Fusionsreaktionen direkt beobachten können. Dazu gehören auch seltene Zweige der Proton-Proton-Reaktion. Von ihr stammt der Löwenanteil der solaren Energieerzeugung, rund 99 Prozent.

Bei größeren Sternen, die im Inneren heißer sind als die Sonne, herrscht ein anderer Reaktionstyp vor: der CNO- Zyklus. Er benötigt – quasi als Katalysator – die Atomkerne von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff. Simgen erklärt: „Für den CNO-Zyklus haben wir klare Obergrenzen ermittelt: Er trägt weniger als ein Prozent zur gesamten Sonnenleuchtkraft bei.“ Im Sonnenkern spielt dieser Reaktionstyp zwar nur eine Nebenrolle. Doch astronomisch ist er sehr wichtig, weil er in massereicheren und alten Sternen letztlich für die Entstehung der schweren Elemente sorgt – ohne ihn gäbe es weder Planeten noch Lebewesen oder gar Menschen. b

THORSTEN DAMBECK, Physiker, Buchautor und Wissenschaftsjournalist, berichtete in bdw 6/2013 auch über Sonnensystem-Außenseiter.

Der Elfer-Zyklus der Sonne

Die Aktivität der Sonne wechselt periodisch, ablesbar an der Zahl der Sonnenflecken. Warum der Zyklus ausgerechnet elfjährig ist und nicht mit einer anderen Dauer schwankt, lässt die Forscher noch rätseln. Klar ist, dass der Sonnenfleckenzyklus nicht genau regelmäßig ist. Die Zyklen sind vielmehr zwischen 9 und 14 Jahren lang. Auch der Durchschnittswert variiert langfristig. Im 20. Jahrhundert betrug die Zyklusdauer beispielsweise nur 10,2 Jahre.

Im Minimum des Aktivitätszyklus bildet sich typischerweise ein einfaches Sonnenmagnetfeld aus, das größtenteils einem Dipol ähnelt, also wie bei einem Stabmagneten aussieht. Im Maximum des Zyklus ist es mit dieser einfachen Symmetrie vorbei – das Magnetfeld ist deutlich komplexer: Viele geschlossene Magnetfeldschleifen tragen nun zum Feld bei, man spricht von einem Multipolfeld.

Weitere Zyklen, auf einer Zeitskala von mehreren Hundert Jahren, scheinen die solare Aktivität zusätzlich zu prägen. Der britische Astronom und Bibelforscher Edward Maunder (1851 bis 1921) erkannte durch das Studium alter Aufzeichnungen, dass es vor dem Jahr 1715 sechs Jahrzehnte lang fast gar keine Flecken auf der Sonne gab. Man spricht vom sogenannten Maunder-Minimum (siehe Grafik S. 47, „400 Jahre Sonnenflecken“).

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Ausführliches Fachbuch über das Weltraumwetter: Volker Bothmer, Ioannis A. Daglis SPACE WEATHER – EFFECTS AND PHYSICS Springer Praxis, Berlin 2010, € 212,99

Leitfaden für Amateurastronomen: Jürgen Banisch DIE SONNE: EINE EINFÜHRUNG FÜR HOBBY-ASTRONOMEN Oculum, Erlangen 2009, € 19,90

Die deutsche Sonnenforschung im Dritten Reich: Michael P. Seiler KOMMANDOSACHE „SONNENGOTT“ Harry Deutsch, Frankfurt a.M. 2007 € 22,80

INTERNET

Täglich aktuelle Bilder der Sonne: sdowww.lmsal.com/suntoday

Schöner Film der Universität Oslo zur Entstehung der Polarlichter: vimeo.com/25811412

Populärer Vortrag der schottischen Sonnen-Physikerin Hazel Bain: scienceatcal.berkeley.edu/ lectures/2012/03

NASA-Websites zu den Missionen SDO und STEREO: sdo.gsfc.nasa.gov www.nasa.gov/mission_pages/stereo/main/index.html

Die kommenden Missionen von ESA und NASA zur Sonne: sci.esa.int/solarorbiter solarprobe.jhuapl.edu

Kurzer Film über das Neutrino-Experiment Borexino im Gran-Sasso-Massiv: www.youtube.com/watch?v=7i_Fve1SY5o

Kostenloses Fachmagazin zur Sonnenphysik: solarphysics.livingreviews.org

Doppel-Rendezvous mit der Sonne

In den kommenden Jahren werden zwei Sonden zur Sonne geschossen. Den Anfang macht im Januar 2017 der „Solar- Orbiter“ der ESA. Schrittweise wird er sich bis auf 42 Millionen Kilometer der Sonne nähern und dabei innerhalb der Bahn des sonnennächsten Planeten Merkur operieren – das entspricht einem Minimalabstand von 60 Sonnenradien.

