Ferngesteuerte Tiere oder “Zombies” sind gar nicht so selten, wie man glaubt. Denn es gibt viele Parasiten, die das Verhalten ihrer Wirte mit Hilfe von subtilen biochemischen Signalen manipulieren. So gibt es parasitische Pilze, die Ameisen dazu bringen, zwanghaft dünne Zweige oder Halme bis zur Spitze zu erklettern und sich dann dort im Tod festzubeißen. Die Juwelwespe injiziert Kakerlaken Gift, das diese zu ihren willenlosen Sklaven macht. Und Mäuse oder Ratten, die von der Toxoplasmose befallen sind, verlieren ihre Scheu vor Katzenurin und sorgen so dafür, dass sie mitsamt ihres Parasiten gefressen werden – womit dieser erfolgreich seinen Hauptwirt erreicht hat. Einen weiteren Fall haben nun Keizo Takasuka von der Universität Kobe und seine Kollegen näher untersucht: die parasitische Schlupfwespe Reclinervellus nielseni und ihre Wirte, die in Europa heimische Konusspinne (Cyclosa conica) und deren asiatische Verwandte Cyclosa argenteoalba.
Von den Spinnen dieser Gattung ist schon länger bekannt, dass sie zu ferngesteuerten “Zombies” werden, wenn sich in ihnen Larven der Schlupfwespe entwickeln. Was genau dabei passiert, haben die Forscher detailliert beobachtet. Wie sich zeigt, ändert sich das Verhalten der Spinnen etwa zehn Stunden vor ihrem Tod deutlich. Statt weiter in ihrem klebrigen Netz auf Beute zu lauern, beginnen sie, dieses komplett umzubauen. “Die Wespenlarve bringt die Spinnen dazu, ihr Netz zu vereinfachen und zu verstärken, damit dieses als Halterung für den Kokon der Wespe dient”, erklären die Forscher. Das ferngesteuerte Verhalten beginnt damit, dass die Wespe zunächst den spiralig im Netz verlaufenden Klebfaden einholt und durch Schlenkern ihres ersten Beinpaares wegschleudert. Dann läuft sie wiederholt und fast stereotyp zwischen Mitte und Rand des Netzes hin und her und legt zusätzliche radiäre Fäden an. Diese Träger verstärkt sie durch mehrfaches Ergänzen weiterer Spinnfäden, wie die Forscher beobachteten.
Zweckentfremdete Netzbaukunst
Als Resultat entsteht ein löchriges Gebilde aus nur wenigen Trägerfäden, die bis zu 40 Mal stabiler sind als die normalen Netzfäden dieser Spinnen. Damit noch nicht genug, markiert die ferngesteuerte Spinne dieses Netz auch noch: Sie sondert ein feines Gewirr von Fäden ab, die im UV-Licht hell aufleuchten. Wie Takasuka und seine Kollegen erklären, macht dies das Netz für größere Insekten und auch Vögel sichtbar und verhindert so, dass diese irrtümlich hineinfliegen und die Konstruktion zerstören. “Denn für die Wespenlarve ist es wichtig, dass ihr Kokonnetz während ihr zehntägigen Verpuppungsphase erhalten bleibt”, so die Forscher. Ist das Werk schließlich vollbracht, begibt sich die Zombiespinne auf ihren letzten Gang: Sie läuft in die Mitte des Netzes und verharrt dort, bis sie stirbt. Ihr toter Körper dient nun der Wespenlarve als Kokon für die Verpuppung.
Das ferngesteuerte Verhalte der Spinne und ihre bizarre Netzkonstruktion sind dabei keineswegs eine komplette Neuerfindung des Parasiten oder der Spinne, wie die Forscher feststellten. Stattdessen macht sich die Wespenlarve beim Bauenlassen ihres Kokonnetzes zunutze, dass die Spinnen kurz vor ihrer Häutung ein sehr ähnliches Netz bauen. Dieses Ruhenetz besitzt ebenfalls mehrere Haltefäden, aber keine Klebspirale mehr und dient den Spinnen als Unterlage und Halt während sie sich häuten. Für die Wespenlarve macht dies die Sache einfach: Sie muss einfach nur ein bereits existierendes Verhaltensprogramm abrufen und leicht manipulieren und schon bekommt sie ihr Kokonnetz. Wie die Forscher erklären, liefert diese Abwandlung auch wertvolle Hinweise auf den Mechanismus, über den der Parasit die Kontrolle übernimmt. So könnte es sein, dass die Larve der Spinne eine Dosis Häutungshormon spritzt, um den manipulierten Netzbau auszulösen. Wie sie die Spinne dazu bringt, die Fäden besonders zu verstärken, ist allerdings noch ungeklärt.