Diese Verschiebung lässt sich nachweisen, indem die Röntgenstrahlen nach Durchquerung des Objekts nacheinander durch zwei gegeneinander versetzte, extrem feine Gitterstrukturen aus Silizium geschickt werden. Von diesen Gittern auf Richtung gebracht, überlagern sich die Wellen und bilden ein Muster, das von einem Bilddetektor aufgefangen werden kann. Aus diesem Muster lässt sich ein Bild berechnen, das um ein Vielfaches detailreicher ist als herkömmliche Röntgenbilder.
“Zunächst war es nur ein Gedankenspiel”, berichtet Christian David in der Oktoberausgabe des Wissenschaftsmagazin “bild der wissenschaft” von der Idee, mit Hilfe solcher Gitter die Phasenverschiebung von Röntgenwellen für ein bildgebendes Verfahren nutzbar zu machen. Doch nach und nach wurde aus diesem Gedanken Realität in Form eines Versuchsaufbaus: David und sein Kollege Pfeiffer, beide damals Forscher am PSI, erprobten das Verfahren zunächst an einem im französischen Grenoble aufgebauten Teilchenbeschleuniger.
Der “European Synchrotron Radiation Facility” (ESRF) genannte und rund 800 Meter lange, ringförmige Tunnel liefert eine Art “Edel-Röntgenstrahlung”. Diese geht nahezu von einem Punkt aus, von dem die Wellen mit genau definierter Phase losmarschieren ideale Ausgangsbedingungen, um damit Materialien zu analysieren. Mit der Edel-Röntgenstrahlung gelang den Forschern nach viel Feinabstimmung an den Gittern und Detektoren, die Muskeln eines kleinen Rattenherzens mit seinen großen Blutgefäßen wie Aorta und Lungenarterie klar abzubilden. Auch mit den überraschend detailreichen Bildern des Tumors in dem Rattenhirn konnten sie die Fachwelt begeistern.
Ein Krankenhaus oder eine radiologische Praxis haben jedoch keinen Teilchenbeschleuniger, einen solch riesenhaften wie in Grenoble schon gar nicht. Das Verfahren könnte also nur dann eine Zukunft haben, wenn es auch ohne den enormen technischen Aufwand auskommt, dachten sich die Wissenschaftler. “So beschlossen wir, es auch einmal mit einer gewöhnlichen Röntgenröhre zu versuchen”, berichtet Pfeiffer in “bild der wissenschaft”. Die Herausforderung hierbei: Die von einer solchen Röhre produzierte Röntgenstrahlung ist nicht phasengleich Wellenberge und -täler überlagern sich darin in einem heillosen Durcheinander, was Messungen anhand der Phasenunterschiede unmöglich macht.
Die Lösung fanden die Physiker in Form eines dritten Gitters, das vor das Objekt gesetzt wird und von den einfallenden Wellen gleichsam nur die im Gleitschritt marschierenden durchlässt. In einem Labor im Keller des PSI in Villigen gelangen ihnen so die ersten Aufnahmen und sie verewigten einen Roten Neon-Zierfisch mitsamt seinen Flossen, Augen und den für Fische typischen Gehörsteinchen. Das hat Eckhard Hempel von Siemens Healthcare, dem Unternehmensteil des Konzerns, der Kliniken und Praxen mit Röntgengeräten beliefert, überzeugt: “Wir haben sofort das Potenzial des Verfahrens erkannt und eine Kooperation mit Pfeiffer und David aufgebaut”, berichtet Hempel.
Der Hersteller von Medizingeräten, der das Phasenkontrast-Röntgen-Verfahren kurz zuvor noch als technisch nicht umsetzbar verworfen hatte, stieg mit in die Entwicklung ein und wird darin mit Unterstützung des Bundesforschungsministeriums insgesamt drei Millionen Euro investieren. Siemens und die beiden Forscher wollen die Idee in einem marktfähigen Produkt umsetzen. “Das Spektrum der möglichen Anwendungen ist unglaublich groß”, betont Pfeiffer in “bild der wissenschaft”. So könnte die Methode zur Früherkennung von Alzheimer anhand von Veränderungen im Gehirn oder zur zuverlässigeren Früherkennung von Brustkrebs eingesetzt werden. Dabei können die behandelnden Ärzte mit noch geringeren Strahlendosen arbeiten und auch auf die für manche Patienten schlecht verträglichen Kontrastmittel verzichten. “Wenn alles optimal läuft”, freut sich Hempel, “werden wir in drei Jahren den ersten Prototypen für die klinische Anwendung haben.”