Unabhängig vom kulturellen Hintergrund und mathematischer Ausbildung besitzen alle Menschen ein intuitives Gefühl für Mengen. Diese Fähigkeit teilen wir allerdings auch mit einigen Tierarten, haben Untersuchungen belegt: Beispielsweise können viele Vogelarten zwischen großen und kleinen Mengen unterscheiden – so auch das Haushuhn. Der Aufbau eines mentalen Zahlenstrahls galt allerdings bisher als typisch menschlich. Das heißt, wir verknüpfen die Zunahme von Mengen mit der horizontalen Ausdehnung des Raums: links weniger – rechts mehr. Doch den Ergebnissen der Forscher um Rosa Rugani von der Universität von Trento zufolge ist dies wohl doch nicht das Produkt unseres überlegenen Verstandes. Denn sogar ein Küken kann das.
Weniger bedeutet links – mehr hingegen rechts
Für ihre Experimente brachten die Forscher ihren putzigen Probanden zunächst bei, dass sich hinter einem einzelnen Schild mit fünf Punkten Futter verbirgt. Bei den eigentlichen Experimenten konfrontierten sie die Küken dann mit zwei Schildern – einem rechts und einem links. Auf beiden waren in einem der Durchgänge jeweils zwei Punkte abgebildet. Es zeigte sich: Die Küken marschierten nach links und schauten hinter dem linken Schild nach dem Futter. Wenn die Forscher den Versuchstieren allerdings nun zwei Schilder mit jeweils acht Punkten präsentierten, liefen die Küken in die andere Richtung: Nun tapsten sie auf das rechte Schild zu.
Den Forschern zufolge lässt sich das kurios wirkende Verhalten folgendermaßen erklären: Ein auf fünf Punkte trainiertes Küken erkennt, dass zwei Punkte weniger sind als die gewohnten fünf. Weniger assoziiert das Tier mit links und bewegt sich deshalb in diese Richtung. Sieht es hingegen acht Punkte, denkt es sich vermenschlicht ausgedrückt: „Aha, das ist mehr als fünf – also muss ich nach rechts laufen“. Weitere Versuche der Forscher dokumentierten, dass es sich nicht nur um einen Effekt bestimmter Mengen handelt: Prägten sie die Baby-Hühnchen auf ein Schild mit 20 Punkten, dann liefen die Tiere anschließend bei der Wahl zwischen zwei Schildern mit jeweils acht Punkten nach links – denn in diesem Fall war acht weniger als gewohnt.
Die räumliche Zuordnung von Mengen ist angeboren
Da den Ergebnissen zufolge offenbar auch Hühner Mengen eine räumlich Zuordnung geben, handelt es sich vermutlich um ein Phänomen, das tiefe Wurzeln in der Entwicklungsgeschichte hat, sagen die Forscher. Vielleicht verfügte sogar bereits ein gemeinsamer Vorfahre von Vögeln und Säugetieren – einschließlich des Menschen – über diese Fähigkeit. Was uns betrifft scheint nun zumindest eine Frage geklärt: Wie das intuitives Gefühl für Mengen, ist auch deren räumliche Zuordnung nicht an die jeweilige Kultur oder Bildung geknüpft.