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Spitzenwein dank Klimawandel

Erde|Umwelt

Spitzenwein dank Klimawandel
Der Klimawandel ist für den Weinanbau ein Problem, aber auch eine Chance. Mit neuen Anbaumethoden und Sorten versuchen Winzer, die Wärme zu nutzen.

Auf den ersten Blick sehen die Weinberge rund um Würzburg aus wie immer. Doch Hermann Kolesch, Leiter der Abteilung Weinbau an der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim, ist beunruhigt. Während einige seiner Kollegen dem Klimawandel im Weinbau eher gelassen entgegensehen, schlägt er Alarm.

„Die Folgen sind gravierend. Die größten Herausforderungen stellen derzeit Wetterextreme wie Hitze und Starkregen mit Hagel dar, aber auch Spätfröste wie 2011″, sagt der 59-Jährige. In der Nacht vom 4. auf den 5. Mai hatten Temperaturen von bis zu minus 5 Grad Celsius in manchen fränkischen Lagen für einen Totalausfall der Ernte gesorgt, besonders in Tälern und windexponierten Lagen. Auch andere Regionen, etwa in Württemberg, verzeichneten durch den Spätfrost Ernteeinbußen von über 35 Prozent. 2012 erwischt es dann am 17. April die Mosel.

Inzwischen messen Winzer der Prävention von Frostschäden eine weit höhere Bedeutung bei als früher. Und das Schadensrisiko wird weiter steigen, da viele Rebsorten durch den Klimawandel früher austreiben. „Wir haben einen schnelleren Übergang zum Frühjahr, daher beginnt der Austrieb rund zwei Wochen eher als sonst. Die Spätfröste haben sich zeitlich jedoch nicht verlagert“, erklärt der Physiker und Klimaforscher Manfred Stock, der als Berater für regionale Strategien im Klimawandel beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung tätig ist.

Windmaschinen und Paraffinöfen

Wenn sich Ende April, Anfang Mai Eiskristalle an den jungen, grünen Trieben bilden, werden die Zellen zerstört. Der Trieb und damit auch die potenziellen Trauben sind verloren. Die Bayerische Landesanstalt experimentiert mit Gegenmaßnahmen: Wer zur Spätfrostzeit in den frühen Morgenstunden in fränkischen Weinbergen unterwegs ist, braucht sich nicht zu wundern, wenn plötzlich über seinem Kopf etwas Großes kreist.

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„Wir testen Hubschraubereinsätze der Bundeswehr, die für eine Luftverwirbelung sorgen. Das ist bislang sehr vielversprechend, ebenso wie ein neues Gerät aus Kalifornien, das Kaltluft von unten aufsaugt und nach oben bläst“, berichtet Hermann Kolesch. Dieses Gerät ist speziell für kleinere frostgefährdete Lagen auf drei bis fünf Hektar Fläche geeignet.

Außerdem werden Windmaschinen und fein versprühtes Wasser oder Pflanzenöl zum Frostschutz eingesetzt. Eine weitere Möglichkeit sind Paraffinöfen – mit Paraffin gefüllte und angezündete Blecheimer –, von denen 200 bis 400 pro Hektar Anbaufläche verteilt werden.

Um die Reben in den heißen Sommermonaten ausreichend mit Wasser zu versorgen und sie vor Trockenstress zu schützen, bedarf es Methoden, die man sonst nur aus dem Weinanbau in südlichen Ländern kennt – etwa der Tröpfchenbewässerung: Im Winter wird Regenwasser in großen Becken gesammelt, um es dann im Sommer mithilfe von Schläuchen, die durch die Rebzeilen gezogen werden, über den Weinbergen zu verteilen.

In Unterfranken in der Nähe des Schwanbergs mit den wichtigen Weinorten Iphofen und Rödelsee ist derzeit der Bau eines Wasserspeichers geplant, der als Landschaftssee ausgebaut werden soll. Er soll genügend Wasser für 600 Hektar Rebflächen speichern. In Veitshöchheim untersucht man, ob speziell veredelte Rebstöcke besser mit Trockenheit zurechtkommen.

Kräuter schützen den Weinberg

Wenn man den Blick von den Reben nach unten lenkt, sieht man vielerorts eine Schicht aus Rindenmulch, Stroh, Holzhäcksel oder Häckselgrüngut, die den Boden beschattet und dafür sorgt, dass er feucht bleibt. Eine Alternative ist eine trockenresistente Begrünung mit Kräutern und Gräsern. „Alle diese Maßnahmen helfen bei der Reduzierung der Verdunstungsverluste, der sogenannten Evaporation“, erläutert Horst Kolesch, Leiter des Geschäftsbereichs Weingut, Landwirtschaft und Forsten beim Juliusspital in Würzburg, der auch Flächen der Weinbaulage Würzburger Stein bewirtschaftet.

