Die Forschung der letzten Jahre hat immer deutlicher gezeigt, was für ein beachtlicher Verstand in unseren nächsten Verwandten im Tierreich steckt: Schimpansen können logisch denken, komplexe Strategien entwickeln und mit ihren Artgenossen gezielt kooperieren, belegen bereits viele Studien. Doch können sie auch vorausplanen – Erfahrungen auf die Zukunft projizieren und ihr Verhalten danach anpassen? Genau diese Fähigkeit belegen nun die Beobachtungen der Forscher um Karline Janmaat vom Max Planck Institute für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig.
Für ihre Studie untersuchten die Forscher systematisch das Verhalten einer wildlebenden Gruppe von Schimpansen in Westafrika. Den Forschern zufolge kommt den Feigenbäumen in ihrem Lebensraum eine besondere Bedeutung zu: Sie bilden zu bestimmten Zeiten sehr energiereiche und deshalb besonders beliebte Früchte. Die Feigen gehen schnell vom unreifen in den voll-süßen Zustand über und sind deshalb vergleichsweise plötzlich verfügbar. Im Laufe des Tages sind sie dann „schnell ausverkauft“. So konkurrieren Schimpansen beim Feigen-Schmaus sowohl mit anderen Urwaldtieren als auch mit fremden Gruppen von Artgenossen um diese leckere Nahrungsquelle.
„Der Wecker klingelt früher“
Um zu untersuchen, ob die besonderen Herausforderungen der Feigenernte bei den Schimpansen zu Verhaltensanpassungen führen, erfassten die Forscher systematisch, wann und wo gerade welche Früchte im Lebensraum der Tiere verfügbar waren. Parallel dazu untersuchten sie die Schlafgewohnheiten sowie die Wanderbewegungen der Affen.
Die computergestützten Auswertungen der Wissenschaftler kamen zu dem Ergebnis: Die beobachteten Schimpansen planten offenbar gezielt ihr süßes Frühstück. Wann immer Feigenbäume in ihrem Lebensraum morgens reife Früchte zu bieten hatten, standen die Affen besonders früh auf und machten sich oft noch im Dunkeln auf den Weg zu den Futterplätzen. Sie bauten außerdem ihre Schlafnester entlang der Strecke zum nächsten Frühstücksbaum, berichten die Forscher.
„Es war aufregend, die Schimpansenmütter und ihre Kinder in der Morgendämmerung bei ihrem Gang durch den Wald zu beobachten, scheu und wachsam, auf dem Weg zu ihren Frühstücksfeigen. Fünf Tage in der Woche verließen sie ihre Nester vor Sonnenaufgang, während der Rest des Waldes noch schlief“, sagt Karline Janmaat. „Aber es wurde noch spannender: War der Feigenbaum weiter entfernt, brachen die Schimpansen noch früher auf, um vor ihren Konkurrenten dort einzutreffen!“
Ihnen zufolge dokumentieren diese Ergebnisse: Schimpansen haben den nächsten Morgen im Sinn und können auf Grundlage früherer Erfahrungen ihr Verhalten in der Gegenwart sinnvoll anpassen. Der Vorteil einer solchen Fähigkeit liegt auf der Hand: Wer clever plant, ist deutlich im Vorteil – im vorliegenden Fall bedeutet dies: Kluge Affen können mehr Feigen essen. Der Mensch hat dieses Konzept perfektioniert – die Fähigkeit zum vorausschauenden Planen ist eines der Erfolgsgeheimnisse unserer Spezies. Die aktuelle Studie legt nun nahe, dass die Grundlagen dieses Konzepts bereits auf die gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse zurückgehen.