Gesten spielen auch bei der menschlichen Kommunikation eine große Rolle: Wir erlernen unsere jeweilige Sprache teilweise über Gebärden, bei denen vor allem die Hände eine große Rolle spielen. Dies wirft Fragen über die Wurzeln dieses Systems auf – damit richtet sich der Blick auf unserer nächsten Verwandten im Tierreich: die Schimpansen. Schon lange interessieren sich Wissenschaftler für deren Kommunikationsfähigkeiten durch Gestik und die zugrunde liegenden geistigen Mechanismen. Es ist bekannt, dass Schimpansen Gesten als zielgerichtete, präzise eingesetzte und flexible Kommunikationsstrategien nutzen, um mit anderen Gruppenmitgliedern zu interagieren.
Schimpansen-Kommunikation im Blick
Bisher wurde die gestische Kommunikation von Menschenaffen allerdings nur in Gefangenschaft oder in einzelnen Gruppen in freier Wildbahn erforscht. Die Forscher um Marlen Fröhlich und Simone Pika der Humboldt-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen untersuchten dazu nun erstmals zwei Schimpansenunterarten und -gemeinschaften in zwei weit auseinanderliegenden Lebensräumen im Freiland, im Kibale-Nationalpark in Uganda und im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste. Sie konzentrierten sich dabei konkret auf die Interaktionen von Müttern und ihrem Nachwuchs vor einem gemeinsamen Ortswechsel.
Den Beobachtungen zufolge gibt es bei Schimpansenkindern offenbar eine Entwicklung von zunächst vorwiegend vokaler Kommunikation zu gestischen Kommunikation. Mütter signalisieren ihren Sprösslingen den Aufbruch bevorzugt durch Gesten, während der Nachwuchs sich häufig stimmlich äußert. Ältere Jungtiere kombinierten dann zunehmend Lautäußerungen mit Gestik. Den Forschern zufolge reagieren die Mütter dabei sehr einfühlsam auf ihren Nachwuchs: „Mich beeindruckte, wie geduldig und tolerant Schimpansenmütter oft sind, wenn sie ihren Nachwuchs dazu anregen wollen, zusammen einen Ort zu verlassen und sich an einen neuen zu begeben“, sagt Fröhlich.
Sozialer Verhandlungsprozess?
Die überraschendste Feststellung war jedoch, dass jede Mutter ihre eigene Methode zu haben scheint, um sich mitzuteilen. „Wir denken, dass diese Ergebnisse mit gängigen Theorien über den Erwerb von Gesten nicht erklärt werden können, sondern vielmehr, dass Gesten durch einen sozialen Verhandlungsprozess erlernt werden“, sagt Pika. Diese Vermutung besagt konkret: Der Austausch sozialer Verhaltensweisen zwischen Mutter und Kind mündet in einem gemeinsamen Verständnis, das kommunikativ verwendet wird, vermuten die Forscher.
Gesten erlangen dabei unterschiedliche Bedeutungen in Abhängigkeit von sozialen Konstellationen und Kontexten und werden fortlaufend erzeugt – also auch an die jeweilige Situation flexible angepasst. So kann die gleiche Geste, beispielsweise ein ausgestreckter Arm, in einer entspannten Umgebung eine Einladung zum Spielen darstellen, während es in einer bedrohlichen Situation ein Alarmsignal der Mutter sein kann.
Die Forscher betonen allerdings, dass es sich vorläufig nur um spannende Hinweise handelt: Weiter Beobachtungen sind nötig, um zu bestätigen, dass Gestik bei Schimpansen tatsächlich auch auf sozialer Verhandlung beruhen kann und fortlaufend weiterentwickelt wird.