Der Start der NASA-Sonde Solar Probe Plus (SPP) soll 2018 erfolgen. Geht alles nach Plan, folgt eine sechs Jahre lange Anflugphase, in der SPP für Bahnkorrekturen sieben Vorbeiflüge an der Venus durchführt. Ende 2024 ist der erste Kontakt mit der Sonne geplant: SPP nähert sich ihrer Oberfläche auf weniger als neun Sonnenradien.

Die Sonde wiegt nur 610 Kilogramm, hinzu kommen 55 Kilogramm Treibstoff. 16 Mal wird sie auf Tuchfühlung mit der Sonne gehen. In der größten Sonnennähe muss SPP etwa die 500-fache Sonnenstrahlung aushalten wie im Erdorbit. Ein 2,5 Meter großer Hitzeschild, der mit einem Verbundgewebe aus Kohlenstofffasern belegt ist, wird sich dann bis auf 1400 Grad Celsius aufheizen – er schützt die fünf wissenschaftlichen Instrumente, darunter eine Kamera. SPP soll sich der Sonne stärker nähern als je ein Raumschiff zuvor – rund 7 Mal so nahe wie die deutsch-amerikanische Sonnensonde Helios 2, die 1976 den immer noch gültigen Rekord aufstellte (Minimalabstand damals: 43 Millionen Kilometer).

Wasserstoffbrennen bei 15,7 Millionen Grad

Der Kern der Sonne nimmt vom Radius her etwa ein Viertel ihres gesamten Körpers ein: rund 165 000 Kilometer, das entspricht gut 25 Erdradien. Hier findet bei 15,7 Millionen Grad das „ Wasserstoffbrennen“ statt: Atomkerne des Wasserstoffs verschmelzen zu Helium-Kernen. Die Energieproduktion, die auf der Erde die Grundlage der gefürchteten Wasserstoffbombe ist, läuft im Sonnenzentrum recht gemächlich ab: „Pro Kubikmeter wird durch die Kernfusion lediglich die Leistung von zwei bis drei 100-Watt-Glühbirnen frei. Nach aktuellen Modellrechnungen sind es im Zentrum genau 249,3 Watt“, sagt Achim Weiss vom Garchinger Max-Planck-Institut für Astrophysik. „Nach außen hin nehmen Energieerzeugung und Temperatur schnell ab.“

Der Fusionsprozess setzt außerdem sehr kurzwellige Gammastrahlung frei. Doch im Kern ist das Sonnenplasma sehr dicht, etwa 150 Mal so dicht wie Wasser. Deshalb kommt ein Photon dort nicht weit – nach typischerweise 0,1 Millimetern ist der erste Zusammenstoß mit einem herumschwirrenden Plasmateilchen fällig. Durch die Kollision wird das Gammaphoton in eine neue Richtung abgelenkt und weitere Zusammenstöße folgen. So entsteht ein Zufallskurs, der dem Torkeln eines Betrunkenen durch eine Menschenmenge ähnelt. Mathematisch bedeutet das: Um sich vom Ausgangspunkt 1000 Schrittweiten zu entfernen, braucht das Quant eine Million Kollisionen – ein langwieriger Aufstieg bis zur Sonnenoberfläche. Dort hat es schließlich so viel Energie verloren, dass es als sichtbares Licht abgestrahlt wird. Die Gesamtdauer dieses Vorgangs lässt sich nur grob schätzen. Sie hängt davon ab, wie das Sonneninnere im Detail beschaffen ist. Die Angaben schwanken zwischen 10 000 und 170 000 Jahren.

Sonnenwind und Marsluft

Die NASA hat keine Mühen gescheut, um winzige Mengen Sonnenwind zur Erde zu schaffen – warum eigentlich?

Der Sonnenwind entspricht weitgehend dem Material des solaren Urnebels, aus dem sich die Planeten, Monde und Planetoiden des Sonnensystems bildeten. Wenn wir dieses Baumaterial mit der heutigen Zusammensetzung dieser Körper vergleichen, können wir aus den gemessenen Abweichungen die Prozesse entschlüsseln, die zum Beispiel bei ihrer Entstehung am Werk waren. Für solche Analysen ist nicht viel Material nötig. Genesis sammelte 0,0004 Gramm Sonnenwind-Ionen.

Die Sonde startete 2001. Wie lange haben Sie sich mit der Mission und der Datenauswertung beschäftigt?

Das begann noch vor dem Start, ab 2000 als Doktorandin an der ETH- Zürich, und seit 2008 hier an der University of California in Los Angeles.

Wie haben Sie den Crash der Genesis-Kapsel erlebt?

