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Töne bringen Gehbehinderte wie Spitzensportler auf Trab

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Töne bringen Gehbehinderte wie Spitzensportler auf Trab
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Musik geht in die Beine, das wissen Tänzer schon lange. Tatsächlich entdeckte der amerikanische Musiktherapeut Michael Thaut im Gehirn eine direkte Verbindung zwischen Hör- und Bewegungszentren. In seinem Reha-Zentrum lernen nun gehbehinderte Patienten mit Musik das Gehen. Bonner Forscher wollen dagegen mit Tönen das Training von Spitzensportlern verbessern. Dazu entwickelten sie eine in Deutschland einmalige Technik: Sie vertonen Bewegungen.

Patient K. geht stockend, unsicher. Seine Schritte sind kurz, seit er vor wenigen Wochen einen Schlaganfall erlitten hat. Der Musiktherapeut Michael Thaut von der Staatsuniversität Colorado in Fort Collins betrachtet den Patienten. Er wählt eine Marschmusik im passenden Tempo und schaltet sie ein. Als hätte er einen Schalter umgelegt, bewegt sich Herr K. plötzlich geschmeidiger. Er geht beinahe so sicher wie vor dem Schlaganfall. Nach einigen Therapiesitzungen könnten sich die Patienten auch ohne Musik sicherer bewegen, sagte Thaut kürzlich am Kongress „Das musikalische Gehirn“ des Königlich Britischen Instituts in London. Das Team um Thaut vom Zentrum für biomedizinische Musikforschung untersucht seit Jahren die Wirkung von Musik auf das Gehirn. Dabei entdeckten sie eine direkte und nach Thaut „erstaunlich schnelle“ Verbindung zwischen den Hörzentren im Gehirn und den Bereichen, die Bewegungen steuern. Was Tänzer schon immer wussten, konnte Thaut in Experimenten nachweisen: Rhythmen dringen direkt und ohne Umweg über das Bewusstsein in die Glieder. Die Forscher ließen Freiwillige zum Takt eines Metronoms mit einem Finger klopfen. Änderte sich dabei der Rhythmus leicht, passten die Probanden die Bewegungen ihrer Finger sofort an, obwohl sie die Taktänderung bewusst gar nicht wahrgenommen hatten.

Thaut vermutet, dass der Mechanismus dem Gehirn hilft, unsere Bewegungen an Geschehnisse in der Umwelt anzupassen. Das sei für unsere Vorfahren überlebenswichtig gewesen, meint der gebürtige Hamburger. Habe ein Zweig geknackt oder das Laub geraschelt, konnten sie ohne lange zu zögern wegrennen. Heute dagegen helfe die Direktverbindung im Gehirn Patienten beim Erlernen von Bewegungen, sagt Thaut. Neben Schlaganfall-Patienten üben auch Parkinson- und Huntingtonkranke in seinem Zentrum das Gehen mit Musik.

Dabei hilft Musik nicht nur beim Erlernen von rhythmischen Bewegungen wie Gehen. Kürzlich konnte das Team zusammen mit Volker Hömberg von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf zeigen, dass Musik auch willensgesteuerte Armbewegungen verbessern kann. So konnten Schlaganfallpatienten nach einer Musiktherapie zielgerichteter nach einem Gegenstand greifen als zuvor. Offenbar unterstütze Musik alle Aspekte einer Bewegung, nicht nur die rhythmischen, sagt Thaut.

Den Effekt wollen Bonner Forscher nun auch im Spitzensport nutzen. Die Sportwissenschaftler Heinz Mechling und Alfred Effenberg von der Universität Bonn haben eine in Deutschland einmalige Technik entwickelt: Sie vertonen die Bewegungen von Sportlern. Dazu bestimmen sie die während einer Bewegung wirkenden Kräfte an verschiedenen Punkten des Körpers. Bei Brustschwimmern etwa messen sie am Körperschwerpunkt und an den Fuss- und Handgelenken. Auch eine Reckstange mit Messgeräten und eine Tanzplatte sind in ihren Labors installiert. Die Daten der Kraftmessungen werden dann von einem Computer in Töne umgerechnet, erläutert Mechling gegenüber der Nachrichtenagentur ddp. Diese Klangwelten sollen dem Sportler vor allem vermitteln, in welchem zeitlichen Ablauf er seine Kräfte einsetzen muss, um sich möglichst geschmeidig zu bewegen. Das könne man etwa aus einer Videoaufzeichnung nicht ersehen, sagt Mechling. In ersten Versuchen konnten Spitzensportler tatsächlich nur aus den Klängen die Bewegungen in vielen Details nachvollziehen. Auch Lerneffekte durch das Hören der Töne konnten die Forscher in Tests mit Studenten der Universität Bonn nachweisen. Dabei sollen die Klänge Sportler auf verschiedenste Weise unterstützen, sagt Mechling. Um neue Bewegungen zu erlernen, würden sie die Töne zusammen mit Videoaufzeichnungen vorführen. Bei einigen Sportarten sei es aber auch möglich, die Töne direkt beim Turnen zu erzeugen. Die Sportler könnten dann versuchen, ihr Klangmuster dem von Spitzensportlern anzugleichen. Zur Zeit suchen die Bonner Forscher einen Industriepartner, der die Technologie in ein Produkt umsetzt. Dieses könnte in einem Jahr auf dem Markt sein, hofft Mechling. Die Klangwelten sollen dann nicht nur Sportlern helfen. Auch Opfer von Hirnschlägen wie der Patient K. könnten zum Klang von Schritten das Gehen leichter erlernen.

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Marcel Falk
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