Bevor Carl von Linné eine Schneise ins Dickicht der Bezeichnungen schlug, mussten sich Biologen – in diesem Falle Botaniker – mit solchen Ungetümen wie Canna foliis ovatis utrinque acuminatis nervosis herumschlagen. Die ellenlangen Artnamen dienten nicht nur der Identifizierung, sie lieferten gleich eine Kurzbeschreibung mit. Linnaeus kürzte sie auf zwei Wörter zusammen, in diesem Fall Canna indica – das indische Blumenrohr.
Dieses simple Grundprinzip gilt noch heute. Allerdings haben sich die genauen Regeln für die korrekte Benennung einer Art im Laufe der Zeit verändert. Es gibt unterschiedliche Richtlinien für Bakterien, Viren und Tiere. Pflanzen, Pilze und Algen fallen unter ein gemeinsames Regelwerk, die Benennung von Kulturpflanzen folgt jedoch eigenen Gesetzen. Davon abgesehen ändern sich die Namen von Arten und Unterarten schon mal. Der Pflanzenparasit Ralstonia solanacearum etwa wurde insgesamt drei Mal umgetauft, während seine Gattungszugehörigkeit von Bacillus über Pseudomonas und Burkholderia zu Ralstonia wechselte. Das schafft Verwirrung.
Zeichenfolgen statt malerischer Namen
Auch über die Verwandtschaft zweier Arten – oder gar Unterarten – innerhalb einer Gattung sagt der Name nichts, wie Boris Vinatzer von der Virginia Tech in einer aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „PLOS One“ beklagt. Als Beispiel nennt er den Milzbrand-Erreger, Bacillus anthracis, von dem es mehr als 1.200 Stämme gibt. Als im Jahr 2001 Briefe mit Milzbrandsporen an US-Nachrichtensender und Senatoren verschickt wurden, habe es Monate gedauert, bis klar gewesen sei, von welchem Stamm die versendeten Sporen abstammten.
Vinatzer schlägt deswegen ein ganz neues Benennungssystem vor – eines, das sich streng nach den genetischen Eigenschaften eines Organismus richtet. Gemeinsam mit dem Computerwissenschaftler Lenwood Heath hat er ein System entwickelt, das DNA-Sequenzen je nach Abfolge ihrer Basen Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin in eine kurze Zeichenfolge umwandelt. Enge Verwandte erhalten ähnliche Kürzel. So wäre der Anthraxstamm in den Briefumschlägen beispielsweise lvlw0x getauft worden. Die Erreger aus dem US Army Medical Research Institute for Infectious Diseases, von denen er abstammt, trügen die Bezeichnung lvlwlx.
Vinatzer und Heath haben ihre Erfindung bereits zum Patent angemeldet und eine Firma, This Genomic Life Inc., gegründet. Sie wollen ein einheitliches System für alle Lebewesen schaffen, vom Faultier über den Blumenkohl bis hin zum Milzbranderreger. Allerdings soll es das linnésche System nur ergänzen und nicht ersetzen. Vermutlich weiß Vinatzer, wie ungern Biologen ihm Lizenzgebühren zahlen würden – und wie viel es ihnen bedeutet, einen neuentdeckten Mistkäfer, Pflanzenparasiten oder Giftfrosch taufen zu dürfen.