Durch das veränderte Klima ist es zudem nötig, die Menge des Rebenlaubs zu reduzieren. Die jungen frischen Triebe, die nach oben wachsen, werden eingekürzt, damit das Wasser besser auf die Trauben gelenkt werden kann.

Was aber, wenn zu viel und sehr heftiger Regen im Sommer fällt? Vor allem an Hang- und Steillagen soll eine Begrünung sicherstellen, dass es bei Starkregen nicht zu Erosion kommt. Sonst besteht die Gefahr, dass die Erntehelfer abrutschen und sich dabei verletzen, dass Maschinen stecken bleiben oder dass ganze Hänge herabstürzen und Menschen samt Rebstöcke mit sich reißen.

„Wir stellen derzeit einen ganzen Weinberg um und machen einen Systemvergleich zwischen verschiedenen Arten des Weinbaus, um den optimalen Erosionsschutz zu ermitteln“, sagt Horst Koleschs Bruder Hermann Kolesch. „Das Thema Klimawandel ist sehr vielschichtig und komplex.“

Es regnet Häufiger und mehr

Und Horst Kolesch berichtet: „Wir haben festgestellt, dass es ab Mitte September bis Mitte Oktober häufiger und mehr regnet. Da wir aber trockenes Lesegut brauchen, schränkt das die Weinlese zeitlich ein. Denn nasse Trauben würden den Wein verwässern.“

Das hieße: Man benötigt mehr Personal für die guten Qualitäten und muss für die einfacheren Weine verstärkt Traubenvollernter einsetzen. „Aus diesem Grund säen wir bereits Ende Juli bis Anfang August Begrünungspflanzen, etwa Roggen, Gerste, Inkarnatklee und Malven“, erklärt Horst Kolesch. „Mitte Oktober hat sich dann ausreichend Bewuchs gebildet, sodass die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden steigt und gleichzeitig die Böden bis zum Erntezeitpunkt tragfähiger werden.“

Gleichzeitig rückt das Zeitfenster für die Lese immer weiter nach vorne. „Wir haben eine Ernteverfrühung von 15 bis 16 Tagen gegenüber den 1970er-Jahren. Das erfordert mehr Kühlkapazität im Keller, weil die Trauben dort oft zu warm ankommen. Sobald die Früchte über 20 Grad Celsius warm sind, müssen wir sie herunterkühlen. Sonst verliert der Wein an Aroma und Eleganz“, berichtet Kilian Schneider, Aufsichtsratsvorsitzender der Winzergenossenschaft Oberbergen und Präsident des Badischen Weinbauverbandes.

Risiko Fäulnis

Alternativ muss man nachts oder in den sehr frühen Morgenstunden ernten. „Werden die Trauben früher reif, steigt durch die höheren Nachttemperaturen das Risiko für Fäulnis“, erklärt Heinrich Schlamp, Gruppenleiter für Weinbau am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum in Oppenheim.

Einen weiteren Aspekt nennt Rainer Amann, Referatsleiter Weinchemie am Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg: „Die verschiedenen Reifeprozesse werden durch die erhöhten Temperaturen nicht im gleichen Maß beschleunigt.“ Am stärksten betrifft das den Abbau der in den Trauben enthaltenen Säuren, am wenigsten die Aromenbildung.

Zu viel Alkohol, zu wenig Säure

Wartet man in warmen Jahren ab, bis die Trauben genügend Aroma gebildet haben und auch optisch erkennbar reif sind, dann kann der Zuckergehalt schon deutlich über dem Optimum liegen und zu erhöhtem Alkoholgehalt führen, während der Säuregehalt viel zu niedrig ist – mit der Folge, dass der Wein breit und brandig wirkt. „Zu früh gelesenen Trauben fehlt dagegen die physiologische Reife. Der Wein wird oft dünn, unharmonisch und – bei Rotwein – gerbstoffbetont, hat kein schönes Bouquet und altert schnell“, erklärt Amann.

Gerhard Roth vom Weingut Roth im fränkischen Wiesenbronn hat hier einen Ausweg gefunden. „Wir gehen mit der Traubenzone weiter vom Boden weg. Das heißt, wir ziehen die unteren Austriebe nicht in die Breite, sondern um etwa 20 Zentimeter nach oben. Dort ist es etwas kühler, da die Wärmestrahlung vom Boden weniger Einfluss hat. Die Trauben bleiben länger gesund, und wir können acht bis zehn Tage später ernten. Im Ergebnis ist der Alkoholgehalt nicht höher, aber der Ausdruck und die Frucht sind ausgeprägter.“

Als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, sorgt der Klimawandel noch für weitere Probleme. „Im Herbst 2012 haben wir auf unseren Versuchsflächen erstmals die Kirschessigfliege entdeckt, die normalerweise im Süden beheimatet ist und vor zwei Jahren in Südtirol die Vernatsch-Ernte stark beschädigt hat“, berichtet Hermann Kolesch. Im Gegensatz zur klassischen Essigfliege sticht sie gesunde Trauben an und legt dort ihre Eier ab. Derzeit kann man sie noch nicht wirksam bekämpfen.

