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Von Fähren, Shuttles und Gen-Kanonen

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Von Fähren, Shuttles und Gen-Kanonen
Wie Gene von Zelle zu Zelle reisen

Eigentlich sind Gene ja Stubenhocker und bleiben gern gemütlich in ihrem angestammten Genom sitzen. Dabei spricht nichts gegen eine kleine – oder auch größere – Reise: Auch anderswo stimmt die Chemie, denn schließlich bestehen die Gene in allen Organismen (außer den Retroviren) aus DNA. Sie sprechen sogar die gleiche Sprache, den universellen genetischen Code. Ein Gen-Tourist würde also in einem anderen Genom kaum auffallen.

Tatsächlich sind solche Reisen bei Bakterien immer schon gang und gäbe gewesen: Unternehmungslustige Gene machen es sich innerhalb von kleinen, ringförmigen DNA-Molekülen namens Plasmiden bequem, die – völlig unabhängig vom eigentlichen Genom – munter zwischen verschiedenen Zellen und sogar verschiedenen Spezies ausgetauscht werden. Vor allem Resistenz-Gene, die die Mikroben vor Antibiotika schützen, bevorzugen diese Variante. Eukaryotische Gene (siehe „Basiswissen Zelle“, Folge 1 in bdw 7/2012) mussten dagegen lange Zeit auf größere Reisen verzichten. Doch dank Biotechnologie gibt es mittlerweile die verschiedensten Transportvehikel und Reiseziele.

Ein Pionier solcher Fahrten ist das menschliche Insulin-Gen. Es nutzt ebenfalls das Plasmid-System, braucht dafür allerdings eine längere Vorbereitungsphase: Zuerst lässt es sich von molekularen Scheren zurechtschnippeln, um dann exakt ins ebenfalls aufgeschnittene Plasmid eingepasst zu werden. Anschließend geht es gleich an oder besser in den Bestimmungsort, meist ein Escherichia-coli-Bakterium, das sehr gern reisende Gene aufnimmt. Einmal dort angekommen, wird das Insulin-Gen brav abgelesen, und die Bakterienzelle – die jetzt zum GVO, zum gentechnisch veränderten Organismus, geworden ist – beginnt, reines Menscheninsulin zu produzieren.

Andere Gene peilen exotischere Reiseziele an: Sie interessieren sich für Pflanzen. Das ist schon komplizierter, denn bei Pflanzenzellen muss das fremde Gen in das Genom eingebaut werden, um es ablesen zu können. Doch auch das ist kein unüberwindbares Hindernis für den Weltenbummler: Die Grüne Gentechnik bietet sogar mehrere Verkehrsmittel für solche Reisen an. Besonders beliebt ist eine Art Shuttle-System in Form von Agrobacterium tumefaciens. Diese Mikrobe besitzt von Natur aus die Fähigkeit, ein kleines eigenes Plasmid ins Genom einer Pflanze hineinzuschmuggeln. Schleust man das zu transportierende Gen in das Plasmid der Bakterienzelle ein und infiziert die Zielpflanze dann mit dem veränderten A. tumefaciens, wird der Gen-Tourist kurzerhand mit ins Pflanzen-Genom verfrachtet.

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Etwas abenteuerlicher ist die Reise per Gen-Kanone. Die tut genau das, was der Name sagt: Sie schießt Gene, die sich zuvor an kleine Metallpartikel geklammert haben, auf eine Pflanze. Und bevor die Pflanzenzellen überhaupt wissen, wie ihnen geschieht, sind die winzigen Vehikel bereits in ihrem Inneren. Allerdings: Bei dieser Methode kann es sein, dass die Touristen nach kurzer Zeit wieder ausgewiesen werden, denn eine Garantie für einen dauerhaften Einbau ins Genom bekommen sie nicht.

Häufig besuchte Reiseziele bei den Pflanzen sind Tomaten – das „Anti-Matsch-Gen“ erlangte hier eine gewisse Berühmtheit –, aber auch Mais, Baumwolle und Soja. Die beliebte Bohne beherbergt vor allem Gene, die sie gegen Herbizide wappnen, oder solche, die ihr helfen, gefräßigen Raupen den Garaus zu machen.

Die bisher erwähnten Reisen fallen alle in die Kategorie Aktivurlaub, sprich: Die Gene müssen an ihrem Zielort arbeiten. Wer dagegen lieber Ruhe haben möchte, kann sich für einen Trip in eine Knock-out-Maus entscheiden. Denn hier werden Gene gesucht, die vollkommen untätig sind. Der Weg dahin ist allerdings beschwerlich und unsicher. Vereinfacht gesagt, wird das reiselustige, funktionsunfähige Gen in Stammzellen aus einem Mäuse-Embryo eingeschleust, wo es sich faul neben sein bereits im Genom vorhandenes arbeitendes Pendant legt. Hat man sehr viel Glück, tauscht die Mäusezelle irgendwann das eigene Gen gegen den Neuankömmling aus, der damit fest im Genom integriert ist. Nun müssen die veränderten Zellen in einen anderen Mäuse-Embryo transplantiert werden. Der wächst dann zu einer Maus heran, bei der einige Gewebearten das neue, arbeitsunfähige Gen tragen – die nämlich, die aus den entsprechenden Stammzellen hervorgegangen sind. Sind das die Fortpflanzungsorgane, hat man das große Los gezogen: Mit solchen Mäusen lassen sich prima Nachkommen produzieren, in deren gesamtem Körper das veränderte Gen steckt.

Nicht zuletzt gibt es auch Gene, die aus humanitären Gründen reisen. Ziel: ein kranker Mensch, der an einem genetischen Defekt leidet. Der sollte sich theoretisch heilen lassen, indem man das kaputte Gen durch eine intakte Version ersetzt. Noch funktionieren solche Gen-Therapien aber nur sehr begrenzt – hilfsbereite Gen-Touristen müssen sich auf Schwierigkeiten auf ihrer Reise und am Zielort einstellen. Und es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich für einen von zwei Reiseplänen zu entscheiden: entweder für einen direkten Transfer in den Körper per Gen-Fähre oder für einen Trip in isolierte Zellen im Labor, die dann wieder in den Körper transplantiert werden. Für den direkten Transfer werden vor allem speziell entworfene, unschädliche Viren verwendet – denn die wissen bereits, wie man in eine Körperzelle eindringt und sein Erbgut im Genom des Wirts platziert.

Ein Problem ist allerdings bei beiden Varianten bis heute nicht vollständig gelöst: Wo genau im Genom man landet, ist ungewiss. Trotzdem gibt es immer wieder Gene, die sich auf dieses Wagnis einlassen – und damit belohnt werden, dass sie Menschen mit bestimmten Immundefekten und Bluterkrankungen helfen können. ■

„Back to the roots“, heißt es in der nächsten Folge – oder besser: Zurück zu den Grundreserven des Lebens, den Stammzellen.

von Ilka Lehnen-Beyel (Text) und Friederike Groß (Illustrationen)

Warnhinweis

Warnung vor: Gen-Tomate, Gen-Soja und Co

Grund der Warnung: vollkommen unsinnige Begriffe

Erläuterung: Auch völlig naturbelassende Tomaten-, Soja- und Mais-Pflanzen besitzen Gene – selbst die Bio-Varianten.

Korrekte Bezeichnung: Formell korrekt ist „transgene Pflanzen“ , aber der Name „Gentech-Tomaten“ zum Beispiel ist auch völlig in Ordnung.

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