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Unser Ur-Urahn war ein Archaeon

Erde|Umwelt

Unser Ur-Urahn war ein Archaeon
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In der Nähe dieser hydrothermalen Schlote im Loki Feld wurden die Archaeen gefunden (Centre for Geobiology (University of Bergen, Norway) by R.B. Pedersen)
Alle unsere Zellen sind nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Sie besitzen einen Zellkern und verschiedene Organellen, die jeweils verschiedene Zellprozesse übernehmen. Wie aber diese eukaryotischen Zellen einst entstanden sind und wer ihre Vorfahren waren, ist rätselhaft. Jetzt jedoch liefert ein Überraschungsfund aus der Tiefsee mögliche Antworten. An einem unterseeischen Schlot entdeckten Forscher Organismen, die die nächsten Verwandten aller Eukaryoten sind. Es handelt sich um winzige Einzeller aus der Domäne der Archaea.

Nach gängiger Theorie gibt es drei Domänen des Lebens: Bakterien, Eukaryoten – zu denen alle Tiere und wir Menschen gehören – und die Archaeen. Letztere sind eine Gruppe sehr urtümlicher Einzeller, die zwar ähnlich wie Bakterien keinen Zellkern und keine Organellen besitzen, aber in vielen anderen Merkmalen eher den Eukaryoten ähneln. Wie diese drei großen Gruppen miteinander in Verbindung stehen, ist bisher unklar. Die meisten Forscher gehen aber davon aus, dass die komplexen Zellen der Eukaryoten entstanden, als eine Vorläuferzelle ein Bakterium in sich aufnahm und damit den Grundstein für eine interne Gliederung legte. Woher allerdings die Empfängerzelle kam und worum es sich bei ihr handelte, war strittig. Zwar deuten einige genetische Ähnlichkeiten darauf hin, dass es eine Archaee gewesen sein könnte. Die bisher bekannten Vertreter der Archaeen erschienen aber zu simpel und primitiv, um als direkte Vorläufer oder enge Verwandte der Eukaryoten in Frage zu kommen.

Überraschung aus der Tiefsee

Das aber hat sich nun geändert – durch einen Fund mitten im Atlantischen Ozean. Im Rahmen einer Expedition hatten Anja Spang von der Universität Uppsala und ihre Kollegen am mittelatlantischen Rücken nahe dem hydrothermalen Feld „Loki’s Castle“ Sedimentproben entnommen und sie später auf ihre Organismenzusammensetzung hin im Labor analysiert. Zur Identifizierung nutzten die Forscher dabei die Gene und Proteine, die in den Proben zu finden waren. Typischerweise lassen sich so auch Organismen finden, die sich nicht im Labor kultivieren oder vermehren lassen – und davon gibt es reichlich. Ein Beispiel ist die sogenannte Deep Sea Archae Group (DSAG). „DSAG ist eine der häufigsten und weit verbreitetsten Archaeengruppen in der tiefen Biosphäre der Ozeane“, erklären Spang und ihre Kollegen. „Aber bisher konnte nicht ein einziger ihrer Vertreter kultiviert werden.“ Diese geheimnisvollen Bewohner der Tiefsee und anderer Lebensräume werden daher auch oft als dunkle mikrobielle Materie bezeichnet.

Doch als die Forscher die ersten Ergebnisse ihrer Genanalysen sahen, erlebten sie eine Überraschung: Sie entdeckten eine ganz neue Gruppe der Archaeen, die sich in vielen Merkmalen von den bisher bekannten Formen unterscheidet. Diese Lokiarchaeota getauften Organismen enthalten ein ungewöhnlich komplexes Genom, das auch Erbinformationen für bisher als typisch eukaryotisch geltende Proteine umfasst. Einige dieser Proteine regeln den Umbau von Membranen, andere sind für die Bildung des Zytoskeletts verantwortlich, welches die Form der eukaryotischen Zellen bestimmt. „Es ist auch bemerkenswert, dass Lokiarcheum das eukaryotenähnlichste Ribosom kodiert, das jemals bei einer Archaee gefunden wurde“, berichten Spang und ihre Kollegen.

Schwestergruppe aller Zellkernträger

Nach Ansicht der Forscher lassen sich daraus zwei Schlüsse ziehen: Die neuentdeckte Gruppe der Archaeen, die Lokiarchaeota, sind enger mit den Eukaryota verwandt als mit den restlichen Archaeen – sie bilden die Schwestergruppe aller zellkerntragenden Organismen. Das aber hat für den Stammbaum des Lebens eine weitreichende Bedeutung: „Die ersten Vorläufer der Eukaryoten sind also tatsächlich direkt aus Archaea hervorgegangen und bilden nicht, wie früher angenommen, neben Bakterien und Archaea eine eigenständige primäre Domäne des Lebens“, erklärt Koautorin Christa Schleper von der Universität Wien. Aus drei großen Stammbaumästen könnten damit künftig nur noch zwei werden.

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Zum anderen aber war der Archaeen-Urahn der Eukaryoten bereits viel komplexer und weiter entwickelt als bisher angenommen. „Unsere Ergebnisse demonstrieren, dass viele Komponenten, die bisher als eukaryotenspezifisch galten, in diesem Vorfahren schon präsent waren“, so die Forscher. „Dies lieferte ein reiches genetisches ‚Starter Kit‘ für die weitere Entwicklung.“ So besaß dieser Urahn bereits die genetische Voraussetzung, um sein Innenleben durch Abschnürung von Membranbläschen zu strukturieren. Wahrscheinlich konnte er auch bereits Stoffe aus seiner Umwelt über die Membran aufnehmen oder Abfallstoffe ausscheiden. Diese Fähigkeit könnte sogar der Schlüssel zur Bildung der ersten eukaryotischen Zelle gewesen sein – denn dieser Urahn nahm so vielleicht das Bakterium auf, aus dem später der Zellkern entstand.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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