Zikaden und Rebläuse

Außerdem könnte es zu Schäden durch die bislang nur im Süden angesiedelten Zikaden kommen, die beim Saugen an den Reben Viruskrankheiten übertragen. „Und es besteht die Gefahr einer Reblausplage“, befürchtet Kolesch. Bislang hält sich dieser gefürchtete Schädling nur im Boden aufgelassener Weinberge und in Wildreben auf. Durch mehr Wärme aber könnten geflügelte Tiere entstehen, die sich rasch in der Umgebung ausbreiten.

Was den Winzern aktuell Sorgen bereitet, ist eine Krankheit namens Esca, die durch die Klimaerwärmung den Weg vom Mittelmeerraum in die deutschen Weinberge gefunden hat. Sie besteht aus einer Kombination verschiedener Pilzarten. Esca greift das Holz an, zerstört die Versorgungswege der Reben und lässt sie absterben. Vor allem Trockenstress wird als Auslöser dieser Seuche vermutet.

Nur keine Panik!

Sollten Liebhaber deutscher Weine sich also schnell noch einen Vorrat edler langlebiger Tropfen anlegen? Nicht nötig, winkt etwa Hans Reiner Schultz ab. Der Präsident der Hochschule Geisenheim, zuvor Leiter des Fachgebietes Weinbau und Direktor der Forschungsanstalt Geisenheim, erklärt: „Der deutsche Weinbau hat insgesamt klar vom Klimawandel profitiert und wird es noch eine Zeitlang tun, auch über die nächsten 20 Jahre hinweg. Sorgen machen muss man sich aber über Wetterlagen wie beispielsweise die Überflutungen in diesem Frühjahr. Die Wettermodelle besagen, dass so etwas häufiger vorkommen wird.“

Und Walter Kast von der Abteilung Weinbau an der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg nahe Heilbronn meint: „Die Winzer profitieren im Moment deutlich von den Veränderungen, denn wir haben im Sommer ein mediterranes Klima, sodass zum Beispiel Sorten wie Syrah in Deutschland hervorragende Qualitäten liefern.“ In den südlichen europäischen Ländern und in Australien vertrocknen ganze Weinbaugebiete. Das ist in Deutschland anders: „Wir spüren den Klimawandel, aber bislang eher sehr positiv“, betont Klaus-Peter Keller vom rheinhessischen Spitzen-Weingut Keller.

„Früher haben wir durch zu wenig Sonne manchmal nicht ganz reife Rieslingtrauben geerntet. Heute bekommen wir Trauben für großartige trockene Weine. Diese ausgezeichnete Qualität wäre ohne klimatische Unterstützung nicht möglich.“ Aber irgendwann werde die Reise wohl nach Norden gehen. „Wir haben 2008 einen Weinberg in Kristiansand an der Südspitze Norwegens gepflanzt, mit Riesling und Pinot“, blickt Klaus-Peter Keller in eine mögliche Zukunft des Weinbaus.

Und am französischen INRA (Institut national de la recherche agronomique) läuft zurzeit ein Forschungsprojekt, wie sich der Weinbau „klimafit“ machen lässt – die Bildstrecke zu diesem Beitrag dokumentiert das eindrucksvoll.

Deutschland als Gewinner

Eine Folge des Klimawandels wird vermutlich sein, dass sich die Weinbaugrenze in Deutschland, die derzeit durch Sachsen-Anhalt/Thüringen verläuft, weiter nach Norden verschiebt. „Die nächsten 20 bis 30 Jahre werden wir allen Herausforderungen zum Trotz international zu den Gewinnern zählen und qualitativ hochwertige Ernten einfahren“, blickt Hermann Kolesch optimistisch in die Zukunft. Aber er betont: „Wir müssen alles tun, durch entsprechende Anpassungsstrategien unsere Rebsortenidentität zu behalten. Die Wein-Welt darf in 50 Jahren nicht nur aus bisher meist südlich angebauten Sorten wie Cabernet, Merlot und Chardonnay bestehen.“ ■

WOLFGANG HUBERT (links) ist Weinjournalist, Verkoster und Autor mehrerer Bücher zum Thema Wein. Die Bilder der INRA-Studien in Pech Rouge stammen vom französischen Fotografen Philippe Psaila.

von Wolfgang Hubert (Text) und Philippe Psaila (Fotos)

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