Das war im September 2004. Ich saß mit Kollegen in einem Hörsaal, die Landung wurde live auf eine Leinwand übertragen. Im entscheidenden Moment drehte ich mich zu einem Kollegen um und fragte, ob sich nicht längst der Landefallschirm geöffnet haben müsste. Als ich mich wieder zur Leinwand wandte, war es schon zu spät: Die Kapsel war hart aufgeschlagen. Das war natürlich ein Schock. Aber den größten Teil der Proben konnten wir retten – die Hauptziele der Mission wurden erreicht.

Was würden Sie als Nächstes erforschen, wenn Sie die freie Wahl hätten?

Die Atmosphäre unseres Nachbarplaneten und seine Edelgase mit den Daten des Mars-Rovers Curiosity. Man könnte dadurch eine Menge über die Entstehung der Marsluft lernen.

Gut zu wissen: Zehn Fakten zur Sonne TABELLE

1 Durchmesser 1392700 Kilometer der 109-fache Wert des mittleren Erddurchmessers

2 Masse 1,989·1030 Kilogramm 333000 Erdmassen oder das 1050-fache der Jupiter-Masse

3 Distanz zur Erde 149600000 Kilometer entsprechend 23481 Erdradien

4 Mittlere Dichte 1,408 Gramm pro Kubikzentimeter Vergleichswert Erde: 5,52 Gramm pro Kubikzentimeter

5 Fallbeschleunigung auf der Oberfläche 274 Meter pro Sekunde das 28-fache der Erdbeschleunigung

6 Rotationsdauer 25,1 Tage

34, 4 Tage am Äquator

im Polgebiet

7 Temperaturen

6000 Grad Celsius

4000 Grad Celsius

15710000 Grad Celsius an der Oberfläche

Sonnenflecken sind deutlich „kühler“

im Sonnenzentrum

8 Alter der Sonne 4,57 Milliarden Jahre vergleichbar alt wie die Erde

9 Durchschnittliche Sonneneinstrahlung auf der Erde pro Quadratmeter 1362 Watt (oberhalb der Lufthülle) Der Wert wird „ Solarkonstante“ genannt, obwohl er mit der Sonnenaktivität leicht variiert.

10 Nächste totale Sonnenfinsternis 3. November 2013

3. September 2081 sichtbar über dem Atlantik und in Zentralafrika

sichtbar in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Gut zu wissen: Zehn Fakten zur Sonne

Durchmesser

Masse

Distanz zur Erde

Mittlere Dichte

Fallbeschleunigung

auf der Oberfläche

Rotationsdauer

Temperaturen

Alter

Durchschnittliche Lichteinstrahlung auf der Erde pro Quadratmeter

Nächste totale Sonnenfinsternis

Ohne Titel

1 392 700 Kilometer

1,989·1030 Kilogramm

149 600 000 Kilometer

1,408 Gramm pro Kubikzentimeter

274 Meter pro Sekunde im Quadrat

25,1 Tage

34, 4 Tage

6000 Grad Celsius

4000 Grad Celsius

15 710 000 Grad Celsius

4,57 Milliarden Jahre

1362 Watt (oberhalb der Lufthülle)

3. November 2013

3. September 2081

Ohne Titel

109-facher Wert des mittleren Erddurchmessers

333 000 Erdmassen oder 1050 Jupitermassen

entsprechend 23 481 Erdradien

Vergleichswert Erde: 5,52 Gramm pro Kubikzentimeter

28-facher Wert der Erdbeschleunigung

am Äquator

im Polgebiet

an der Oberfläche

bei den deutlich „kühleren“ Sonnenflecken

im Sonnenzentrum

vergleichbar alt wie die Erde

Der Wert wird „Solarkonstante“ genannt, obwohl er mit der Sonnenaktivität leicht variiert.

sichtbar über dem Atlantik und in Zentralafrika

sichtbar in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Strahlungsgürtel um die Erde

Wie ein gewaltiger Autoreifen umringt eine Zone aus elektrisch geladenen Partikeln die Erde, der Van-Allen-Strahlungsgürtel. Er wird zurzeit von den Sonden Van Allen Probe 1 und Probe 2 erforscht. Die energiereichen Elektronen und Ionen darin hat das irdische Magnetfeld eingefangen. Sie lassen das von Astronomen gefürchtete „Weltraumwetter“ entstehen.

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Pott|wal  〈m. 1; Zool.〉 1 〈i. w. S.〉 Angehöriger einer Familie der Zahnwale mit sehr großen Köpfen: Physeteridae 2 〈i. e. S.〉 meist dunkelgrauer bis schwarzer Wal von 20–23 m Länge mit riesigem Kopf, bewohnt alle warmen Weltmeere u. ernährt sich hauptsächlich von Tintenfischen: Physeter catodon … mehr

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